
Nach diesen Worten schwebte sie langsam empor und verschwand durch die Tür.
Jetzt wich der Bann von dem jungen Mann, er sprang auf, eilte zur Tür und verschloss sie fest. Dann wandte er sich zu seinem Kameraden und rief ihn an; doch dieser rührte sich nicht, er war steif und starr, er war tot, sein Gesicht verklärte ein glückliches Lächeln. Endlich ließ der Sturm nach und der Morgen brach an und der Fährmann, der nun zurückkehrte, fand beide Männer in seinem Häuschen und hielt sie für tot, für erfroren; doch als er sie aufhob, tat Teramichi einen tiefen Seufzer, schlug die Augen auf und kam bald wieder zu sich, während Nishikaze tot blieb und begraben wurde.
Der junge Mann aber ging wieder seinem Berufe nach und wanderte tagtäglich in den Wald, erzählte niemand sein Abenteuer, das er mit der Schneefrau, denn eine solche war es, wie ihm zur Gewissheit wurde, hatte. So gingen zwei Jahre dahin.
Als er eines Abends nach vollbrachtem Tagewerk wieder heimwärts wanderte, begegnete ihm ein junges hübsches Mädchen, das ihm so gefiel, dass er sich in ein Gespräch einließ. Das Mädchen erzählte ihm, dass es Waise sei und zu entfernt wohnenden Verwandten wandern wolle, wo es hoffe aufgenommen zu werden.
Als das Paar nahe dem Dorf war, in dem Teramichi wohnte, sprach dieser zu dem Mädchen:
„Es ist jetzt Abend und kalt und die Wege sind unsicher; komm mit in meine armselige Hütte und nimm teil an dem bescheidenen Mahl, das meine Mutter bereitet hat! Ruhe dich dann aus und so du willst, kannst du morgen früh deine Wanderung fortsetzen!“
Das Mädchen, das sich „Juki“ nannte, nahm dies Angebot an und begleitete den jungen Mann in sein Haus, wo die Mutter ihm eine freundliche Aufnahme bereitete. Als es sich ausgeruht hatte und am andern Morgen sich wieder auf den Weg machen wollte, bat die Mutter, es möge doch noch einige Tage bleiben und wenn es niemand in der Welt habe, der es erwarte, so möge es bleiben, so lang es wolle und ihr etwas zur Hand gehen, da sie selbst schon alt sei und sich schon längst eine Stütze im Haus gewünscht habe. Da auch Teramichi, der zu dem Mädchen in heißer Liebe entbrannt war, sich den Bitten seiner Mutter anschloss, so schlug es ein und blieb im Haus.
Wie es nun so geht, wenn ein Mann einem Mädchen mit reiner Liebe zugetan, dass das Mädchen schließlich auch Liebe empfindet, so war es auch hier und es dauerte nicht lange Zeit, so hatten sich beide ihre Liebe erklärt und Teramichi und Juki wurden ein Paar.
Juki war stets eine brave Frau und verehrte ihre Schwiegermutter in kindlicher Liebe bis diese starb; dann widmete sie sich nur ihrem Mann und ihren Kindern, von denen sie im Lauf der Jahre ihrem Gatten zehn geschenkt hatte. Die Kinder blühten und gediehen und wuchsen heran; keine Krankheit, kein Unglück störte den Frieden und das Glück dieser Ehe, die jedermann als die beste im ganzen Land pries.
Als ganz besonderes Wunder aber wurde erwähnt, dass Juki immer jung aussah, immer blühend und in voller Kraft war und man keinerlei Spuren des Alterns bei ihr wahrnehmen konnte. So vergingen die Jahre, als eines abends im Winter, als das Paar im traulichen Zwiegespräch beisammensaß, wieder einmal ein furchtbarer Schneesturm losbrach. Der Mann erschauerte, indem er seines Erlebnisses in der Hütte des Fährmannes gedachte und sinnend betrachtete er seine Frau, die ihm schöner als je erschien und plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht eine Ähnlichkeit mit der Schneefrau zu entdecken, die ihm damals vor vielen Jahren das Leben schenkte. Diese Ähnlichkeit trat immer deutlicher hervor, so dass er den Ausruf nicht zurückhalten konnte: „Nein, du bist schöner!“
Juki wurde aufmerksam und fragte, was diese Worte bedeuten sollten; ohne zu zögern, halb im Traum, erzählte er ihr nun sein Abenteuer, das er mit der Schneefrau hatte und schloss seine Erzählung mit den Worten: „Sie war schön, aber geisterhaft schön; du aber bist menschlich, natürlich schön!“
Da erhob sich Juki und erschreckt sah der Mann, wie sie größer und größer wurde, wie ihr Gesicht sich verklärte, die Kleidung sich in lichtes Weiß verwandelte und sie endlich so vor ihm stand, wie damals die Schneefrau. Er stürzte zu Boden, streckte die Arme aus und rief: „Ja du bist es doch, verzeih, verzeih!“
Sie aber schüttelte das Haupt und herrschte ihn an:
„Ja ich bin es! Konntest du den Mund nicht halten, nachdem du solange geschwiegen hast? Ich könnte dich jetzt töten; ein Hauch aus meinem Mund würde deine Glieder erstarren lassen, das wäre die gerechte Strafe, dass du nicht nur dein, sondern auch mein Glück zerstört hast! Denn sieh!“ — hier nahm ihre Stimme einen milden Klang an — „als ich dich damals in jener Hütte als blühenden hübschen Jüngling so hilflos vor mir sah, da tatest du mir leid, aber nicht nur leid; ich fühlte den Wunsch in mir, auch einmal Menschenglück zu genießen, anstatt stets zu zerstören. Ja, ich liebte dich und nahte mich dir in menschlicher Gestalt, ich genoss an deiner Seite Jahre ungetrübten Glücks. Jetzt hast du es selbst zerstört und ich muss zurück in mein kaltes Reich und du? — Ich gedenke des Glücks, das ich genossen und der armen dort ruhenden Kinder, denen ich neben der Mutter nicht auch den Vater rauben will. Mögest du drum leben; bleibe den Kindern ein guter Vater und suche dadurch dein heutiges Unrecht zu sühnen!“
Damit drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn, der, obwohl eiskalt, wie Feuer brannte; die Tür sprang auf, ein wirbelnder Schneeschauer durchtobte das Haus und entführte Juki-onna, den Mann einsam zurücklassend.
Von diesem Tag an blieb er, der sonst stets heiter und guter Dinge war, ernst und kein fröhliches Wort kam mehr über seine Lippen; er lebte nur seinen Kindern, zog sie zu tüchtigen, braven Menschen auf und als nach vielen Jahren wieder einmal ein Schneesturm brauste, nahm dieser die Seele des Mannes mit und führte sie seiner „Juki-onna“ zu.
Die Leute aber sagten, als sie ihn am andern Morgen tot fanden, er sei erfroren.

Vor vielen Jahren jagte einmal im Wald von Shimoda (Anmerkung: Shimoda = Ort auf der Halbinsel Izu, nahe bei Yokohama. ) der Sohn eines Fürsten. Er hatte das seltene Glück einen schneeweißen Fuchs weiblichen Geschlechts zu fangen. Er wollte das Tier töten, aber Yasuna, der Sohn eines Tempelaufsehers, der sich an der Jagd beteiligte, bat es ihm zu schenken, weil er wusste, dass solche Füchse mit weißem Fell Zauberkräfte besitzen, mehrere tausend Jahre alt werden und sich in jede beliebige Gestalt verwandeln können. Aber der Sohn des Fürsten wollte das schöne Fell des Tieres für sich haben, schlug Yasuna die Bitte ab und befahl seinen Leuten die Füchsin zu töten. Yasuna aber bemächtigte sich dieser mit Gewalt, indem er mit den Jägern kämpfte und obwohl aus vielen Wunden blutend, konnte er doch mit dem Tier flüchten. Nachdem er eine Weile gelaufen war, brach er erschöpft zusammen; er musste die Füchsin loslassen, die schnell im Wald verschwand. Seltsamerweise kam plötzlich seine Verlobte Kuzunoha daher, die, als sie seine Wunden sah, sie ihm verband und ihn nach Hause geleitete. Yasuna war erstaunt seine Verlobte bei sich zu sehen, die er bei ihren Eltern, die in der Kumamoto-Provinz (Anmerkung: Kumamoto = Stadt und Provinz im Süden Japans nahe bei Nagasaki. ), weit entfernt von Shimoda, wohnten, vermutete, und fragte daher, wie es komme, dass sie sich jetzt hier befinde und ihn im Wald gefunden habe.
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