1 ...6 7 8 10 11 12 ...32 Es muss den Jungen sehr getroffen haben als er dann rausgeworfen wurde. Ich fragte mich wie sie seine Entlassung überhaupt erreicht hatten, denn seine Probezeit war ja schon vorüber. Sicher hatten sie Methoden. Man konnte alles erreichen, wenn man die verschlagensten Hinterfotzigkeiten im Petto hat, dachte ich mir… Jedenfalls stiegen so meine Chancen, den Ausbildungsplatz zu bekommen beträchtlich. Und ich sollte ihn auch bekommen.
…
Sascha befand sich damals bereits seit ein paar Monaten im ersten Jahr seiner Ausbildung. Er arbeitete im Lager einer Spedition und Lastwagenwerkstatt im Nachbarort. Ich hatte mich, genötigt von meinem Bildungsträger, während der ersten Wochen meines Praktikums selbst dort beworben, war nach Vorladung zum Einstellungstest gekommen und hatte die ganze Sache nach allen Regeln der Kunst und mit voller Absicht versiebt… Das war vielleicht was… Der Verein machte einen äußerst affektierten und selbstverherrlichenden Eindruck… Schlimm genug, einen Masseneinstellungstest zu veranstalten, mussten sie diesen in der schriftlichen Vorladung auch noch als »Assessement-Center« notdürftig zu verkleiden versuchen… Außerdem war das Schrauben an Lkws eine der dreckigsten und undankbarsten Arbeiten, die mir damals in den Sinn kamen… Alle Bewerber hatten in einem Nebengebäude der Firma eingefunden, sich in einem Stuhlkreis platziert und wurden daraufhin einzeln, jedoch so, dass jeder andere mithören konnte, von der versammelten Mannschaft aus Chefs, Juniorchefs und anderen Selbstdarstellern belauert und befragt. Wie Raubtiere auf Pirsch hatten die ihre potenzielle Arbeiterschaft eingekesselt und löcherten die nervösen Mägen mit Fragen… Warum man sich gerade bei diesem Betrieb beworben hätten, was einem an der Tätigkeit des Mechanikers anspreche, ob man bereit wäre, in Schichten zu arbeiten… Allein bei dem Gedanken stellten sich bei mir mit Schlafmangel verbundene Symptome ein… Sie wollten wissen was uns glauben ließe, wir brächten die nötigen Eigenschaften mit, für ihr prestigeträchtiges Unternehmen dienlich zu sein und all den anderen schwachsinnigen Mist, den man bei Vorstellungsgesprächen so zu hören bekommt… Als man mich fragte wie ich dazu käme, Mechaniker werden zu wollen, begründete ich damit, dass ich von Technik, Fahrzeugen und Motoren begeistert wäre… Standardantwort… Noch während ich mich fragte, ob das tatsächlich so wäre, forderte man mich urplötzlich auf, die Namen von ein paar Nutzfahrzeugherstellern aufzuzählen… Wer hätte mit einer derartigen Vorlage gerechnet? Man brauchte sich gar nicht anzustrengen, um sich zum Deppen zu machen… Also nutzte ich die Chance, indem ich nach einer kurzen Zeit des Grübelns antwortete, dass mir jetzt aus dem Stehgreif keine einfielen. Damit hatte ich die Sache auch schon hinter mich gebracht, war mit dieser Antwort sofort unten durch. Jedoch ließ ich guten Willens noch eineinhalb weitere Stunden von Tests und Gesprächen über mich ergehen. Als die Sache beendet war, fand ich mich draußen, in strömendem Regen, auf den Bus wartend und durfte zu guter Letzt eine Fahrt von zehn Minuten, über drei Haltestellen, für etwa drei Euro bezahlen… Na, dann Prost den zukünftigen Azubis der Firma.
Jedenfalls hörte ich nie wieder etwas von diesem unmöglichen Arbeitgeber. Allerdings bekam ich vieles über den Schuppen von Sascha zugetragen. Mit jeder seiner Geschichten wuchs meine Zufriedenheit, nicht dort angefangen zu haben, ein Stück mehr… Anscheinend wateten die Malocher anderswo annähernd genau so tief in der Scheiße wie an meinem Ausbildungsplatz.
Jeden Mittwoch, im Anschluss an seinen Besuch der Berufsschule, besorgte Sascha etwas Gras von einem seiner Klassenkameraden und kam anschließend zu mir. Es wurde zum Ritual… Die Treffen und die paar miteinander gerauchten Joints, während der Abend in die Nacht überging… So zelebrierten wir allwöchentlich das Bergfest… Dazwischen saßen wir herum und hatten, wie das so ist, wenn man mit dem Kiffen anfängt, viel zu Lachen und massenhaft Erzählstoff. Die Vorzüge der rauschbefeuerten Kommunikation waren entdeckt… Unsere Ansichten glichen sich immer mehr an. Vom Stoff auf eine gemeinsame Bewusstseinsebene gehoben… Oder gesenkt… Geblendet… Oder irgendwas, scheißegal… Wir gewöhnten uns bald an, immer genug Trinkbares griffbereit zu haben, um dem lästigen Pappmaul entgegenzuwirken. Das einzige was meinem Kumpan manchmal zu schaffen machte waren seine Augen. Wenn er geraucht hatte, überkam ihn ein Gefühl, dass er mir als ein Eintrocknen seiner Augen beschrieb. Ich ignorierte es zuerst, versuchte davon abzulenken, verspottete ihn bald aber zusehends und meinte das könne gar nicht sein… Irgendwann später hörte ich jemand anderen über die selben Beschwerden klagen und schlussfolgern, dass es an einer Gewöhnung des Auges an Kontaktlinsen zu liegen habe… Und die Droge würde nicht positiv zu dem ungewohnten Gefühl beitragen… Sachen gabs.
Wir ließen nichts aus… Auch die typischen Fressanfälle waren zunächst ein fester Teil unseres Programms. Nachdem wir uns eine Weile selbst unterhalten hatten, gingen wir dazu über den Fernseher oder die Konsole einzuschalten… Die Gespräche hörten auf… Es ließ sich immer seltener ein Thema finden, was wir nicht schon durchgekaut hatten.
Sobald man an die Droge etwas gewöhnt ist und man anfängt das Erleben des Rausches zu durchschauen, verkommt das, was man vorher als neu empfunden hat, zu einer Gewohnheit… Man kann zwei oder mehr routinierte Kiffer in einem Zimmer auf die Couch setzen, den Fernseher oder auch nur Musik laufen lassen und so lange sie etwas zu trinken haben, sie sich in einer wohligen Lage befinden, die nicht gestört wird, so werden sie kaum miteinander reden. Vorausgesetzt sie sind gerade wirklich hackebreit, von den klebrigen, aber zumindest Wärme heuchelnden Pranken der Droge umschlossen… Diese Erfahrungen sollten sich nach Ablauf eines längeren Zeitraumes einstellen… Zu der Zeit als ich mit der Arbeit begann, erschien mir das Kiffen noch ein gelegentlicher Zeitvertreib… Ich redete mir ein, es habe keinen großen Stellenwert… Selbst wenn… Wen interessiert es, solange man nicht in Scherereien geriet? Später versuchten wir Wege zu finden, die den Rausch wieder reizvoll machen sollten, indem wir uns einen anrauchten und Blödsinn innerhalb der Außenwelt trieben.
Aber mal ehrlich… Wir zählten gerade etwas über sechzehn Lenze und Discos waren noch nicht von allzu großem Interesse… Vor allem nicht für meine Person. Das wäre so gar nicht mein Ding, sagte ich mir immer wieder, mich für einen ruhigen Trinker, einen Liebhaber geselliger Runden in der Stube, allerhöchstens noch in einer Kneipe haltend und verbrachte daher die Wochenenden lieber damit, Trinkspiele zu spielen und altklug mit den Kumpanen zu schwadronieren… Unter der Woche war das Trinken kein guter Zeitvertreib, wenn man am nächsten Tag aus dem Bett kriechen sollte, um sich hastig aufzupolieren und blitzblank und mit ehrenhaft gespieltem Tatendrang, an der Arbeit zu erscheinen. Also haben wir ein wenig gekifft und fühlten uns am nächsten Tag blendend. Gras war sowieso eine wesentlich mildere Droge als Alkohol. Jeder Mensch brauchte eine Art Ventil, um abends mal runter zu kommen… Dampf abzulassen, der über den Tag Druck aufgebaut hatte… Besonders, wenn man den ganzen Tag mit einem tollwütigen Affen arbeiten musste. Ich malte mir aus wie viele von den Leuten, denen man tagtäglich über den Weg lief, sich abends angenervt vor den Flimmerkasten setzten und ihre drei bis vier Bier vernichteten… Wir trafen uns stattdessen und qualmten Joints… Und tranken unsere drei bis vier Bier.
An manchen Wochenenden suchten meine Freunde gezielt die Discos auf, in die man mit etwas Glück und Erlaubnis der Eltern hereingelassen wurde, nachweislich eines vorgefertigten Formulars, welches man sich aus dem Netz, nämlich auf der Präsenz des erwählten Veranstalters, besorgen konnte… Tatsächlich wurden mit diesem Formular meist ältere Geschwister zur Urkundenfälschung angestiftet… Man musste es schließlich an der Tür vorzeigen und eine gemäß den Eintragungen bevollmächtigte Person, hatte halbwegs nüchtern als Vormund aufzutreten… In der Praxis meist selbige ältere Geschwister, die die elterliche Unterschrift beherrschten… Klang nach einer Menge Spaß und Freiheit, nach Legenden schreibenden Ausschweifungen und phänomenaler Ausgelassenheit in der großen, zügellosen Welt des Nachtlebens… Nein! Außerdem hatte mir jemand mal erzählt, dass es durchaus normal sei, an einem solchen Abend fünfzig Euro loszuwerden… Ich wunderte mich sehr darüber, hielt das Ganze für eine Farce und wies alle Einladungen ab, es selbst einmal zu probieren. Beim Vortrinken jedoch war ich immer dabei.
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