Dazu kam es zum Leidwesen aller Bediensteten tatsächlich… Einzig das Wiesel lebte regelrecht auf, nun da es seine Mitarbeiter zu jeder Zeit, in der es möglich war und auch wenn es, bedingt durch die Auslastung der Werkstatt, eigentlich nicht möglich war, beschäftigen konnte… Das ging zu wie auf der Großbaustelle. Unter dem Dach hämmerte es noch ärger als aus der Werkstatt und, sobald sich dort für bloß eine Minute lang keine Schraube mehr drehte, sollte man in Windeseile in der Wohnung aushelfen oder wurde unter sonst einem Vorwand in die Renovierungsarbeiten hineingezogen.
Überhaupt war dieser Mann… Nein, dieses Wiesel… Von einer krankhaften Arbeitswut besessen, die es nie zur Ruhe kommen ließ. Ständig fing es neue Baustellen an und nie konnte ihm eine Arbeit schnell genug verrichtet werden. Aus Zeitmangel wurden Projekte eingestellt, nur damit wenig später, bei gleichzeitiger oder versetzter Wiederaufnahme der eingestellten Vorhaben, wieder neue begonnen werden konnten… Ich fing ernsthaft damit an, ein System dahinter zu suchen, es aufdecken und erkennen zu wollen, bis zu einem gewissen Grad, ab dem man ins Unerklärliche stieß, zumindest… Sollte es unserer Arbeit auf mir unersichtliche Weise zuträglich sein, dass man wegen zahlreichen, überstürzt begonnenen und nur halb zu ende gebrachten Projekten bald völlig den Überblick verlor?… Oder war der Kerl einfach nur ein Sadist?… Masochist?… Psychopath?… Ständig wurde während der Renovierung Werkzeug aus den Schränken in der Werkstatt geplündert und bald flog es überall in der Wohnung herum. Dauernd mussten die Kollegen hinauf in den zweiten Stock rennen, um sich das Zeug wiederzubeschaffen… Oder sie schickten mich… Eine Strategie, die sie jedoch aufgeben mussten, denn sobald ich mich vor den Augen des Wiesels blicken ließ, brüllte es mir schon Anweisungen entgegen und ließ mich nicht mehr gehen… Bald wusste keiner mehr, welches Werkzeug wo zu finden war. Das Wiesel pflegte darauf zu reagieren wie ein großes, zorniges und dummes Kind, wenn man ihm das angeforderte, aber unauffindbare Utensil nicht schnell genug brachte… Oder, wenn man aus eigenen Belangen um eines der Spielzeuge bat, das es selbst gerade in den Krallen hatte… Meine schlimmste Befürchtung war es, wieder davonschleichend, selbst in den Wahnsinn getrieben zu werden.
Die vorgebliche Vergesslichkeit, welche aus der Selbstsucht resultierte, mit der das Wiesel uns für seine wertlosen Vorhaben einspannte, war brillant… Ohne je auch nur ein Wort des Dankes zu verlieren, hielt es uns im Trab. Ständig machten wir unbezahlte Überstunden und wurden dafür belohnt mit Wutausbrüchen und noch mehr Überstunden am Folgetag. Denke ich jetzt daran zurück, fällt mir ein, dass ich angesichts dieser Methoden nur selten richtig handelte… Ich sehe mich, zusammen mit ihm auf der Treppe stehend und den Werkzeuganreicher spielend. Es war schon dunkel geworden und das Wiesel installierte neue Türklingeln. Es kroch eine lähmende Wut in mir hoch, während ich, am Leben erhalten von dem dringenden Wunsch nach Hause zu gehen, wie ein Garderobenständer herumstand und mir das Zeug aus den Händen und Taschen reißen ließ… Und seine Arbeiten wollten kein Ende nehmen… Fast sah es so aus, als ob es sich mehr Zeit als gewöhnlich ließ, um mich bei sich zu behalten… Noch dazu hatte das alles nichts mit der Arbeit zu tun, die man erwartet, in einer Werkstatt tun zu müssen. Bis zum Bersten voll mit unterdrücktem Hass, platzte mir endlich nervös heraus, ich müsse nach Hause gehen… Dann legte ich von bösen Blicken verfolgt die Sachen ab und schleppte mich Heim. Von selbst wäre dem nie eingefallen, mich gehen zu lassen… Brillante Vergesslichkeit!
Nach und nach rissen wir die ganze verkommene Bude auseinander. Schweres Werkzeug wurde verwendet. Der gesamte Vorraum der Mietwohnung war mit splittrigem Holz getäfelt, das gute zwanzig bis dreißig Jahre zuvor von den Händen eines großartigen Stümpers an den alten Fachwerkbalken befestigt worden war… Wild zusammengepfuscht, mehrfach unterfüttert, mit Verstrebungen aus Kanthölzern und Wagenladungen rostiger Nägeln befestigt stand es uns wie das Bollwerk einer feindlichen Macht entgegen… Das Wiesel kauerte auf einer Leiter und wütete mit der Kettensäge auf dem schreienden und unnachgiebigen Material herum. Währenddessen eilte ich zwischen den geschossartig durch den Raum sausenden Holzsplittern umher, gab Unterstützung und erstickte in den Abgasen der Motorsäge und dem sich damit vermischenden Staub, als es obendrein das unterliegende Backsteingemäuer mit Hammer und Meißel bearbeitete… All das mit einer irrsinnigen Wut. Es schien seinen ganzen Frust und Jähzorn auf das Haus entladen zu wollen. Wie am Fließband schaffte ich haufenweise Schutt in Eimern die Treppe herunter und kehrte den Staub zusammen, während von oben neuer Dreck auf mich herabrieselte. Der ganze Eingangsbereich sollte neu verkleidet und die Elektrik neu verlegt werden.
Meine romantische Vorstellung vom Schrauben an Amischlitten, sank zusehends in sich zusammen… Stattdessen war ich zum Zimmermannsgehilfen geworden, strich die Wände, entfernte alte Tapeten, half beim Tapezieren, machte immer wieder sauber, schaffte ganze Mülldeponien füllende Berge von Schutt und Unrat weg, half beim Fliesenlegen, beim Makulieren der Balken, beim Verkleiden der Decken, schwang zwischen jedem Arbeitsgang den Staubsauger und atmete doch immer wieder Dreck ein… Schwitzte, fluchte und blutete, half beim Anbringen neuer Türrahmen und fuhr beinah jeden zweiten Tag mit in den Baumarkt, um neues Material zu beschaffen. Sehnlichst wünschte ich es mir, einen Führerschein zu haben, um wie die Kollegen, wenn sie zur Pannenhilfe fuhren, ab und an aus dieser Hölle herauszukommen.
Schmörgel war unterdessen die Entwicklung eines bescheidenen Verständnisses für die komplizierten Mechanismen des sich Drückens gelungen… Er verstand sich immer besser auf sein Versteckspiel in den Ecken, tauchte aber zumeist zum ungünstigsten Zeitpunkt wieder hervor oder wurde erwischt, wie er sich ungesehen glaubte und das aus Alibigründen mitgenommene Kehrblech in die Luft warf und wieder auffing. Damit ging er auch den Kollegen zusehends auf den Wecker und machte sich nicht viel beliebter. Sein Mangel an Intelligenz und seine Ungeschicklichkeit spielten da zusätzlich mit rein. Er wusste sich einfach nicht zu verhalten in dieser prekären Lage, konnte nicht die einfachsten Maßnahmen ergreifen, um Ärger zu vermeiden. Stattdessen verschlimmerte er die Wutausbrüche des Wiesels, indem er mehr im Weg stand, als dass er half. Die meisten der ihm aufgetragenen Arbeiten schaffte er nur mit Hilfe… Aber er bleib lange sorglos dabei… Man konnte sich kaum vorstellen, dass er sich seines Schicksals bewusst war.
Unsere verehrten Vorgesetzten befragten auch mich, was ich von der Sache hielte und schilderten mir ihre Sicht der Dinge. Erzählten mir es gäbe Probleme mit Stefan und er habe sich seit Ende seiner Probezeit sehr zum Schlechten geändert… Sei faul geworden und drücke sich vor der Arbeit. Bald darauf veranlassten sie ein Gespräch mit seinen Eltern. In der Zeit nach diesem Gespräch war der Junge auf einmal sehr verändert… Völlig panisch und verängstigt seinen Job zu verlieren. Er wand sich immer wieder an mich, da er offenbar bemerkt hatte, dass ich besser zurechtkam als er und sagte mir bei jeder Gelegenheit mit vor Demut wässriger Stimme, er müsse sich mehr Mühe geben. Aber was hatte ich denn damit zu schaffen? Ich war der neue Anwärter auf seine Stelle… Auch nur doof hereingefallen… Nach einer Weile ignorierte ich sein Gejammer. Schließlich musste ich ja irgendwie sehen, wie in diesem Irrenhaus zu überleben wäre… Sollten sie ihn doch rausschmeißen.
Hin und wieder überlegte ich zwar, die ganze Scheiße einfach hinzuschmeißen, fragte mich, ob es die Mühe überhaupt wert sei, sah aber auch keinen anderen Weg, aus meiner damaligen Misere herauszukommen… Hatte ganz plötzlich die meiste Zeit meines berufsvorbereitenden Jahres hinter mir… Verdammt noch mal, was war mir die Zeit weggelaufen!… Noch einmal von vorne anfangen kam nicht in Frage.
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