Außerdem war da noch ein Geselle, der noch nicht allzu lange in der Firma arbeitete… Alex, ein schlaksiger, Vollbart tragender Chaot, der Morgens mit seinem in die Jahre geratenen BMW Coupe zur Arbeit kam, aus dessen geöffneten Fenstern an wärmeren Tagen Rockmusik der härteren Gangart donnerte… Er war mir von Anfang an sympathisch. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten und dumme Späße machen. Er schien mir der Lockerste im Betrieb und ließ sich am wenigsten schikanieren, was mitunter daran gelegen haben mochte, dass er noch nicht lange der Verrohung durch diese Tretmühle ausgesetzt war und den Job jederzeit hätte hinschmeißen können, wenn ihm danach gewesen wäre… Bei den wenigen Gelegenheiten, die sich mir boten, arbeitete bevorzugt mit ihm zusammen. Er ließ mich mit anpacken, erklärte mir nebenher ein wenig, was zu tun war und warum und schickte sich ohne Krampf und Mühen dabei an, mich nicht wie einen Idioten daneben stehen zu lassen. In meinen Augen war er ein guter Mechaniker und konnte außerdem prächtig schweißen. Eine Eigenschaft, die er in der Firma allen voraus hatte… Auch wenn unser Chef sich immer wieder mit seien Schweißerkünsten zu profilieren versuchte, gegen den Gesellen schnitt er mit seinem verkniffenen Herumgebruzel auf rostigen Auspuffanlagen eher schlecht ab.
Treudoof und bucklig auf seinem schrottreifen Mofa daherschleichend und alle zum Morgenappell Einkehrenden mit knatterndem Lärm und durchdringendem Zweitaktgestank begrüßend, sah man um kurz vor acht den zweiten Azubi aufschlagen, wenn er nicht gerade Berufsschule hatte oder sich verspätete… Scheppernd machte die Maschine einen Satz über den Bordstein, nebelte den Hof ein und fuhr einem fast über die Füße. Sobald der Junge seinen Ofen endlich ausgestellt hatte, war man schon fast vorbereitet für einen Wutausbruch des großen Mackers… Mann, was war das eine Wohltat für die Ohren!… Schmörgel stellte alles andere als eine geistige Leuchte dar… Eher eine armselige Funzel in einem dunklen, nassen Keller. Sein Dasein in der Firma fiel ihm folglich nicht leicht und er konnte einem zuweilen schon ein wenig leidtun, wie er sich so abmühte, aber nichts auf die Reihe bekam… Im Gegensatz zu mir, hatte er schon ein geschlagenes Jahr damit verbracht sich einzuleben, funktionierte aber noch immer nicht so, wie man es von ihm erwartete. Sein Spitzname kam von den Kollegen. Sie erzählten mir die Anekdote, wie er diesen bekam, während einer Mittagspause… Man erteile ihm die Aufgabe, die Schubladen der Werkzeugschränke mit Angaben über ihren Inhalt zu beschriften. Eine der Schubladen enthielt Schleifpapier und er beschriftete sie mit dem Wort Schmörgelpapier… Als die Kollegen sein Werk entdeckten, hatten sie augenblicklich nicht nur was zu lachen, sondern gleich eine willkommene Vorlage, ihn aufzuziehen… Wenn er etwas verbockte oder eine dumme Frage stellte… »Du bist aber auch ein trotteliger Schmörgel! Menschenskinders!…« Oder sie beobachteten ihn bei seinem Murks… »Na Schmörgel, bereitest du die nächste Katastrophe vor?…« Bei einer Bremsenreparatur drückten sie ihm einen der Beläge in die Hand, zeigten darauf und erklärten ihm die Ähnlichkeit, die zwischen der Funktion des Bremsbelages und seiner Rolle im Betrieb bestand… Ich durfte mir noch die eine oder andere Anekdote über ihn anhören… Doch erst als ich wirklich mit ihm zusammenarbeitete, wurde es unwiderlegbar, dass er hier wirklich am falschen Ort war.
…
Die Werkstatt war in einem geduckten, an das Wohnhaus des Mackers und seines Mannsweibes geklebten Anbau untergebracht… Das Haus selbst, eine alte, schiefe Fachwerbude, im Zuge weiß-nicht-wie-vieler Renovierungen verputzt, verbaut, verklinkert und derart verschandelt, dass es von außen nichts mehr von seiner Grundsubstanz erkennen ließ. Von der Werkstatt aus gelangte man in den Keller des Hauses, der nun Lagerräume für den Werkstattbedarf und allerlei Unrat, eine Waschküche und einen Umkleideraum beherbergte. Im ersten Stock befanden sich Büro und Wohnhaus, ein Stockwerk darüber hatte das Schrauberehepaar noch eine Wohnung, die vermietet wurde. Darüber lag dann noch ein verwahrloster und verdreckter Dachstuhl, wo wahllos unbrauchbare alte Sachen und Baumaterial gelagert wurden und Staub ansetzten, wohin sich also die muffige Vergangenheit des Hauses zum Sterben geflüchtet hatte… Aber nie ganz damit fertig geworden war… Alles in allem der blanke Irrsinn auf vier Ebenen, mit Anbau.
Insbesondere die Lagerräume, die sich im Keller befanden, waren nicht viel mehr als verdreckte Löcher. Alles war krumm, schief, uralt und verstaubte Spinnenweben hingen wie faules Segeltuch in den Ecken… Die Decken waren so niedrig, dass man als Mensch von normaler Statur ständig gebückt umherirren musste. Schon die architektonischen Gegebenheiten machten einem unterbewusst klar, dass man zu kriechen und sich den gegebenen Strukturen zu fügen hatte… Ebenso die Toilette, welche sich unter der zweiläufigen Treppe mit Zwischenpodest vor dem Wohnhaus befand. In der so eingeschachteten Bedürfniskammer waren die Bodenfliesen zersprungen und in den Rillen sammelte sich der Schmutz. Man stieß schon bei normaler Statur im Stehen mit dem Kopf an die Decke und konnte nie in Ruhe scheißen, denn ständig hörte man Schritte über sich, wenn jemand die Treppe rauf oder runter lief. Man sah körperhafte Schemen vor der Milchglasscheibe in der Tür vorbeihuschen und hörte derart oft Autotüren zuschlagen, dass man sich den Kopf des Schlagenden zwischen Tür und Einstieg wünschte… Irgendjemand keifte herum, der Lehrling rupfte Unkraut aus den Fugen des Pflasters oder schabte mit einem Messer darin… Irgendetwas war immer… In jeder Ecke der sogenannten Lagerräume flogen undefinierbare Gerätschaften, altes verklumptes Werkzeug und anderer Unrat herum, der mich allein schon durch seinen Anblick dazu brachte, mir auszumalen, wie man am besten all den Müll abfackeln könne. Mein Chef war aber beherrscht von krankhaften Trennungsängsten… Außer es ging um seine Mitarbeiter… Wie ein Hamster oder ein dickliches, gedrungenes Mauswiesel hortete er Dinge, deren Wert und Verwendung er selbst allerdings kaum bestimmen konnte… Vielleicht würde man sie ja nochmal brauchen, hieß es stets… Bei einer zukünftigen Gelegenheit. Sicher… Und solange verschwanden sie eben in den dunklen und verstopften Eingeweiden des Hauses… Trotzdem wurde benötigtes Material regelmäßig neu herangeschafft, da selten jemand den Überblick darüber behielt, was noch irgendwo in dem mit irrsinniger Effizienz errichteten Chaos lagerte.
Die Mietwohnung sollte, in den meiner Anstellung folgenden Wochen und Monaten, eine Großbaustelle werden, die die ganze Firma beanspruchte und für viel Stress sowie einen nicht endenden Schwall an Drecksarbeit sorgen würde. Man hatte sie nach langem wieder betreten und fand sie von der ehemaligen Mieterin in unfassbar verwahrlostem Zustand zurückgelassen. Ich selbst war nicht dabei gewesen, die Kollegen erzählten mir zur Veranschaulichung jedoch von dem, was sie vorgefunden hatten… Christoph habe sich beim Blick in die Küche und den Kühlschrank beinah übergeben müssen und sei sofort getürmt… Die gesamte Einrichtung, die Heizkörper und weitere Teile der Wohnung seien von der Mieterin in den verrücktesten Grüntönen gestrichen worden und eine Schaukel habe an den Holzbalken in einem der Zimmer gehangen… Es waren überall Nägel in die Balken des Fachwerkgerüstes geschlagen, die Tapeten waren völlig vergilbt und schälten sich bereits von den Wänden… Dahinter hockte fusseliger Schimmel… Auch das Badezimmer war von Schimmel und Dreck verwüstet, überall lag Müll herum und der Schmutz steckte sowieso in allen Poren der desolaten Wohnung… Meine Freude hielt sich in Grenzen, als sie mir sagten, das Wiesel habe vor, sobald etwas Zeit übrigbleibe, mit vereinten Kräften die Renovierung voranzutreiben.
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