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I won't end up like them at all.
This town will take you kissing trees,
before you see the forest bleed.
Teen creeps I've tried to hold it back.
No Age, Teen Creeps
Fremd, groß und neuartig kamen mir die Umbrüche in meinem Leben vor… Die unmittelbare Abspaltung, das automatische Weggehen von den verschiedenen Freundeskreisen, nachdem ich die staatlichen Konformierungsanstalten hinter mir gelassen hatte und den Kontakt zu den Schulkameraden langsam verlor. Stattdessen musste ich mich nun mit den Spinnern an der Arbeit herumschlagen… In meinem naiven Argwohn betrachtete ich die Umstände als den Beginn einer fortwährenden Desillusionierung, die mit dem häufig in Gesprächen Älterer und Gleichaltriger, in Filmen, Büchern und sonstwo aufgeschnapptem Begriff »Erwachsenwerden« verbunden zu sein schien… Ich maß diesen Wandlungen erhebliche Bedeutung bei.
Es bleiben eine Gruppe länger bekannter Freunde übrig, die zu meiner Schulzeit und auch noch eine Weile danach feste Faktoren im pittoresken Vorstadtleben darstellten, und auch im örtlichen Vereinsleben hatten sie sich bereits seit der Grundschulzeit etabliert… Alles schien stur und einspurig in vorgelegten Gleisen zu fahren… Die Mehrheit unter ihnen spielte Handball bei der TSG. Diese sogenannte »Turn- und Sportgemeinschaft« wäre weniger euphemistisch betitelt gewesen mit einer Veräußerung des wahren Endzwecks der dortigen Zusammenkünfte, der sich meist erst nach den Hampeleien auf dem Spielfeld herausstellte… »Trink- und Saufgemeinschaft«… Schon von der Grundschule an, war mir die allübliche Vereinsmeierei zuwider… Die Leute dort in der Turnhalle waren alt und hässlich… Die konnten einen regelrecht in Schreckstarre versetzen. Sie verhielten sich nicht wie Erwachsene, tanzten, sprangen plötzlich auf und krakeelten herum und sie schrien die Kinder und Jugendlichen an, die, dieses Verhalten unterstützend, verbissen und schwitzend einem saublöden, schmutzigen und abgewetzten Ball hinterher hechelten… Ich wollte da nicht mitmachen… Gott sei Dank, versuchten meine Alten nicht mich dafür zu begeistern… Mussten wohl selber Muffensausen davon bekommen haben.
Später erkannte ich schließlich, dass einige meiner Freunde durch ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Verbänden vor allem Kontakte zu knüpfen suchten und, was noch sehr viel besser war, Mädchen kennenlernen konnten… Bald verkehrten in reger Abwechslung die unterschiedlichsten Gören mit uns… Für mich immer wieder neue schöne Gesichter, die allen anderen bereits vertraut und verbunden waren. Zum ersten Mal verfluchte ich sie… Mitsamt ihrem Nutze der Angepasstheit.
Meistens hingen wir rum, bei mir im Kellerzimmer, in Saschas Kellerzimmer, in der Kellerbar des Großvaters eines anderen Freundes… Überhaupt mit frappierender Häufigkeit in Kellerräumen… Oder auf der Straße, gelegentlich verbunden mit Ausflügen in die umliegenden Dörfer, um die Mädels dort zu besuchen, die oft im Dachgeschoss ihre Herberge hatten. Wir tranken unterhielten uns, rauchten Shi-Sha… Die gruben die Mädchen an und flirteten mit ihnen… Wo hatten sie das gelernt? Was das Flirten anging, war ich total auf dem Holzweg… Mein Bild von den Mädchen beschränkte sich darauf, sie in zwei Kategorien einzuteilen… Engel oder Nutten… Meistens fingen sie als Nutten an, wandelten sich aber bei näherer Betrachtung und hoffnungslos romantischer Verklärung meinerseits bald zu Engeln… Wachsende, strahlende Begehrlichkeiten… Ich war stets höflich, nett und hörte brav zu, wenn sie von ihren kleinen Sorgen und ihrem pubertärem Mädchenzeug redeten… Angetrieben von der Hoffnung, ihnen auf diese Weise näher zu kommen und verschränkt auf den Glauben, sie würden sich bald für mich interessieren… Immer verrückter wurde ich nach ihnen, sah nichts mehr außer den Engel in ihnen. Eingeleitet von einem ungeschickt dahergestammelten Annäherungsversuch, indem ich sie in einer halbwegs von der Gruppe isolierten Situation zur Rede stellte, beendete ich die Sache für mich… Dann fielen sie wieder in den Rang der Nutte zurück… Ich begann zu beobachten, wie die anderen Jungs sich die größten Dreistigkeiten bei den Mädels erlaubten und wie sie dafür von ihnen belohnt wurden. Mit Zuwendung und neckischen Zärtlichkeiten… Ich kam aber nicht dahinter… Blieb nur ein Zuschauer bei dem Spiel, dessen Regeln ich nicht begriff.
…
Die Höhle war voll und ihr antiquierter Charme eingehüllt in Zigarettenqualm und dem Geruch von Bier und Schnaps und dem Hall unserer schwerer werdenden Zungen… Dem angetörnten, jugendlichen Gesprächsstoff… Ein kleiner Raum, in den man durch den provisorisch wirkenden Wintergarten des Hauses gelangen konnte, voll ausgerüstet mit einer Sitzbank in der einen Hälfte des Raums, zwei Tischen und ein paar Stühlen, gefliestem Boden, einer betagten Musikanlage, einem alten Fernseher und einer Bar in einer Nische neben der Tür, mit Kühlschrank, Eisfach, einer Zapfanlage aus fleckigem Messing, im Rücken eine Spüle und ein dunkler Eichenschrank für die zahlreichen Gläser. Knapp unter der Decke befanden sich Zierregale, an die Wände rings im Raum angebracht, auf denen Fläschchen mit Schnapssorten aus aller Herren Länder und längst vergessenen Tagen aufgereiht waren… Viele von diesen kleinen Schätzen wurden irgendwann später, von ungebetenen Besuchern, während einer Geburtstagsfeier, zerstört… Die komplette Einrichtung stammte wohl noch aus den Siebziger Jahren und es hatte etwas von einer verrauchten, schummrigen und würdelos gealterten Eckkaschemme… Wir fanden es gemütlich dort unten, wie wir an den Tischen saßen, in einer Versammlung von vielleicht zehn oder zwölf Leuten, und die Biergläser und das Hochprozentige vor uns aufgereiht sahen.
Ein Würfelbecher ging herum… Neben den Gesprächen in alle Richtungen über den Tisch hinweg, wendete man sich seinem Nachbar entgegen, wenn dieser einem die CD-Hülle mit dem Becher darauf anreichte und hatte meist schon wieder die Zahl vergessen, die man mit dem eigenen Wurf überbieten sollte.
Je mehr ich getrunken hatte, desto misstrauischer wurde ich meinem Nebenmann gegenüber.
»Was hast du?…« Und ich nahm, vorsichtig genug, die abgedeckten Würfel nicht umzuwerfen, die Fracht mit zwei Händen entgegen… »Fünfundsechzig…« Ich sah meiner Nachbarin in die Augen… »Fünfundsechszig?! Na klar, haste ja immer…« Ließ sie selbst noch einmal unter den Becher sehen… »Ganz sicher?…« Und versuchte weiter aus dem dunklen Blau ihrer Iris zu lesen… Sie wendete sich etwas ab… Zuckte mit den Schultern… Ich überlegte kurz, ob es ihr erster oder bereits ihr zweiter Wurf war. Das konnte entscheidend sein. Aber ich hatte es nicht mitbekommen… Ich hob auf… Fünfundsechzig.
»Hmm, ja… Noch einen für mich…« Es galt zwischen Bier und Schnaps zu wählen… Ich entschied mich einen Kurzen als Strafe für meine Fehleinschätzung zu trinken… Kopf in den Nacken… Schwupp… Kurz warten… Nicht das Gesicht verziehen… Einen Schluck Bier hinterher… Nur fürs gute Gewissen.
Bald gab ich mir immer weniger Mühe, die Vorgänge des Spiels zu verfolgen. Schnaps und Bier taten ihre Wirkung… Und drängten mir immer deutlicher das Gefühl des Verlangens auf, diesem gerade neben mir sitzenden Mädchen gegenüber, das so richtig schmutzig zu den Späßen Lachen konnte, die um mich herum geschahen… Eine Brünette mit blauen Augen, die wie die Jungs Handball spielte und meinem Empfinden nach schon in den Stand des Engels aufgestiegen war… Sie begleitete die Gruppe seit einer Weile.
Mit fortschreitender Zeit begann die Versammlung, sich langsam aufzulösen. In unregelmäßigen Abständen rückten die Gäste vom Tisch ab, sagten Ade und schlugen sich hinaus in die Nacht. Das Mädchen blieb. Wir hatten aufgehört zu spielen. Sie schwieg und schaute nachdenklich in ihr Glas, während die verbliebenen Freunde um den Gastgeber und mich keine Schwierigkeiten hatten, sich gegenseitig bei Laune zu halten… Man musste die Chance nutzen… Ich glaubte zu dieser Stunde fest daran, eine günstige Situation aufgefunden zu haben… Man musste es wagen… Jetzt oder nie. Also sagte ich zu ihr, ich müsse sie wegen etwas sprechen und bat sie mir nach draußen zu folgen… Vor der Tür fragte ich sie in naiver Erwartung, ob sie mit mir zusammen sein wolle… Einfach so gerade heraus… Haha! Sie wies mich natürlich ab. Wütend und enttäuscht, forderte ich sie auf mir zu sagen warum und verstand die Welt nicht mehr.
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