Zu meiner Erleichterung kaufte man mir meine Geschichte ab. Natürlich zweifelte ich nicht, dass es Hintergedanken gegeben hatte aber, man sprach mich nie wieder auf den Hergang des »Unfalls« an.
Der Macker räumte entrüstet das Feld, die Werkstattüre flog zu und die Tore zitterten wie ein verängstigtes Tier in der Falle, stampfende Schritte auf den Treppen zum Wohnhaus, zuletzt krachte die Haustür in die Angel… Feiner Zug von ihm, seinen Hass und seine Wut dieses Mal am Gemäuer auszulassen… Alles war wie geplant verlaufen und so machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, um mich in anständige Klamotten zu werfen und anschließend meine Diagnose einzuholen… Wie man es mir schon prophezeit hatte… Ein Besuch bei meinem neuen Hausarzt, dem ich mich anvertraut hatte, nachdem die Hippietante zur Privatpatientendoktorin geworden war… Erneutes betasten… Ein kurzes Gespräch, bei dem der Mann mit Halbglatze nebenher hastig über bürokratischen Korrespondenzen fluchte, zwischendurch seine Fragen zum Unfallhergang auf mich einprasseln ließ, sich dann wieder empörte, er hätte mittlerweile mehr mit dem Papierkrieg und den Krankenkassen zu tun, als dass ihm noch Zeit für die vielen Patienten übrig bleib… Viele seiner Ärztekollegen zögen sogar schon externe Firmen hinzu, die sich dafür bezahlen ließen, sich um den anfallenden Papierkram zu kümmern… Raus aus dem Untersuchungszimmer… Zum Empfang… Da winkte mir eine Auszubildende schon mit der Überweisung entgegen… Mit dem Bus in die Stadt… Ein Irrlauf über die verwinkelten Krankenhausflure… Warten… Röntgen… Erneutes Warten zwischen schlaffen Gesichtern und eingeknickten Betriebsunfällen, Bandagen und Gipsen… Krücken… Dem allgemeinen Siechtum.
Nach der Prozedur saß ich ganz benommen daheim, war selbst eingegipst und betrachtete mit gemischten Gefühlen den gelben Schein, wissend, dass er zwar einerseits eine Befreiung darstellte, mich aber andererseits zu einem weiteren Vorsprechen bei den Schakalen im Büro nötigen würde.
Was denn nun aus mir werden solle, hieß es dort und die Luft war dick von Zigarettenqualm und der unausgesprochenen und empathiefreien Sorge dieser Hyänen, dem eigenen Vorteil beraubt worden zu sein… Ich würde wohl kaum wieder arbeiten können mit meiner gebrochenen Hand… Na, klar… Sie gaben sich besorgt, heuchelten Mitleid… Einer weniger, der die Freuden der Vernichtung durch Arbeit genießen durfte… Ich argumentierte zaghaft und trocken… Knochen wuchsen wieder zusammen… Und das würde schon wieder werden… Und da wäre ich mir sicher… Diese und andere Worte hatte ich mir sorgfältig zurechtgelegt, während nebenher der Gedanke in mir wütete, dass die kleinen Risse in der Psyche viel schwerer heilten… Manchmal überhaupt nicht… Oder kamen wir alle etwa schon bekloppt auf die Welt?… Was, wenn das Beklopptsein der Normalzustand war?
…
Linkswichsen… Daran hatte ich mich in den folgenden Wochen zu gewöhnen… Nicht so unbequem wie die Vorstellung, beide Hände gebrochen zu haben… Der Mensch gewöhnte sich an vieles… Nachdem der erste Trubel überstanden war und ich erst einmal Abstand von den Geschehnissen an der Arbeit gewonnen hatte, war das Leben plötzlich sehr entspannt. Alles was ich tat, war alle paar Wochen zur Berufsschule zu erscheinen und dazwischen so richtig anständig und aufrichtig zu verlottern… Tage zogen gemächlich vorbei und die Zeit wurde durch Marihuana-Räusche gedehnt und gestreckt… Rumlungern an den Wochenenden… Herrlichkeit! Wahre Herrlichkeit!
Doch der unheilige Gral der Gesellschaft, die angestrebte Vollbeschäftigung, nach der scheinbar alle außer meiner selbst auf der Suche waren, zwang mich dazu, den größten Teil der Zeit allein im Zimmer zu verbringen und mich um einen Zeitvertreib zu bemühen… Das Fernsehen hing mir irgendwann zum Halse raus… Nichts war beschämender als die Spottbilder und Scheusale, die gestellten, traurigen Zerrbilder hässlicher Halbwahrheiten, die von mittags bis abends und spät in die Nacht aus dem Äther flimmerten… Man wollte am liebsten alles gleich zum Teufel jagen, das ganze drastisch dreist debile Schmierentheater mitsamt der Scheißkiste zum Fenster rauswerfen.
Also begann ich zu lesen… Und hörte auch nach meiner Genesung damit nicht auf… Nach und nach arbeitete ich mich durch die gebundenen Romane meines Vaters und Großvaters, unter denen man alles Mögliche zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur fand, und, weil das Leben noch nicht schrecklich genug war, nahm ich mir den einen oder anderen Horroroman vor, der noch als zerlesenes Taschenbuch irgendwo im Regal vergilbte.
Bei der nächsten routinemäßigen Untersuchung im Krankenhaus fanden die Ärzte heraus, dass mein Mittelhandknochen falsch zusammenwuchs. Um eine Verkrümmung zu vermeiden, sollte ich mich einer Operation unterziehen. Man gab mir eine Menge Formulare mit, die ich auszufüllen und abzugeben hatte. Eine Woche später bekam ich einen Termin, bei dessen Wahrnehmung, man einen weiteren Stapel Papier auf meinem Schoß deponierte… Und ich schwang den Kugelschreiber… Auf unrecyceltem Papier! Dekadente Bürokratie! Die Regenwälder! Ihr bigotten Schweinepriester!… Und man schob mich auf der Operationsbahre von Station zu Station und gab mir ein Beruhigungsmittel, in einem Luftschleusenartigen Vorraum zum Operationssaal, dass mich binnen Minuten wegdösen ließ… Ich bekam noch mit, wie mit Operationsmasken verhüllte Gesichter die Vollnarkose vorbereiteten, dann gingen bei mir die Lichter aus.
Benommen und mit taubem Arm aus Gummi, wachte ich wieder auf. Man hatte mir den Mittelhandknochen erneut gebrochen und ihn mit zwei Metallstiften fixiert. Noch mehr Zeit für mich, in der ich nicht zur Arbeit gehen brauchte.
Doch nach Wochen voll der Zerstreuung musste es auch einmal weitergehen. Es gestaltete sich so langweilig und trostlos wie zuvor. So unvermittelt war ich wieder in der alten Routine drin, dass es mir schnell kaum noch ins Bewusstsein kam, wie lange ich doch zuvor abwesend gewesen war. In den ersten Wochen gab man sich größte Mühe, mich die volle Breitseite meiner Unbeliebtheit spüren zu lassen, ehe man bemerkte, dass die Ausbildung eine befristete Gelegenheit zur Ausbeutung darstellte und man mich endlich so langsam an die, für meine Ausbildung relevanten, Aufgaben heranließ… Im nassen Frühling die Räderwechsel-Saison.
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die richtige Arbeit zu tun und etwas zu lernen, was meinem Lehrberuf entsprach… Man zeigte mir hauptsächlich den Umgang mit den Reifenmontage-Maschinen und dem Gerät zum Auswuchten der Räder. Bald waren die Finger blau, von den anfänglichen Schwierigkeiten beim Anschlagen der Auswuchtgewichte auf die Stahlfelgen.
»Ungelerntes Fleisch muss ab«, jauchzte das Wiesel, hechelte ein sadistisches Lachen, pflückte mir das Werkzeug aus den Händen, klemmte das Schlaggewicht in Position und demonstrierte… »Willste ma nen alten Hasen sehen? Häh?…« BANG! BANG! BANG!… »So macht man das!…« BANG! BANG!
Man konnte mich gar nicht oft genug einweisen, sprang um mich herum, und hin und her. So zwang mich deren Geduldslosigkeit dazu, schnell Fortschritte nachzuweisen, nur, um nicht wie ein kompletter Idiot dazustehen.
Dann war Ostern vorbei… Der Kollege sah mir zu, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf… Drehte sich mit Grausen ab… Da kroch ich um das Gelände der Werkstatt herum und kratzte mit einem Küchenmesser bewaffnet das Unkraut aus den Fugen des Pflasters heraus, wusch Autos bis meine Hände verschrumpelten und aufrissen, drückte mich in der Werkstatt herum und räumte auf und machte sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können… Das Wiesel gab mir eine alte klapprige Leiter und ließ mich alle Lampen an der Decke und an den Wänden sauber waschen… Zweifelnd, mit Lappen und einem Putzeimer voll Wasser in der Hand, die verpfuschte Elektrik betrachtend, sah ich mich schon zuckend von der Leiter fallen… »LOS LOS! Hier wird nicht getrödelt!«, keifte es dann von unten.
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