Das letzte bisschen Spaß war vernichtet… Von mir totgeschlagen. Die verbliebenen Gäste saßen größtenteils fassungslos herum und beobachteten ein Häufchen Elend, das auf dem Teppich vor dem Tisch hockte und ungläubig und ängstlich die immer dicker werdende Hand abtastete… Das bald mit einer Befragung anfing, ob man es für einen Bruch hielte und verzweifelt versuchte, sich zu beruhigen sich einredete, dass seine Hand nur geprellt sein müsse, es sich aber selbst nicht so ganz glauben wollte… Schließlich hatte ich mir schon einmal zwei Mittelhandknochen der rechten gebrochen. Mit vierzehn bei einer Schlägerei in der Schule… Das Fühlte sich so verdammt ähnlich an… Und sie beobachteten mich, dieses Häufchen Elend und wussten nicht, was tun.
Marie setzte sich zu mir… »Mensch was machst du denn auch für eine Scheiße?…« Und umarmte mich ein bisschen… »Komm her lass mich mal sehen«, sagte sie, langte nach meiner Hand zog sie zur Betrachtung heran und lachte dabei mitleidig… Hexenwerk!… Sie war die ganze Zeit über so gut wie nüchtern geblieben… Was hatte die für eine Geduld.
»Kannst du eine Faust ballen?…« Ich versuchte es… »Tut es weh?…« Und sie tastete die Knochen hinter den Gelenken ab… »Und wenn die die Finger bewegst?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich und versuchte, es halbwegs besonnen klingen zu lassen… »Es tut schon weh aber… Der Alkohol…«
»Der betäubt. Ja… Damit solltest du auf jeden Fall morgen zum Arzt… Komm, wir helfen dir noch ein Bisschen beim Aufräumen«, beschloss sie letztendlich.
Die Verbleibenden folgten ihrem Beschluss. Wir beseitigten die gröbsten Nachweise unseres amateurhaften Gelages.
Oh, die Jugend! Oh, die Kontrollverluste, die noch echt waren… Im Unwillen dazu entstanden… Unfreiwillige Komik. Man könnte fast darüber… Naja… Man sollte nicht gleich sentimental werden.
…
Der Nächste Tag gestaltete sich als einziges Bereuen, das mit dem Aufwachen spät nachmittags begann und einherging mit dem Gefühl vom bösen, schwarzen Affen Exzess vergewaltigt geworden zu sein, dieser Vergewaltigung dabei auch noch zugestimmt zu haben… In der Benebelung… Und hinterher, halbtot und zusätzlich verunsichert wegen meiner Hand, auch nach dem Vergehen des Rausches noch nicht wieder ich selbst zu sein.
Nachdem ich aufgestanden war, verbunkerte ich mich zunächst in meinem Kellerzimmer, zog meine Vorhänge zu, saß apathisch herum und befühlte meine geschwollene Hand. Die Finger konnte ich kaum bewegen, es schmerzte nicht sehr stark, doch ich bildete mir ein, von den nächtlichen Ausartungen und dem ganzen Fusel immer noch betäubt zu sein. Ich tastete den Mittelhandknochen unterm kleinen Finger ab und meinte, eine Bruchstelle fühlen zu können… Was würde bloß am folgenden Tage sein, wenn ich wieder zur Arbeit musste?… Ein schweißtreibendes Grauen davor zerrte an meinen Eingeweiden, dem Magen, der Lunge und mir wurde davon noch übler als mir so schon war… Von dem schalen Geruch des Zimmers, das noch nicht befreit worden war, von den Ausdünstungen, die dort drinnen tobten… Der Tisch verkrustet von Staub, Bier, Schnaps, Krümeln und was noch für Überresten der Nacht… Von dem Wissen darum, wie meine Arbeitgeber allein auf Ausfälle bedingt durch Krankheit reagierten… Auf dem Weg, eine Dusche zu nehmen, fiel meinem Magen ein, dass er doch noch unbedingt etwas loswerden musste… Bis zur offenstehenden Schüssel schaffte ich es im Eilschritt, da fing die Soße an mir zwischen den Fingern meiner den Mund verschließenden Hand durchzulaufen, dass ich mich mich hastig dem Porzellan entgegenstürzte und mit dem Kopf vor den Deckel prallte… Ein giftig saurer Schwall… Tränen in den Augen… Mein Arm lag auf dem Rand der Toilette. Angewidert als ich sah, dass noch Pisse halbtrocken darauf klebte, kam es mir fast noch einmal hoch… Ich fühlte mich wie ein reuiger Säufer, erschlagen von einem Delirium des Kummers und nichts da, um dagegen anzusaufen… Brauchte wirklich eine vernünftige Ausrede… Dieses Jahr sollte ich achtzehn werden… Warum veranstaltete ich nur solchen Schwachsinn?… Da hatte kein Heizungsrohr auf dem Boden gelegen, an dem ich mich aus Blödheit selbst verletzt hatte… Warum also?… Es war wertlos, in jenem Moment noch danach zu fragen… Auch danach… Wichtiger war die Ausrede, die ich versuchen musste, in meinem ausgehöhlten vertrockneten Schädel gedeihen zu lassen.
Draußen hatte sich längst der Schatten der nächsten Nacht über das Land gelegt und das Haus war still. Sodann schleppte ich mich erst einmal hoch zu meinen Alten, um sie mit meinem Übel zu konfrontieren. Doch meine Scham war zu groß, um ihnen die Wahrheit darüber zu erzählen… Konnte man ja auch schlecht sagen… »Hallo hier bin ich! Hab mich gestern im Suff selbst verstümmelt! Wie gehts euch so?«
Ich hatte mir einen Schwindel überlegt… Eine offizielle Version, der Geschehnisse, an die ich mich selbst nur noch vage erinnerte und die es galt, den Vorgesetzten und meinen Eltern glaubhaft zu machen. Vorsichtig öffnete ich die Wohnzimmertür… Da saßen alle beisammen, bei gedämpftem Licht und vor dem lautlos geschalteten Fernseher und wirkten auf mich wie stumme Richter vor einer Anhörung… Beklemmend.
Ich erzählte ihnen, es wäre beim Feuerwerk passiert, dass ich ausgerutscht wäre und dabei auf die geballte Faust gefallen, mit der ich versucht hätte, den Sturz abzufangen. Am nächsten Morgen würde ich erst einmal zur Arbeit gehen und dann dort sogleich meine Hand präsentieren. Erst danach würde ich den Arzt aufsuchen… Schüttelnde Köpfe… Ernste Minen… Sie nahmen es mir ab, ohne dass eine große Diskussion entstand… Sie saßen einfach da, eine Müdigkeit in der Haltung und den Gesichtern, die Strenge und Besorgnis erweichte, sie abschmelzen ließ… Diesen Umstand nutzte ich, indem ich schnellstmöglich unter die Bettdecke kroch und versuchte Schlaf zu finden… Dringend brauchte ich das seichte Vergessen… Vielleicht würde am nächsten Morgen alles wieder ganz anders aussehen.
…
Verspätet aufgewacht, quälte ich mich am nächsten Morgen mit meiner krummen Pfote in die Klamotten und trat den Weg zu meinen Peinigern an, der mir vorkam wie ein unaufhaltsames Fließband, auf das ich mit den Füßen festgeklebt war, mit vor Aufregung nervösem Magen und zitternd wie ein Junkie auf Entzug, immer näher dem Schlund eines Ofens heranrückend… Würde man mir die Angst ansehen können? Wie würden meine Symptome ausgelegt werden?… Kaum in der Werkstatt angekommen und gerade auf dem Weg zum Umziehen, dadurch versuchend guten Willen vorzutäuschen, sah ich aus den dunklen Kriechtiermausoleen des Kellers das Wiesel hervortauchen. Geradezu groteske Fröhlichkeit erging sich, aufbrennend im ungesunden Leuchtstofflicht der Werkstatt, auf den vergrämten, faltigen Zügen seiner Zuchthäuslervisage. Noch nicht ahnend, was folgen würde, wurde es aufgehalten von Christoph, der seinen Weg kreuzte und auf den es zum Überraschungsangriff überging, indem es ihn stellte und mit energischem Händedruck begrüßte… Der ganze Kerl schüttelte sich mit und blickte verwirrt drein… Scheinbar war es eine der seltenen Okkasionen, zu der es sich in gut gelaunter Stimmung befand… Die Beiden wanden sich mir entgegen. Wie angewurzelt blieb ich neben dem Werkzeugschrank mit dem verstaubten Radio stehen… Und hielt zaghaft meine ramponierte Hand hoch, sobald sie die letzte schützende Distanz überbrückt hatten… Da hatten sie sich nun vor mir aufgebaut… Ich erwartete kochendes Blut… Einen kolossalen Wutanfall und drakonische Bestrafung, sah ich doch, wie sich augenblicklich die Gesichter verfinsterten. Christoph verschwand in die andere Halle und entsagte mir somit seinen Beistand.
Das Wiesel holte tief Luft, wobei es seine schiefen, gelben Zähne zeigte und ich schoss in verzweifelter Gegenwehr die einstudierten Worte meiner Notlüge wie Salven von mir.
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