Mit zunehmendem Rausch und wachsendem Chaos erfuhr auch der Ärger eine Steigerung… Ein paar Gläser waren umgefallen, zwei dabei zu Bruch gegangen und Marcel war ungeschickt in die Kabel der Musikanlage gestiegen und hatte sie dabei herausgerissen… Vor dem Fenster sammelten sich die Zigaretten… Die Kellertür donnerte in einem fort, von Saschas anhaltenden Ausflügen ins Freie… Irgendwann war ich so weit… Was sollte es?… War ja auf meinem eigenen Mist gewachsen… Aber… Alles war so surreal, wie ein Traum der schön begonnen hatte und in einem unkontrollierbaren Desaster, gleich einem zügellosen Albtraum, enden würde… Wie war es mir anfangs nur gelungen, mich auf den Gedanken einzulassen, man könnte auch als Gastgeber auf einer Hausparty Spaß haben?… Man müsste einfach loslassen… Scheiß doch drauf.
Sascha, gerade hatte er sich noch lautstark mit Marie unterhalten, sauste von seinem Platz in die Höhe und machte mit voller Schlagseite einen Satz auf mich zu. Er ging neben mir in die Hocke, legte einen Arm um meine Schulter, stützte sich mit der Faust des anderen auf den Boden und seine Lippen näherten sich verschwörerisch gespitzt meinem Ohr.
»Ich hätt schon Bock jezz einn surauchn… Du?…« Warum jetzt?… Er musste unsere letzte Eskapade schon verdrängt haben… Oder er hatte, ähnlich wie ich einen devianten Spaß daran empfunden… »Awer ichchch habmein Zeuch suhause jelassn…«
Zu der Zeit verbargen wir geradezu paranoid, dass wir gelegentlich gern mal einen durchzogen… Ein paar der Jungs wussten Bescheid… Aber die Mädels… Wir hielten das für eine sensible Angelegenheit.
»Und jetzt? Ich hab meins im Zimmer versteckt… Das kann ich unmöglich jetzt herbeiholen…«
»Hassrecht… Nichjezz… Wo Marie da is…«
Im nächsten Augenblick klingelte sein Telefon, er stand auf, spuckte ein angenervt fragendes »Hallo?!« in den Hörer und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen.
Es überkam mich mit gebieterischer Gewalt, den Spekulationen über den Grund seiner Gespräche zu entrinnen, die schon in aller Munde waren und um die Frage kreisten, ob er denn ein Mädchen hätte, von dem man nichts wisse… Was eine nicht zu unterschätzende Bedrohung darstellen konnte… Ich erhob mich… Die Garagentür wurde derart aufgerissen, dass ich dachte sie würde aus den Angeln fliegen… Ich würde es für mich selbst herausfinden… Und setzte ihm hinterher.
Die Tür war weit geöfffnet aber man sah niemanden davorstehen. Gellende Laute schlugen sich von der mittlerweile beruhigten Straße kommend ums Haus. Die Entfernung und ungefähre Richtung bedeuteten, dass er gerannt sein musste. Nach einigen Schritten sah ich ihn weiter die Straße herunter, auf dem Bürgersteig vor dem Garten eines Nachbarhauses. Vermutlich hatte er von etwas unerfreulichem Wind bekommen… Warum sonst würde er so herumschreien?… Aber was?… Im Herannähern beobachtete ich, wie er auf und ab ging, dabei das Handy ans Ohr gepresst und mit der Zigarette in der freien Hand herumwirbelte.
»Mann du weißt doch was ich meine!…« Seine Stimme war plötzlich wieder klar geworden. Die Worte stampften als fest geschlossene Laute in der Kälte… »Versuch nicht dich rauszureden!…« Als er mich herannahen sah hielt er beschwichtigend die Hand aus.
»Na, dass du Scheiße gelabert hast!«
Ich wartete darauf, dass er auflegen würde und mich darüber aufklären, mit wem er auf der anderen Seite des Äthers argumentierte.
»So ein dreckiger Dummschwätzer! Der plappert alles Mögliche aus… Kann einfach seinen Rand nicht halten!«
»War das etwa der mit dem komischen Namen? Der vom Handball? Der blonde mit dem Entenarsch, der Schrumpfnudel und dem Wasserkopf?…« Sascha nickte… »Wie heißt er noch gleich?… Munkel?«
»Ja! Scheiße nochmal! Warum haben wir nur ausgerechnet dem was zu Rauchen besorgt?«
Offenbar hatte der Dummschwätzer einem der anderen Jungs aus dem Handballverein vertrauliche Informationen über unseren gelegentlichen Zeitvertreib weitergegeben… An einen, der eine ebenso große Traschtrine war… Nun erschien Saschas Sorge berechtigt, das Gerede könne sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Wer hatte schon Lust von seinen Vereinskollegen, zu einem Gespräch über die Gefahren des Drogenkonsums einberufen, geschweige denn abschätzig als verkorkster Kiffer belächelt zu werden… Aber hatte es wirklich etwas mit mir zu tun?… War es gleichwohl ein Belang meines Ansehens?… Musste es wohl… Tatsächlich schien die Meinung anderer Leute über uns eine gewisse Wichtigkeit zu haben… Die Freuden des wohlbehüteten Zusammenlebens mit der Gemeinschaft. Freuden der Koexistenz mit Gaffern und Schwätzern.
Wir gingen wieder rein, aber von da an lag der Eklat, die drohende Entlarvung wie ein Schatten über unseren Gemütern… Wir beschlossen, uns richtig volllaufen zu lassen, angesichts dieses drohenden Debakels… Bald folgte ein weiterer Anruf… Sascha hatte sich in den Kopf gesetzt, den Dummschwätzer durch Drohungen zum Schweigen zu bringen… Zu jenem Zeitpunkt, da schon alles ausgesprochen war?
Ich folgte ihm wieder nach draußen, um das Gespräch zu verfolgen und versuchte, schon ziemlich besoffen, durch mein Zureden die Situation zu entschärfen. Stattdessen… Brachte ich es nur zu unüberlegtem Gestammel, mit dem ich ihn in seinen Plänen bekräftigte.
»Hey Sascha… Sascha! Sascha hör mir zu… Wir schnappen uns den nomma… Awer nich jezz… Jezz wolln wir doch feiern…« Drohend wiederholte er einen Teil meiner Worte ins Telefon… »Ey du weißt irgendwann treffe ich dich noch mal auf der Straße«, warnte er noch und legte auf… Dann sah er mich mit seinem vor Wut bebenden Gesicht an.
»Mann Sascha lassas sein. Wir lassn uns doch wegn dem Wichser nich den ganzen Awend verderwen. Ffffrüheroderscchpäter schnappen wir uns den nommal… Wartssnurab.«
Währenddessen hatten ein paar der anderen noch das letzte bisschen Wind bekommen, indem sie uns gefolgt waren und das seltsame Spektakel aus sicherer Ferne betrachtet hatten. Sie schleiften uns wieder mit rein. Die Party musste am Leben erhalten werden.
Zu allem Übel hatte Marie, die Nichtraucherin war und an unseren wunderlichen Aktivitäten scheinbar nur oberflächlich interessiert, sich dazu entschlossen, ihre unbeaufsichtigte Zeit zu nutzen, indem sie ein wenig mein Zimmer erkundete. Gerade wieder zur Tür herein, sah man sie in meinem Drogenversteck herumkramen.
»Na was haben wir denn hier?«, sagte sie, sich zu uns umdrehend und hielt ein Plastikbeutelchen Gras, dass sie provokativ, zwischen dem von sich gestreckten Daumen und Zeigefinger, baumeln ließ… Die Angst aufgrund dieses Fundes für das Mädchen nicht mehr als Sexualpartner in Frage zu kommen, war genauso bescheuert wie uneinsichtig um meine sowieso bescheidenen Chancen, doch sie übermannte mich mit absoluter Gewalt… Sie schien in ähnlichem Maße auch Sascha übermannt zu haben, denn er machte auf den Fersen kehrt verließ fluchtartig das Haus.
Ich steigerte mich schließlich in eine sonderbare Wutfantasie hinein, versuchte tunlichst allen Beobachtern meines betrunkenen Wahns klarzumachen wie egal mir doch sei, dass die Party derart aus dem Ruder gelaufen war, bemühte mich um eine Rechtfertigung für das Kiffen und begann damit, nur noch im Flüsterton zu sprechen… Solange bis ich mich gar nicht mehr darum zu bemühen brauchte, wurde meine Stimme doch irgendwann von selbst heiser… Dermaßen geblendet, bekam ich es zuerst nicht mit, dass ich wie ein plappernder Irrer einen Monolog hielt, gegenüber Leuten, die sich größte Mühe geben mussten, sich vor Lachen nicht zu bepissen und es mich nicht bemerken zu lassen.
Es verbleiben nur noch ein oder zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang. Irgendetwas geschah, dass die letzten kümmerlichen Barrieren der Beherrschung in meinem Kopf niederrissen. Ich stand von meinem Platz auf, gab noch irgendetwas wütendes und dummes von mir, dann ging ich schnell in eine Abwärtsbewegung und schlug mit der rechten Faust auf den Boden. Kurz fuhr ein heftiger Schmerz durch meinen Arm. Erschrocken fluchte ich und betrachtete meine Hand. Der Schreck und der Schmerz holten mich wieder ein paar Schritte an die Realität heran. Mit voller Kraft hatte ich auf die harten Fliesen, die nur von einem dünnen Teppich bedeckt waren, geschlagen.
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