Bei der Entkernung im Altbau, leisteten unerwartet die Tapeten den größten Widerstand. Das Zimmer schwamm nur so in der klebrig weißen, mit Chemikalien versetzten Brühe, die wir in immer neuen und neuen Arbeitsgängen mit Schwämmen an den Wänden verteilten. Als das nicht helfen wollte, begannen wir die Tapete mit Messern einzuritzen… Schnitten ein siebartiges Raster aus tausend Messerstrichen, dann griffen wir wieder zum Schwamm und rieben die klebrige, warme Brühe in die Ritzen. Äonen vergingen und die Hände wurden einem dabei taub und aufgequollen die Haut und die Arme steif… Die Mühen halfen, das Entfernen der Tapeten dem Abknibbeln des Etiketts an einer Flasche gleich zu machen… Vielleicht half auch der dichte, wie Naturdünger oder vielleicht Guano riechende Qualm des Tabaks, den der Bruder des Wiesels ausstieß.
Überhaupt war die Sippschaft des Wiesels bis ins letzte Glied verkorkst, dass man dachte drei Generationen Inzucht hätten geistige Degeneration derartigen Kalibers hervorgebracht… Und gegenseitigen Hass… Einer intrigierte gegen den anderen… Und alle zusammen gegen den Bruder des Wiesels, der es nicht lassen konnte, alle viertel Stunde die Arbeit zu unterbrechen, sich so hinsetzten, dass jeder daran teilhaben durfte, und die neusten Geschichten seines nie enden wollenden Haders mit dem Arbeitsamt zum Besten zu geben. Das Wiesel, reagierte mit drastischen Gehässigkeiten, um bloß allen klar zu machen, wer es in der Familie zu etwas gebracht hatte. Seine Frau ließ sich den Spaß nicht nehmen und machte gleich mit… Da konnte man nun wirklich was lernen… Vorausgesetzt man hätte die Ruhe gehabt, mitzuschreiben… Das reinste Familienidyll!
Das alte Mütterchen, schlich wehleidig durch die nackte Altbauwohnung und erzählte ihrerseits Geschichten… Die Familienchronik seit 1900… Die Erinnerungen, die so unzertrennlich mit den Räumen verbunden waren… Anekdoten über die Söhne und ihre längst vergangenen Lausbubereien und über den tyrannischen Vater… Die Entbehrungen… Die Appelle an den Bruder, er solle sich ein Beispiel am Wiesel nehmen… Es war wie in einem Roman… Der tyrannische Vater war nach seinem Tod von dem tyrannischen Sohn abgelöst worden, der jetzt seinerseits die Familie fertig machte. Ein Festmarsch der Stereotype… Man verwies die alte Frau barsch auf ihren Platz, einen zurückgelassenen Stuhl in der Küche, zurück… Es wurde gearbeitet.
Trotz alldem versammelten sich die Mitglieder dieser Bilderbuchfamilie immer mal wieder. Meist geschah das, wenn die alte Rostlaube, des Bruders mit billigsten Mitteln zusammengeflickt werden musste… Und immer wieder kündigte man es uns mit unheilvollem Unterton an, wie den Ausbruch einer Seuche… Ich fragte mich, ob das die Art des Bruders darstellte, sich für die ihm angetanen Feindseligkeiten zu rächen.
…
Der Glaube, ich würde nie wieder ein Auto zu Gesicht bekommen, mauerte sich in meine Gedanken ein und hinter dieser Mauer hörte ich mich ein beständiges, von der Mauer zurückgeworfenes Echo fragen, wie nur das Wiesel den Laden am Laufen hielte… Zwar bezahlte es uns mies, aber nicht alle seine Ausgaben ließen sich von Ersparnissen durch das Vergeben von Dumpinglöhnen wettmachen, irgendwo musste ja Geld herkommen, damit es sich seinen Dosenfraß leisten und seine Autos und den Lkw unterhalten konnte… Die Unsummen an Geld, die es für Baumaterialien, Benzin und Diesel, die ständigen Investitionen in seinen Fuhrpark und lauter technische Spielereien für seinen Haushalt herauswarf… Konnte es das allen Ernstes einsparen, indem es kein Werkzeug anschaffte?… Spezialwerkzeug wurde mit Mühe und Not selbst gebaut… Sechs Jahre lang mussten ich und andere Bremskolben mit einer umgebauten Schraubzwinge zurückstellen… So lernte man improvisieren… Wie viel konnte man sparen, indem man Privatkleidung entbehrte… Sie verbrachten vierundzwanzig mal sieben mal zweiundfünfzig in Arbeitskluft, ergänzt durch ein paar geschmacklose alte Lumpen, die schon in den frühen Neunzigern lächerlich gewesen sein mussten… Einmal im Monat fuhren sie nachmittags los, um Tiefkühlkost, Konserven und Dosenfutter auf Vorrat zu besorgen. Kamen sie wieder, musste man ihnen helfen, den überladenen Pannenwagen auszuräumen und die bis zum Platzen aufgeblähten Taschen in die Wohnung zu schleppen… So hatte ich mir schon immer das Leben als Unternehmer vorgestellt.
Es gab vereinzelt Zeiten, da gingen selbst dem Wiesel die Ideen aus, mit denen es die Belegschaft unter Strom hielt. Für gewöhnlich verkroch es sich dann in der Wohnung. Es ließ uns für eine Weile allein, schlich sich jedoch immer wieder heran, um zu sehen, wie man sich die Zeit totschlug. Ich beobachtete den Kollegen in toten Winkeln, sicher vor den Kameras versteckt und wie er von dort aus lauschte, ob jemand kam. Manchmal tat ich es ihm gleich… Ähnlich wie damals Schmörgel, nahm ich mir immer Putzzeug mit ins Versteck, das mir ein Alibi verschaffen sollte, sorgte aber dafür, dass immer ein Häufchen Dreck auf meiner Kehrschaufel zu sehen war, oder dass Schränke abgerückt und befeuchtet waren… Das funktionierte gerade im Winter gut, wenn die Tore die Kälte vom Eindringen abhielten. Man konnte sich dann in einer Ecke der Werkstatt verschanzen und die Tore im Blick behalten, so war man schon früh vor den Vorgesetzten gewarnt und im Falle einer Feindsicht fing man schnell damit an, einen beschäftigten Eindruck zu machen… Diese Tage zogen sich jedoch, gerade wegen des Nichtstuns, wie ein unendlicher Kaugummifaden gnadenlos in die Länge… Der lahmende Gang der Zeiger… In meiner Verzweiflung putzte, fegte und bohnerte ich alles, was sich in den Räumen befand… Ich bekam die tollsten Einfälle… Das Werkzeug, die Schränke und Schubläden, die Hebebühnen, die Türen, die Fenster, die Autos, jeden Raum fegte ich zwei Millionen Mal aus, putzte das Klo, den Pausenraum, schnappte mir eine Leiter und putzte die Lampen… Den Ölwagen, die Ölwannen, Ölfässer und die Tore der beiden Hallen, den Abgastester, die Aschenbecher… Und was noch alles.
Zu allem Übel passierte es an solchen Tagen oft genug, dass kurz vor Feierabend, mit dem Geifer eines tollwütigen Affen vor dem Maul, irgendein Spinner aus dem Nichts auftauchte, weil ihm plötzlich eingefallen war, dass es an seiner verdreckten Rostlaube noch etwas zu reparieren gab… Ich erinnere mich beispielhaft an ein kategorisches Spektakel… Besser: Debakel.
Mit heulendem Motor kam ein schmutzig weißer, verrosteter Lieferwagen angeschossen und parkte direkt unter der bei Dunkelheit angeleuchteten Freiheitsstatue, die am Dach der Werkstatt, vor der Treppe zum Wohnhaus, auf ihrem Sockel thronend den Arm in die Luft reckte. Der Karren dampfte wie der Kühlturm eines Atomkraftwerks und unten lief das Kühlwasser in Strömen aus. Kaum eine Sekunde nachdem der Besitzer des Wagens ausgestiegen war, eilte das Wiesel auch schon zur Haustür hinaus und die Treppe herunter. Man kannte den Besitzer des Wagens… Er war Fliesenleger und Stammkunde der Werkstatt… Und wusste schon genau, dass nichts Gutes blühte, sobald er mit der heruntergewirtschafteten Kiste angefahren kam… Sofort schickte das Wiesel uns auf Gefechtsposition und ehe man sich versah stand der Wagen auf der Hebebühne. Das Leck, aus dem das Kühlwasser ausdrang, war schnell gefunden. Der Zeiger stand auf fünf vor Sechs. Doch anstatt die Sache auf sich beruhen zu lassen und den Wagen am nächsten Tag zu reparieren, hieß es sofort ran an die Arbeit… Aber bitte mit Feuereifer! Los! Los!
Der Motor des Wagens war unter der Fahrerkabine verbaut. Man konnte ihn nur von unten oder durch eine Wartungsklappe im Fahrgastraum erreichen. Die Hebebühne schraubte den Wagen der Decke entgegen, während man mich in die Fahrkabine befahl, damit ich von oben durch die Wartungsklappe leuchten und etwas Platz machen konnte. An Kabeln, Rohren, porösen Keilriemen und veröltem Metall vorbei, sah ich das Wiesel, zusammen mit dem Kollegen, unter dem Auto hantieren. Eine der Wasserleitungen war durchgerostet… Natürlich war es wie so oft gerade die am schwersten zugängliche Leitung… Die ganze Hebebühne wackelte und knarzte, als sie dort unten anfingen, sich eine Bresche durch das Gewirr im Motorraum zu schlagen. Immer mehr Teile landeten auf dem Boden, Ratschen knarrten und man schnaubte, schraubte, fluchte und prustete… Da hatte sich mal wieder jemand überschätzt… Bald lag ich mit dem Bauch auf dem Motor und mein Arm versank mitsamt der Lampe immer tiefer in dem schwarzen Schlund, wand sich an scharfen Kanten und heißem Metall vorbei… Ob ich ihn da wohl je rausbekommen würde?… Jetzt bloß nicht die Lampe fallen lassen, dachte ich wie blöde in einem fort.
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