Dr. Ralf-Gero Dirksen
Wenn die Seele brennt
Leben mit schizoaffektiver Störung - ein Erfahrungsbericht
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Dr. Ralf-Gero Dirksen Wenn die Seele brennt Leben mit schizoaffektiver Störung - ein Erfahrungsbericht Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
1 Schizoaffektive Psychose
2 Kindheit, Jugendjahre, Adoleszenz
3 Die erste Krise
4 Fünf Jahre störungsfreies Intervall
5 Berufsjahre
6 Schweiz, zum zweiten Mal
7 Burn-out in Norddeutschland
8 Die Anthroposophen von Buchenbach
9 Wieder zuhause
10 In einer Schweizer Klinik
11 Universitätsklinikum Freiburg
12 Freizeit und Privatklinik
13 Kreiskrankenhaus Sigmaringen + Sigma-Zentrum
14 Doktorat
15 München
16 In der Privat- und Tagesklinik
17 Freiburg, die Zweite + Schleswig
18 Die Diakonissinnen in Flensburg
19 Eigene Schritte
20 Perspektiven
Epilog
Danksagung
Impressum neobooks
Für
Katrin,
Beatrix,
Ingetraut
&
den Patienten, der im Sommer 2019
rund um meine Wohnung
spazieren ging
Ich bin einundfünfzig Jahre zu dem Zeitpunkt, an dem ich begann, die folgenden Aufzeichnungen zusammenzutragen. Geholfen haben neben meinen persönlichen Erinnerungen und Gesprächen mit Weggefährten auch Dokumente wie Epikrisen und Krankenhausrechnungen. In meinem Bekanntenkreis gibt es Frauen, die möchten nochmal gerne Dreißig sein. Ich dagegen möchte nichts zurückdrehen. Meine Erfahrungen und Verdienste der Vergangenheit bleiben mir erhalten und heute fühle ich mich in meiner Haut richtig wohl. Das Leben ist unaufgeregt schön. Ein gutes Alter mit vielen neuen Chancen und hoffentlich klugen Entscheidungen, auch wenn manche dieses Alter zum Beispiel im Berufsleben schon kritisch einschätzen.
Als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler hatte ich aber nicht das Ziel, ein wissenschaftliches Werk zu schreiben, sondern ein autobiografisches Sachbuch mit Ratgeberfunktion, das das Erleben von psychisch erkrankten Menschen in den Mittelpunkt stellt und daraus Handlungsansätze für Betroffene, ihre Angehörigen und professionellen Helfer ableitet.
Ich kann sagen, dass ich ein erfülltes Leben führe, zwar mit Höhen und Tiefen, Erfolgen und Misserfolgen, aber im Endeffekt glücklich. Dumm bin ich auch nicht, man könnte mich mit meinen fünf akademischen Titeln sogar zur Bildungselite dieses Landes zählen, im Job war ich überaus erfolgreich, aber ich habe eben besondere Erfahrungen gesammelt, die ich in diesem Buch weitergeben möchte.
Depression und Psychose waren über viele Jahre meine Begleiter. Längst hatte ich die Hoffnung auf ein normales Leben und Empfinden, so wie ich es mal gekannt hatte, aufgegeben. Heute habe ich, wie ich es nenne, wieder ein „zentriertes Gefühl“ – ich fühle mich in der Mitte von Körper, Geist und Seele. Gut zehn Jahre stand ich völlig neben mir, jetzt sind vier Jahre vergangen, in denen ich keinerlei Rückfälle, Beeinträchtigungen oder Einschränkungen hatte. Diese Zeit des Abstands brauchte ich aber auch, um in der Rückschau über meine Erlebnisse und Empfindungen schreiben zu können. Und so kann ich allen Betroffenen und Angehörigen zurufen: „Es lohnt sich, schizoaffektive Störungen nicht als gegeben hinzunehmen, sondern den Ansatz zu finden, um Depression und Psychose langfristig zu überwinden.
Gegenstand einer jeden Psychotherapie sollte daher die Aufklärung sein, dass der Patient an einer häufig auftretenden Krankheit leidet, die in der Regel gut behandelbar ist. Dem Patienten sollte geholfen werden, seine Situation als nicht selbstverschuldet anzusehen, wozu depressive Menschen typischerweise neigen. Psychische Erkrankungen können jeden treffen – auch erfolgreiche Menschen, wie zum Beispiel den Fußballnationaltorwart Robert Enke, der sich vor zehn Jahren das Leben nahm.
Freilich braucht man für den therapeutischen Erfolg eine aktive Herangehensweise und einen langen Atem. Und ein Exklusiv-Rezept kann ich auch nicht geben, weil jeder eine mögliche Antwort in sich und bei sich selbst finden kann. Schon Galileo Galilei sagte: „Man kann einem Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“ Ich würde mich freuen, wenn ich für Betroffene und Angehörige dazu beitragen kann. Sie sind die Helden, die es nicht (vor-) zu verurteilen, sondern gesellschaftlich zu ehren gilt.
1 Schizoaffektive Psychose
Bei affektiven Störungen handelt es sich um Erkrankungen, die mit einer Störung des Affekts (Stimmungslage; lat. affectus = Gemütsverfassung) einhergehen. Diese können sich in zwei entgegengesetzte Richtungen manifestieren, als Manie oder Depression. Meine Störung war weitgehend monopolar, also schlug nur in Richtung Depression aus, die aber meist stark agitiert war, das heißt, dass ich innerlich sehr unruhig war. Bei mir sind Symptome wie eine ängstliche Grundstimmung, Antriebsstörungen, Druckgefühle, Schlafstörungen, Denkverlangsamung, Morgentief und Suizidalität aufgetreten.
Schizophrenie ist eine Erkrankung mit ebenfalls multifaktoriellen Entstehungsursachen aus der Gruppe der Psychosen mit charakteristischen Änderungen von Denken, Wahrnehmung, Leistungsfähigkeit, Psychomotorik und Affekt. Als psychopathologische Symptome traten bei mir Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen sowie Ich-Störungen und Störungen der Affektivität auf. Schizoaffektive Störungen stellen ein Mischbild zwischen schizophrenen und affektiven Psychosen dar. Es bestehen nebeneinander oder kurz nacheinander einerseits Symptome der Schizophrenie sowie andererseits depressive, manische oder manisch-depressive Beschwerden, wobei ich keine diagnostizierte manische bzw. bipolare Störung hatte (unipolarer Verlauf). Der Verlauf ist meist phasisch- rezidivierend (= in Phasen wiederkehrend), selten chronisch-progredient (= fortschreitend). Selten kommt es zu ausgesprochenen Residualzuständen. Die Prognose ist besser als bei Schizophrenien und deutlich schlechter als bei affektiven Psychosen. Die Zahlenangaben zur Häufigkeit der Erkrankung schwanken sehr. Man geht davon aus, dass bei jedem 5. bis 10. Patienten, der eine Schizophrenie oder eine affektive Psychose durchmacht, später eine schizoaffektive Psychose diagnostiziert wird. Der durchschnittliche Krankheitsbeginn wird mit 30 Jahren angegeben, kann aber in jedem Alter erfolgen. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Die Diagnosestellung ist schwierig, da schizophrene Störungen häufig mit affektiven Symptomen einhergehen (F 25.1 / F 25.2) und affektive Erkrankungen z. T. wahnhafte Symptome zeigen (F32.3). Die Diagnose erhärtet sich in den meisten Fällen erst in einem längeren Verlauf, wenn zu den zunächst erkannten Symptomen einer Schizophrenie oder affektiven Störung weitere Symptome hinzutreten. Ich kann vorwegnehmen, dass bei mir zunächst die affektive Störung im Vordergrund stand und dann schizophrene Symptome phasisch hinzutraten. Nach dem ICD-10-Schlüssel bekam ich mit F 33.2, F 32.2, F 32.3, F 25.1, F 25.2 unterschiedliche Diagnosen. Das lag einerseits am Verlauf der Erkrankung, andererseits an den verschiedenen Ärzten und Therapeuten, die manchmal auch schlichtweg daneben lagen.
Mit unserem Körper fühlen wir uns im gesunden Zustand meist vertraut, der Geist ist uns ein bekannter Partner, um die alltäglichen Anforderungen mehr oder weniger zu bewältigen, nur die Seele bleibt den meisten Menschen ein fremdes Wesen. Vielleicht erahnen wir ihre Eigenart, wenn wir uns einmal übermäßig freuen oder verliebt sind. Bei psychischen Erkrankungen ist das Körpergefühl meist gestört, die kognitiven Fähigkeiten sind eingeschränkt und der Mensch macht ungewollt Bekanntschaft mit dem Eigenleben der Seele. Wie das bei mir aussah, das will ich näher anhand meiner Lebensgeschichte beschreiben.
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