Die anderen Dokumente sahen aus wie ein Mittelding zwischen einer isometrischen Skizze und einer Kindergartenzeichnung. Rohre, oder Wege bzw. Gänge verliefen kreuz und quer, ohne dass man ein Muster erkennen konnte. Manchmal kreuzten sie sich oder gingen ineinander über. Mal waren sie senkrecht, mal waagerecht schraffiert. Es gab Gebilde, die eng und welche, die weit schraffiert waren. Ein Blatt konnte als kalligraphisches Kunstwerk durchgehen, andere schienen auf abgerissenen Blättern skizziert zu sein. Von einem einheitlichen Maßstab war nichts zu erkennen. Bei den meisten Blättern wusste man nicht mal wo oben oder unten war. Keiner hatte auch nur die geringste Vorstellung um was es sich dabei handeln könnte. Es war ein Plan ja, aber von was? Jeder der Hüter bekam einen Satz Kopien und sollte sich Gedanken darüber machen.
Außerdem gab es noch eine Kupferplatte, in die diverse Symbole eingeritzt waren. Im Moment war aber nur die Patina zu erkennen.
Mittlerweile kam Sonja mit den Übersetzungen zurück. Sie sah Bruder Rolando und Bruder Marcel an und lächelte dabei.
„Herzlichen Glückwunsch. Den Brüdern vom Felsenkloster, als offizielle Eigentümer des Felsenklosters in den Ardennen, ist im Jahre 1628 ein stattliches Geschenk gemacht worden. Ein riesiges Waldgebiet an der Schelde in der Nähe von Antwerpen, sowie die Abteikirche St. Michael in Antwerpen. In der Statue lagen die Schenkungsurkunden, ausgestellt von Ferdinand von Bayern seines Zeichens Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Lüttich. Die Besitztümer befanden sich in seinem Privatbesitz. Als Auflage wird allerdings die Wiederherstellung des guten Namens der Abtei festgeschrieben. Die Brüder vom Felsenkloster sind meines Wissens auch heute noch die Besitzer des Felsenklosters. Damit dürften sie Anspruch auf die in den Urkunden erwähnten Besitztümer haben. Die Urkunden sehen für meine Begriffe ganz schön echt aus. Aus den Unterlagen geht weiter hervor, dass ein Jahr später ein Bruder aus dem Felsenkloster als Abt Johannes Chrysostomus van der Sterre die Abtei übernahm und im Laufe der Zeit den arg angeschlagenen Ruf der Abtei wiederherstellte.
Man konnte Bruder Marcel und Bruder Rolando ansehen, dass sie von dieser Sache nichts wussten. Natürlich konnten bezüglich der Schenkung in dieser Runde keine Einzelheiten geklärt werden. Die Golddukaten und die Rubine wurden in die unterirdische Schatzkammer zu den Artefakten gebracht. Die Kopien der Schenkungsurkunden nahm Bruder Rolando an sich. Die Sache wollte er von den Anwälten der Santen klären lassen. Es wäre natürlich interessant zu wissen, wer momentan der angebliche Eigentümer war. Mit den ominösen Skizzen, die sich noch in der Statue befanden, sollte sich jeder für sich beschäftigen. Die Kupferplatte musste erst einmal gereinigt werden bevor man dazu näheres sagen konnte
In den nächsten Tagen gingen die Arbeiten im Kloster ihren normalen Gang. Zu tun gab es ja genug.
Die Hüter trafen sich zu ihrer wöchentlichen Besprechung. Zuerst wurden die allgemeinen Themen abgehandelt. Dabei gab es nichts Ungewöhnliches zu berichten. Alles bewegte sich im grünen Bereich. Doch Bruder Rolando hatte einige interessante Informationen. Er hatte Erkundigungen über die aktuellen Eigentumsverhältnisse der Abtei St. Michael und des Waldstückes einziehen lassen. Dabei kamen einige Überraschungen ans Licht.
„Die Abtei gibt es nicht mehr. Aber das Grundstück, was einen Teil der Altstadt ausmacht und sich bis ins Diamantenviertel zieht, ist noch als Einheit vorhanden. Aktueller Eigentümer ist eine Immobilienfirma deren Sitz, man höre und staune, im Vatikan angesiedelt ist. Auch das Waldstück, das dem Felsenkloster geschenkt wurde, ist nicht mehr vorhanden. Es ist mittlerweile ein Wohngebiet und teilweise Hafenanlage. Die ehemaligen Grenzen lassen sich auf Anhieb nicht mehr genau festlegen. Zufälligerweise ist der heutige Eigentümer die gleiche Immobilienfirma wie von dem Grundstück der ehemaligen Abtei. Wir sind mit unseren Recherchen noch nicht fertig, aber diese beiden Grundstücke gehörten angeblich schon immer der Kirche und sind erst vor einigen Jahren in die Immobilienfirma überführt worden. Diese Firma scheint in den Beneluxstaaten sowie in Frankreich und Deutschland jede Menge Immobilien im Namen der Kirche zu verwalten.“
Jetzt begann eine hitzige Diskussion darüber ob es sinnvoll wäre, die Ansprüche durchzusetzen, oder es zumindest zu versuchen. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander. Von alles beim Alten lassen, bis zum Ausnützen aller rechtlichen Möglichkeiten. Überraschenderweise wurde die Diskussion von Dennis beendet.
„Ich bin ziemlich überrascht wie stark die Emotionen bei euch hochkochen können. An dem Wert dieser Immobilien kann es ja nicht unbedingt liegen. Weder die Santen noch die Evanisten müssen sich Gedanken machen wie sie die nächste Tankrechnung bezahlen. Oder liegt es daran, dass die Kirche die Gegenseite repräsentiert? Wisst ihr was mir total unverständlich ist? Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende lang haben die Hüter ihre Existenz verheimlicht. Es gab sie eigentlich nicht. Das wollt ihr jetzt wegen ein paar Grundstücken aufs Spiel setzen? Wenn ihr den Weg über die Gerichte wählt wird wohl kaum irgendein Dorfpfarrer hier auftauchen und sich für die unrechtmäßige Benutzung entschuldigen. Die Kirche oder genauer der Vatikan wird eine Gruppe hochkarätiger Rechtsverdreher aufbieten. Denen sollen sich dann die Mönche aus dem Kloster entgegenstellen? Die Santen als eigentliche Herren des Klosters können ja nicht aktiv werden. Wie lange meint ihr würde es dauern bis die Gegenseite anfängt misstrauisch zu werden? Und dann könnt ihr nicht mehr zurück. Auch wenn ihr den Prozess gewinnt, wäre die Kirche doch auf das Kloster aufmerksam geworden. Das soll aber doch gerade vermieden werden. Vielleicht sollten wir erstmal versuchen herauszufinden, wieso die Kirche überhaupt als Eigentümer auftritt. Irgendeine Art von Anspruch wird sie schon haben. Dann kann man immer noch überlegen inwieweit andere Schritte sinnvoll sind und vor allem welche.“
Einen Augenblick war es sehr still im Zimmer. Dann beendete der Abt diese Diskussion.
„Ich glaube den Argumenten von Dennis ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Vielleicht sollten wir unseren Mann im Vatikan auf diese Sache ansetzen. Er soll versuchen herauszufinden, woraus die Kirche einen Anspruch auf diese beiden Immobilien ableitet. Dann können wir unser weiteres Vorgehen anpassen.
Was hat sich denn mit diesen wirren Zeichnungen ergeben? Ich muss zugeben, dass ich selber dabei nicht einen Schritt weitergekommen bin.“
Bei diesem Thema übernahm Bruder Wolfgang die Gesprächsführung.
„Das ist eine ganz konfuse Sache. Wir sammeln momentan alle Einfälle. Allerdings ist diese Sammlung noch sehr übersichtlich. Einen Erfolg können wir aber verzeichnen. Auf einem Blatt ist unten rechts ein breiter Bogen dargestellt. Darin gibt es ein Wortfragment. TEVE…. Mehr ist nicht zu entziffern. Wir haben diese Buchstabenkombination durch den Computer laufen lassen. Unter anderem kam als Ergebnis das Wort TEVERE heraus. Das ist der italienische Name für den Fluss Tiber. Wenn der Bogen eine Flussschleife darstellen soll ergibt das sogar einen Sinn. Damit hätten wir vielleicht ein weiteres Puzzleteil. Über diesem Bogen ist eine eckige Schlangenlinie und darüber zwei Gebilde, die mit viel Fantasie als Flügel durchgehen könnten. Die Schlangenlinie könnte als Symbol für Burgzinnen dienen. Dann könnte das Gesamtsymbol für die Engelsburg in Rom dienen, die sich oberhalb einer Schleife des Tibers befindet. Was ja auch den Tatsachen entspricht. Damit würde auch ein Symbol auf einem anderen Blatt einen Sinn ergeben. Dieses Symbol entspricht in etwa dem damaligen Grundriss des Petersdoms mit dem Petersplatz. An dem Symbol der Engelsburg befindet sich links ein dicker, gerader Strich. So ein Strich befindet sich auch rechts vom Petersdom. Desweiteren gibt es zwei Seiten, die diesen schwarzen Strich ungefähr in der Mitte aufweisen. Wahrscheinlich muss man diese Blätter in einer Reihe aneinanderlegen. Der schwarze Strich würde dann den Passetto, den oberirdischen Fluchtgang zwischen Petersdom und Engelsburg symbolisieren. Aber das sind im Moment alles noch Vermutungen. Doch mit irgendetwas muss man ja anfangen. Jack ist momentan dabei, die einzelnen Blätter in ein CAD-Programm zu übertragen. Vielleicht ergeben sich dann wieder neue Erkenntnisse. Die Kupferscheibe wurde im Museum gereinigt. Sie scheint eine einfache Darstellung unseres Sonnensystems zu sein. In der Mitte die Sonne und rundherum die Planeten. Natürlich ohne irgendwelche Maßstäbe zu berücksichtigen. Wir haben versucht herauszufinden, wann die dargestellte Konstellation erreicht ist. Es müsste Ende dieses Jahrhunderts sein. Natürlich unter Vorbehalt. Ein Foto dieser Scheibe wurde zu einer Sternwarte geschickt mit der Bitte um eine Zeitangabe für diese Konstellation. Es ist allerdings noch keine Antwort eingetroffen.
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