„Guten Tag, Frau Hartmann“ grüßte Herr Gruber freundlich. Aber die würdigte ihn nur eines kurzen „Tsss" im Vorübertrampeln, wobei man ihr die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegte bei ihrer Leibesfülle gar nicht zugetraut hätte.
Sprachlos starrten die beiden der aufgebrachten Frau hinterher, bis aus dem Inneren des Hauses eine resigniert klingende Stimme drang! „Hallo Benno, kommt doch rein.“ Vorsichtig schob sich Demi hinter Herrn Gruber ins Haus und sah sich argwöhnisch nach dem Sprecher um.
Aber zunächst war sie nur überwältigt von der Größe der Eingangshalle. Graue Marmorfliesen, ein wunderschöner Kamin, ein Sofa, ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln und ein – Indianerzelt – in Originalgröße? Tatsächlich, das war ein echtes Tipi mit der Grundfläche ihres Schlafzimmers. Es stand mitten in der Halle und verdeckte den Redner.
Als sie hinter Herrn Gruber um das Zelt bog, sah sie einen Mann auf der untersten Treppenstufe sitzen, die Ellbogen auf den Knien und das Gesicht in den Händen vergraben.
Ehe sie diese Figur auch nur einer näheren Betrachtung unterziehen konnte, brach schon das nächste Spektakel los. Sie hört „Thekla, hiiiiiiiiiier“, dann sprang ein riesiges schwarz-braunes Ungetüm bellend die Treppe herunter, rempelte den dort kauernden Mann an und rannte sie und Herrn Gruber fast nieder.
Vor der von Demi geschlossenen Tür setzte sich der Hund und bellte lautstark weiter. Das Mädchen, das eigentlich alle Tiere liebte, drängte sich näher an Herrn Gruber und sah hinter seinem Rücken hervor einen kleinen, blonden, etwa fünf Jahre alten Jungen, schreiend die Treppe herunterspringen. „Thekla hiiiier, hiiiiier habe ich gesagt, aber schnell!“
Der auf der Treppe sitzende Mann zog sich am Geländer hoch. Er war fast 1,90 m groß, hatte dunkelblondes Haar und wunderschöne blaue Augen. Über sein Kinn zog sich eine tiefe, hässlich orangerote Narbe, was aber Demi nicht davon abhielt, ihn für gut aussehend zu halten.
„Thekla hier! Und du Tim, gehst sofort wieder auf dein Zimmer. Zu dir komme ich später noch!“
„Aber Papa, sei doch froh, dass wir die alte Zimtziege los…“ weiter kam er nicht.
„Auf dein Zimmer“ wiederholte der Vater in scharfem Ton. Seine vorher so resigniert wirkende Gestalt drückte plötzlich eine Autorität aus, die sogar Demi fast Angst machte. Der Hund lag bereits still zu seinen Füßen und auch das Kind wagte keine weiteren Einwände, rannte die Stufen hinauf und entschwand ihren Blicken.
„Guten Tag Benno. Entschuldige bitte dieses Chaos.“ Der Mann zog sein rechtes Bein schleppend hinter sich her, als er mit ausgestreckter Hand auf Herrn Gruber und sie zukam. „Ah, und du musst Demi sein. Herr Gruber hat mir schon von deinem Problem erzählt.“
Unsicher lächelnd streckte ihm Demi die Hand entgegen. „Guten Tag, Herr…“ – oh Mist, sie wusste ja nicht einmal seinen Nachnamen.
„Das Herr lass mal stecken, ich bin einfach Dieter“ unterbrach er sie lächelnd. Er sah wirklich gut aus und in seinen Augen blitzte es lustig auf, als er sie ansah. Damit gab er dem Mädchen das Gefühl, willkommen zu sein und während sie zurücklächelte, wusste sie bereits dass sie Dieter mochte.
„Willst du Thekla kennenlernen? Sie ist eigentlich eine ganz Liebe, aber Frau Hartmann konnte sie nie leiden und als die dann noch so gebrüllt hat, war der Hund richtig aufgebracht.“
Etwas unsicher ging Demi zwei Schritte auf den riesigen Hund zu. Der blickte an ihr vorbei und bewegte sich erst in ihre Richtung, als Dieter ein leises „ok“ von sich gegeben hatte. Langsam beschnüffelt Thekla eine Hand des Mädchens und ließ dann ihre furchteinflößenden Zähne sehen. Sie schleckte zuerst die Finger und danach den gesamten rechten Ärmel von Demis Jacke.
Erleichtert lachte das Kind auf, ging neben dem Hund in die Hocke und kraulte das weiche, schwarze Fell. „Na du bist ja eine Brave, eine Schöne….“ „Hilfe!“ Thekla war vor Freude über diese Zuwendung völlig aus dem Häuschen und hatte Demi beim Versuch, ihr Gesicht zu lecken, mit ihrem massigen Körper zu Boden geworfen.
„Thekla, aus!“ kaum mehr als ein Raunen und schon saß der große Hund wieder neben Dieter. Lachend erhob sich das Mädchen von den Fliesen. „Eine stürmische bist du, nicht wahr?“
Dieter lächelte und lud sie ein, ihm ins Arbeitszimmer zu folgen. Auf dem Tisch der kleinen Sitzgruppe stand eine Thermoskanne bereit. Der Mann schenkte Herrn Gruber und sich selbst Kaffee in große bunte Kaffeebecher. „Ich nehme an, du möchtest lieber Saft“ wandte er sich an Demi und schenkte ihr ein Glas Apfelsaft ein. Der Hund hatte sich gleich neben Dieters Stuhl gelegt und machte keinen Mucks.
„Also, dann schieß mal los und erzähle, was ich für dich tun kann!“ kam der Detektiv gleich zur Sache.
Plötzlich unsicher geworden wusste Demi nicht, was sie sagen sollte. Das Auffinden verschwundener Personen gehörte schließlich zu seinem Beruf und nach dem Aussehen seines Hauses war er sicherlich auch nicht billig. Herr Gruber hatte zwar nichts von Bezahlung gesagt, aber Demi hatte nicht einmal Genug Geld für eine neue Jacke, wie sollte sie da einen Privatdetektiv bezahlen? Dieter schien ihre Gedanken zu erraten. „Herrn Grubers Freunde sind auch meine Freunde und unter Freunden verlangt man kein Honorar. Also mach dir um eine Bezahlung keine Sorgen!“
Erleichtert erzählte Demi das Wenige, das sie wusste und blickte dann gespannt in Dieters Gesicht.
„Na ja, viel ist das ja nicht gerad, aber doch genug, um einen Anfang zu machen. Ich möchte jedoch ehrlich mit dir sein. Die Aussichten auf Erfolg sind nach vier Jahren nicht besonders groß. Außerdem müssen wir uns vorher noch über etwas anders unterhalten. Benno, ich meine Herr Gruber, hat mir erzählt, dass deine Mutter nichts von deinen Absichten weiß. Wenn meine Ermittlungen also etwas zutage bringen, werde ich die Ergebnisse selbstverständlich zuerst deiner Mutter mitteilen müssen. Es kann schließlich sein, dass Sie gar nicht möchte, dass du bestimmte Einzelheiten erfährst, weil sie dich schützen will. Das ist meine Bedingung, um diesen Fall anzunehmen. Einverstanden?“
Leicht enttäuscht nickte das Mädchen. „Wenn ich sagen würde, dass ich nicht einverstanden bin, würden Sie, äh, würdest du mir nicht helfen, stimmt’s?“
„Stimmt. Aber mach dir darüber erst einmal keine Gedanken, denn vielleicht kommt bei der ganzen Sache gar nichts heraus oder wir finden eine derart unspektakuläre Erklärung, dass es gar nicht nötig ist, mit deiner Mutter zu sprechen. Ich hab ein dieser Hinsicht schon die seltsamsten Dinge erlebt.“
Nun ja, das war vielleicht nicht ganz das, was sich Demi vorgestellt hatte, aber es war mit Sicherheit ein guter Anfang.
„Du kannst uns gerne öfter besuchen. Thekla würde sich bestimmt freuen und vielleicht kommst du sogar mit Timmy zurecht. „Ach ja, Benno“ wandte er sich mit einem Seufzer an Herrn Gruber. „Kennst du vielleicht jemanden, der mir den Haushalt führen könnte? Die Bezahlung ist gut, sonst rennt mir eh jede gleich wieder weg, denn Hund und Kind, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, sind den meisten Damen schon nach kurzer Zeit zu viel. Es ist mir ungeheuer wichtig, dass Tim endlich eine Bezugsperson bekommt, die nicht gleich bei seinem ersten Wutanfall das Weite sucht. Ich wäre sogar bereit, das Gästehaus herzurichten, falls die Frau hier wohnen möchte.“
Der alte Mann schüttelte hilflos den Kopf. „Tut mir leid, Dieter. Mehr als das Arbeitsamt und die Jobagenturen kann ich dir leider auch nicht empfehlen.“
Demi horchte gespannt auf. „Ähm, wie sieht denn dieses Gästehaus aus und was muss die Frau hier so machen?“ erkundigte sie sich.
Belustigt sah Dieter sie an. „Ich glaube, das gnädige Fräulein sind noch etwas jung für diese Aufgabe.“ Ich dürfte dich schon deines Alters wegen nicht einstellen“ fügte er hinzu, als er Demis verletzen Gesichtsausdruck missdeutete.
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