»Ich bin der Neuzugang, hab ich recht?«
Sie nickte.
»Oh ja, und erfahren hat er es, weil ich verschwunden bin. Joanne, sie hat ihn klarerweise angerufen.«
»Klar hat sie das.« Julian lächelte.
»Die überbesorgte Kusine. Logische Entscheidung. Na fein. Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich ihm nicht begegnet bin.« Er musterte sie prüfend.
»Und? Geht‘s dir jetzt besser?«
Sie rieb sich über das Gesicht.
»Ach was, ich werd erstmal duschen gehen, falls es in diesem Psychedelic-Schuppen überhaupt warmes Wasser gibt«, murmelte sie, ehe sie sich vorsichtig erhob.
»Ähm«, Julian war mit einem Satz vom Bett unten und an ihrer Seite. Nur für alle Fälle.
»Schön langsam. Und ehrlich, findest du – das gut? Ich meine, da ist nur ein – ähm Vorhang vor dem Bad, also willst du – willst du das echt?« Mit einem Mal wirkte er angespannt, doch Irene seufzte nur.
»Hör zu, ich hatte einen Unfall, bin irgendwie durch den Wind und muss erstmal draufkommen, was heute alles so passiert ist – also ja, ich will wirklich duschen.« Müde zog sie den orangegrünen Vorhang zur Seite und betrat das Badezimmer.
»Naja, wenigstens musst du hier keine Tür eintreten, also falls – du weißt schon.« Damit spielte sie auf das Frühjahr an, als er in einer Wohnung in Chicago die Badezimmertür eintreten musste, um ihr zu helfen.
»Äh«, Julian wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Irene kam ihm zuvor.
»Schon gut, Julian, diesmal gibt es keine Special Effects«, rief sie ihm noch zu, ehe sie den Vorhang wieder zuzog.
Verwundert ließ Julian sich auf das Bett nieder.
Hatte sie tatsächlich gerade einen Scherz gemacht? Kopfschüttelnd drehte er den Fernseher wieder lauter.
»Tja, dann hoffen wir mal das Beste.«
Stormy Mills
Während Irene unter den prasselnden warmen Strahlen stand, versuchte sie, ihre Gedanken zu sortieren. Sie wünschte sich für eine Sekunde, dass der weiche, zart duftende Schaum all ihre Wirrnisse wegwaschen würde, doch dem war nicht so.
Ständig sah sie die nasse Straße und den Graben vor sich, erneut vermeinte sie, die unheimliche Stimmung wieder zu spüren, nein, nur weg damit.
Sie hob den Kopf und ließ sich das warme Wasser direkt aufs Gesicht prasseln. Eigentlich hätten die Wärme und der Dampf ihre verkrampften Muskeln lösen sollen, doch es gelang nicht so richtig.
Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit das Wasser abdrehte und aus der Dusche trat, war der kleine Spiegel angelaufen und Schwaden feuchtwarmer Luft durchzogen träge den kleinen Raum.
Sie trocknete sich rasch ab und schlüpfte erneut in ihre Kleidung. Missmutig stellte sie fest, dass selbst ihre Unterwäsche von der Feuchtigkeit ein wenig klamm geworden war.
Da sie keinen Haartrockner gesehen hatte, nahm sie an, dass sowas hier nicht im Preis inbegriffen war, also rubbelte Irene, so gut sie konnte, die Haare mit dem Handtuch trocken. Morgen würde sie wie Cinderella aussehen, doch da nutzte jammern nichts. Ihre Naturlocken setzten sich immer unbarmherzig durch, sobald sie keinen Haarglätter benutzte. Dann ging sie endlich wieder zurück ins Zimmer, wo Julian gerade am Fernseher herumhantierte.
»Hm, mal sehen, ob das heute noch was wird. Scheinbar ist die Antenne nicht schneesturmfest.«
Er wandte sich zu ihr um.
»Na, alles wieder in Ord ...« überrascht hielt er inne. Er starrte Irene an, als ob sie gerade vom Mars gekommen wäre. Ihre Haare fielen ihr in weichen, feuchten Locken um das blasse Gesicht und ihre Augen leuchteten in einem tiefen kornblumenblau. Verdammt – er fühlte sich auf eigenartige Weise überrumpelt. So wollte er sie nicht betrachten. Ausgerechnet.
Er spürte einen winzigen Schauder, als er die weich geschwungene Rundung ihrer Schultern unter der nachlässig geknöpften Bluse erkannte.
Der zarte Duft nach Jasmin umspielte seine Nase. Klar – frisch geduscht.
Innerlich fluchend versuchte er, das seltsame Gefühl in seinem Magen wegzuatmen. Das konnte er jetzt nicht gebrauchen.
»Was ist? Sitzt irgendein Tier auf meiner Nase?« Sicherheitshalber rieb sie über ihr Gesicht, auch wenn diese Geste mehr dazu diente, ihre Verlegenheit ob seines Blickes zu verbergen.
»Ähm, nein. Es ist nur – du siehst so anders aus.« Unerwartete Emotionen durchströmten ihn, als er sie, wider besseres Wissen, genauer musterte. Ihre blasse Haut schien nach der warmen Dusche von innen her zu glühen. Er sah ihre weichen Rundungen unter der hellen Bluse, die sich durch die Feuchtigkeit aus dem Badezimmer enger als sonst an ihren Körper schmiegte.
Irene war verwirrt. Sein Blick war anders, als sonst. Fast so als ob er sie zum ersten Mal richtig ansah.
Wie ein Mann eine Frau ...
Hastig begann sie, in ihrer Handtasche nach einem Haargummi zu kramen.
»Ach, das sind nur die blöden Locken.« Als sie endlich einen zu fassen bekam, band sie sich die Haare hastig zu einem Zopf zusammen.
Mist.
Sie atmete tief durch. Auf einer Ranch mit zwei so heißen Typen zu leben, war einfacher, als hier in einem Motelzimmer dieser geballten Ladung Testosteron ausgesetzt zu sein.
»Ähm, ja«, er verdrängte die merkwürdige Hitze, die ihn bei ihrem Anblick überkam. Erneut wandte er sich dem Fernseher zu.
Er hatte noch nie Probleme mit Frauen gehabt, ganz im Gegenteil. Er mochte sie und er war Sex nicht abgeneigt, solange beide ihren Spaß hatten.
Auch hier in dieser abgelegenen Gegend hatte sich der eine oder andere One-Night-Stand gefunden, doch in diesem Moment fühlte er sich in die Enge getrieben. Sie passte nicht in sein Beuteschema.
Während Irene erfolglos versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen, dass sie beide hier in diesem Bett liegen mussten, hantierte Julian intensiv mit dem Fernseher herum.
Die Erschöpfung war mit einem Male für beide deutlich spürbar.
Zu vieles war heute passiert, dennoch befürchtete Irene, nicht schlafen zu können. Eine Menge Gedanken spukten in ihrem Kopf herum, und dann gab es auch noch dieses verdammte Queensize-Bett! Erneut verfluchte sie sich dafür, in die Stadt gefahren zu sein. Sie hätte schon längst zuhause auf Eagleside sein können, in ihrem mollig warmen Wohnzimmer oder in ihren eigenen privaten vier Wänden, stattdessen steckte sie hier mit Julian fest. Einem modellmäßigen Superkerl mit einer Knarre und einem ungemeinen Selbstvertrauen.
Und du bist mit dem Superkerl aus der Wildnis vor WAS geflohen? Der Gedanke kam schleichend, doch er arbeitete sich langsam hoch. Sie fröstelte leicht. Nein, sie wollte noch nicht daran denken. Sie war viel zu erschöpft.
»Vielleicht solltest du dich hinlegen und etwas schlafen.«
Leichte Besorgnis war aus seiner Stimme herauszuhören.
Ja, wie gerne würde sie dem nachkommen, doch so einfach war es nicht.
»Klar, Superheld, und wo schläfst dann du?«, entgegnete sie trocken.
»Hm«, Julian ließ den Blick durch den Raum wandern, ehe er auf dem schalenförmigen, grünen Ding eines Sofas hängen blieb.
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