Herbert hat von dem Deal der Oberstdorfer mit dem EUROMIX Konzern Wind bekommen. Natürlich verspricht er sich viel davon, wenn er das Interesse des Internetanbieters von Oberstdorf weg zu seinem Ort lenken könnte. Da winken auch seinem Betrieb Chancen.
Als er heute Mittag die Reservierung der EUROMIX-Leute entgegen nahm, dachte er sofort an seine Freundin. So ist es jetzt auch kein Zufall, dass die Klappe der Durchreiche zum Kaminzimmer heute leicht geöffnet ist. Die gefüllte Entenbrust, für die der Küchenchef im ganzen Allgäu bekannt ist, hat den beiden hervorragend gemundet. Kurz vor dem Servieren des Desserts steigt der Lärmpegel aus dem Nachbarraum. Herbert steht plötzlich vom Tisch auf.
„Entschuldige, Bettina, mir fällt gerade ein, dass ich einem Kunden versprochen habe, mich wegen einer Hochzeitsfeier in der nächsten Woche noch einmal telefonisch zu melden. Ich bin sofort wieder da. Du bist mir hoffentlich nicht böse. Aber du weißt ja, Geschäft geht vor Vergnügen.“
„Natürlich, aber lass mir bitte noch ein Glas Rotwein vorbei bringen!“
„Das ist doch selbstverständlich“, und schon ist Herbert um die Ecke verschwunden.
Wohl oder übel ist Bettina gezwungen, den Disput aus dem Kaminzimmer mitzuhören.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein, Bürgermeister, für mich kommt nur das Gelände an den Sprungschanzen in Frage. Was soll ich denn mit den Wiesen im Norden des Ortes?“
„Aber ich habe Ihnen doch gesagt, dass die Wiesen vor dem Oytal dem Verein der RECHTLER gehören. Und die haben in ihren Satzungen, dass kein Gelände an Auswärtige verkauft werden darf, egal wie viel dafür geboten wird“, fleht Einödhofer die Geschäftsleute praktisch an.
„Wir haben dem Verein und eurem Gemeinderat doch schon Millionen angeboten. Ihr könnt doch nicht unendlich mehr verlangen“, brüllt jemand jetzt in die Runde.
„Ich glaube auch nicht, dass mehr Geld die RECHTLER überreden kann“, wendet die Gemeindekämmerin dazu ein.
„Ihr habt auch gesagt, wenn wir denen sagen, dass wir dort ein Museumsdorf bauen, werden sie zustimmen.“
„Das werden sie auch, denn es ist ja ihr Ziel, die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts zeigen zu können. Aber sie werden den Schwindel bald merken.“
„Bürgermeister, das überlassen Sie mal uns. Wir werden schon früh genug vollendete Tatsachen schaffen. Wir haben schon einiges in den geplanten Erlebnispark investiert. Da gibt es kein Zurück, verdammt noch mal.“
„Notfalls müssen wir den Hinterwäldlern mal zeigen, dass wir am längeren Hebel sitzen“, ergänzt eine andere Stimme nun wieder unaufgeregter.
Bettina hat genug gehört. Das Gehörte schockiert sie. Aber was soll sie jetzt machen? Kann sie überhaupt etwas tun?
Kapitel 15 - Pfarrhof (2) 22.12., morgens
Robert Schibulsky hat gut geschlafen. Gegen 9:40 Uhr tritt er aus dem MONTANA Haus. Der Himmel ist an diesem Sonntag erstmals seit seiner Ankunft stark bewölkt. Es sieht nach Regen aus. Robert geht zum Bahnhof. Hier gibt es auch sonntags frische Semmeln.
Um seine Laune noch eine Nuance zu steigern, nimmt er zusätzlich zu den zwei Semmeln heute trotz seines Diabetes noch ein großes Stück Bienenstich mit. Er verstaut das Gebäck in seiner Leinentasche. Umweltschutz muss sein. Je älter Robert wird, umso umweltbewusster wird er. „Wir müssen unseren Nachkommen schließlich eine lebenswürdige Erde hinterlassen!“
Robert möchte den katholischen Pfarrer noch einmal besuchen. Daher geht er über die Haupt- und die Weststraße zum Pfarrhof. Obwohl der allsonntägliche Pfarrgottesdienst, der um 9:30 Uhr beginnt, noch nicht beendet sein kann, schellt Robert an der Tür von Pfarrer Dr. Altmayer.
Nach wenigen Sekunden öffnet sich die Tür und die Haushälterin erscheint. Robert setzt sein breitestes Lächeln auf. „Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen, Frau …“
„Brutscher!“ setzt Eva-Maria Brutscher, die 71-jährige Haushälterin des Pfarrhofes fort.
„Ist der Herr Pfarrer schon vom Gottesdienst zurück?“
„Ach, waren Sie nicht in der Kirche?“, maßregelt die Alte.
„Entschuldigen Sie Frau ….“
„Brutscher.“
„Ja, natürlich, Brutscher. Leider habe ich heute Morgen verschlafen.“
„Sie haben sicherlich vergessen, Ihren Wecker zu stellen, nicht wahr.“
Robert hat hier und seit seiner Pensionierung auch zu Hause in Bielefeld keinen Wecker mehr. Dennoch antwortet er: „Tatsächlich, Frau ….“
Diesmal sagt die Alte nichts, und Schibulsky fährt fort: „..Brutscher. Ich habe gestern in der Tat den Wecker vergessen.“
„Sehen Sie, Herr Schibulsky, ich nehme täglich einen Esslöffel Salbeiöl, das hilft gegen Vergesslichkeit.“
Robert Schibulsky schaut die Alte erstaunt an. „Woher kennen Sie meinen Namen?“
Eva-Maria schüttelt den Kopf. „Ach, Herr Schibulsky, ich habe gestern nach Ihrem Besuch noch ein kurzes Gespräch mit unserem Herrn Pfarrer geführt. Daher weiß ich ihren Namen.“
„So, so, Salbeiöl also“, wiederholt Robert, der sich in letzter Zeit wirklich Sorgen wegen seiner Vergesslichkeit macht. Alzheimer lässt grüßen.
„Ich müsste noch einmal mit dem Pfarrer sprechen. Aber vielleicht können Sie mir auch helfen.“
Die Haushälterin bittet Schibulsky endlich herein und führt ihn ins Wohnzimmer. Er nimmt im braunen Ledersessel neben dem Schreibtisch Platz. Frau Brutscher setzt sich ihm gegenüber auf das dreisitzige Sofa.
„Frau Brutscher, was können Sie mir über Kaplan Teuffel sagen?“
Die Alte ziert sich: „Nur das Beste. Der Kaplan war stets freundlich und fleißig. Er war in der Gemeinde, besonders aber bei den Kindern und Jugendlichen sehr beliebt.“
„Was bedeutet fleißig?“
„Nun, er hat über seinen Dienstplan hinaus oft Termine unseres Pfarrers mit übernommen. Außerdem war er jede freie Minute entweder im Computerklub bei den Jugendlichen oder bei seiner kranken Mutter.“
„Was ist mit seiner Mutter?“
„Als der Kaplan an unsere Kirche beordert wurde, hat er seine Familie aus Westfalen mitgebracht. Seine Mutter leidet schon sehr lange an Rheuma. Sie kann ihre Wohnung in der Bienengasse kaum verlassen, da sie die Treppe kaum hinauf und herunter kommt.“
„Sie sprachen von Familie. Was ist mit seinem Vater, oder Geschwistern?“
„Vom Vater weiß ich nichts. Aber seine Schwester wohnte ebenfalls in der Wohnung mit der Mutter. Bis sie vor einem Jahr den Metzger Zorn geheiratet hat. Frau Zorn-Teuffel führt jetzt die Buchhaltung und ist 2. Bürgermeisterin im Ort. Wo sie jetzt wohnt, weiß ich nicht genau. Ich glaube im Neubaugebiet oben Am First.“
Ein Moment Stille tritt ein. Schibulsky überdenkt das zuletzt Gehörte. „Frau Brutscher, hat Kaplan Teuffel in letzter Zeit Ärger oder Streit mit jemandem? Oder gab es ein besonderes Ereignis?“
„Wie gesagt, er war bei jedem beliebt.“
„Und sein Verhältnis zum Pfarrer, war das auch so gut?“, bohrt Robert nach. Die alte Haushälterin zögert, ihre Augenlider schließen sich für einen kurzen Augenblick.
„Kaplan Teuffel hatte wohl zuletzt etwas viel Stress, vor allem wegen der Jubiläumsfeier unseres Computerklubs. Als Pfarrer Dr. Altmayer ihm die Hochzeit und das vorangehende Brautgespräch von diesem ungewöhnlichen Paar übertragen wollte, sagte ihm der Kaplan, dass er das unmöglich zeitlich schaffen kann. Da das Paar aber nur vom jungen Kaplan getraut werden wollte, hat der Kaplan letztendlich doch eingewilligt.“
„Wann hatten denn diese Brautleute diesen besonderen Wunsch?“
„Ich denke, das muss fast sechs Wochen her sein.“
„Kennen Sie das Brautpaar?“
„Nein, die jungen Leute haben sich meines Wissens hier beim Skifahren kennengelernt. Aber mir kamen die beiden irgendwie komisch vor. Kaplan Teuffel war nach dem Brautgespräch auch ganz verstört. Er sagte mir einmal, dass er sich gar nicht mehr an das Gespräch mit den beiden erinnern konnte.“
Читать дальше