»Gib mir noch eine Viertelstunde Zeit«, sagte er »ich muss zuerst mit Sunshine noch mal raus.«
»Dann nimm doch bitte meinen Hund gleich mit«, sagte sie zu ihm und zog ihn und Sunshine in den Lift herein, der dann in den siebten Stock fuhr. »Ich möchte nicht mehr nach draußen gehen und während du mit unseren Lieblingen noch mal Gassi gehst, kann ich mich aufwärmen. Geht das in Ordnung?«
Sie waren vor ihrem Zimmer angekommen. Sie steckte die Keycard in den Schlitz. Von innen hörte man ein leichtes Bellen und an der Tür das Kratzen von ihrem Hund Body. Als die Tür offen war, beschnupperten sich die zwei auf dem Gang. Rüde und Hündin, das geht meistens gut, dachte Maximilian. Er ging nicht hinein in ihr Zimmer, sondern wartete auf dem Gang. Sie brachte ihm die Hundeleine, lächelte, hauchte ein Danke und drückte ihm auch die Keycard in die Hand. Sie blieb in der Tür stehen, bis die drei im Aufzug waren, um nach unten zu fahren. Auf dem Weg nach unten dachte Maximilian über die letzten Stunden nach und darüber, wie schnell sich doch die Lebensbahn verändern kann. Hatte er die ersten Tage jeden Urlaubstag genossen, wurde die Urlaubsfreude durch den Totenfund jäh zerstört.
Die Fotos, die er von der Toten gemacht hatte, die ihn außergewöhnlich stark aus der Ruhe gebracht hatten, wo er doch sonst, auch bei schwierigen Aufträgen und erschütternden Fotos, eher stimmungslos arbeiten konnte.
Das Treffen mit Manfred, den er lange nicht gesehen hatte und nun durch diesen Zufall mit ihm das erste Mal zusammen arbeiten würde und in diesem Augenblick mit zwei Hunden in Richtung Strand Gassi ging.
Vor allem aber durch eine tolle Frau, die im siebten Stock auf ihn wartete und damit die Urlaubsstimmung zurück brachte. Und er freute sich schon jetzt auf den Rest des Abends.
Seine Gedanken waren wohl typisch männliche Gedanken, denn er malte sich eben diesen restlichen Abend mit Sonja aus. Waren die Signale nicht eindeutig gewesen? Der erste Blick an der Bar, das Rüberkommen, nachdem Manfred gegangen war, ihr Blick in seine Augen, das Handhalten, ihr Runterbeugen mit der offenen Bluse und dem Blick auf ihre Brüste, der Vorwand, dass sie friere und sie lieber aufs Zimmer gehen würde und letztlich das Gassigehen mit den Hunden, um sich dann fertig zu machen für diesen Abend.
Sunshine war als erste an den Strand gelaufen, der jetzt menschenleer war. Sie freute sich immer, wenn man sie ohne Leine laufen ließ, aber nur, wenn sie es wollte. Ebenso gab es viele Situationen, wo sie einfach stehen blieb und darauf wartete, angeleint zu werden, um dann mit ausgezogener Leine voraus zu laufen. Bei Body hatte er Sonja zu fragen vergessen, ob er ohne Leine wieder zu ihm herkommen oder eher seine erlangte Freiheit nutzen und weglaufen würde. Er wusste es, nachdem er Body von der Leine nahm.
Er lief weg. Aus diesem Grund wurde aus dem Gassigehen fast eine halbe Stunde, was Maximilian ärgerte, wäre er doch lieber im siebten Stock auf der Couch gesessen. So aber hatte er einiges zu tun, um beide Hunde, die sich am Strand hin und her jagten, wieder an der Leine zu haben. Dann aber waren sie doch noch zurück zum Hotel gelangt. Etwas müde trotteten die beiden Hunde hinter ihm her in Richtung Aufzug. Mit jeder erreichten Etage schlug sein Herz unmittelbar schneller und er wurde zunehmend nervöser.
Mit seiner Freude auf Sonja wuchsen auch leichte Bedenken, kannten sie sich doch erst seit wenigen Stunden. Mit dem Gong, der signalisierte, dass er im siebten Stock angekommen war und sich gleich die Aufzugtür öffnen würde, wischte er alle Zweifel weg, dachte noch mal an seine letzte Beziehung, bei der es auch so schnell gefunkt hatte und sie nach kürzester Zeit im Bett waren und auch daran, dass es wohl bei ihm Fügung war.
Er beließ es dabei. Zitternd steckte Maximilian die Keycard ins Öffnungssystem der Suite 706. Erst jetzt sah er das Messingschild an der Seite, Suite 706 – Zeringerhaffer Meerblick. Die Tür ging leise auf und rutschte sachte über den hochflorigen Teppich. Im Spiegel, der über zwei Meter hoch und über einen Meter breit neben der Tür angebracht war, sah er in den Wohnraum, der nur durch eine dezentes Stehlampenlicht erhellt wurde, was eine ruhige und angenehme Atmosphäre verursachte und er sah zwei Meter weiter am Boden liegend Sonjas Bluse, die Jeans, Socken und ihre Schuhe auf einem Haufen, so wie man Klamotten hinwirft, die man schnell ausgezogen hat.
Er musste grinsen. Am Fenster stand die Couch, nein, sie thronte mitten im Zimmer als wuchtige weiße Ledercouch umgeben von zwei ebenfalls weißen Ledersesseln. Diese Couch verschluckte den restlichen Raum. Er sah Sonja nicht, wollte aber auch nicht rufen. Er ging hinein ins Zimmer und sein Blick ging weiter im Raum umher. Die Suite war groß und es waren mehrere Zimmer, denn links und rechts war je eine Tür, beide geschlossen. Er hörte ein leises Atmen in der Stille des Raumes und dann sah er Sonja. Sie lag entspannt und in eine riesige Wolldecke komplett bis zur Nasenspitze eingehüllt auf dieser Couch und war eingeschlafen. Einen kurzen Moment ärgerte er sich ein drittes Mal, besonders aber über Body, der der Verursacher seines Zuspätkommens war. Einen weiteren kurzen Augenblick dachte er darüber nach, ob er sie nicht einfach wieder aufwecken sollte, um den weiteren Abend in seine Richtung lenken zu können, verwarf diesen Gedanken aber und ließ sie schlafen. Die Beruhigungstabletten und der Alkohol hatten wohl erheblich zu ihrer Müdigkeit beigetragen. Maximilian ging zum Schreibtisch, der auf der linken Seite des Zimmers stand, nahm den Tintenfüller, ein edles Teil mit Griff in marmorgrau, und schrieb auf einen Zettel seine Zimmernummer, dass er beide Hunde mitgenommen habe und ihr eine gute Nacht wünsche. Den Zettel legte er auf den Glastisch vor der Couch, damit sie ihn, wenn sie wach wurde, sofort sehen würde. Er wollte beide Hunde nehmen und zur Türe gehen, als er etwas stockte. Die Hunde lagen im Gang nebeneinander und rührten sich nicht. Er änderte seinen Plan und drehte sich wieder in Richtung Couch und Zimmer. Er dachte sich, es könne nicht schaden, sich ein wenig umzusehen. Vielleicht würde er etwas über diese Frau auf der Couch erfahren können und vielleicht würde sie ja von selber wach werden und sich freuen, ihn doch noch zu sehen? Seine Neugierde stieg in ein Herzpochen und er fühlte sich wie früher als Kind, wenn er etwas ausheckte, wovon er wusste, dass man es nicht durfte und bestimmt Ärger bekommen würde, aber nur, wenn man ihn erwischen würde. Er hatte diesen Drang oft gehabt und früher als kleiner Junge schon in den elterlichen Schränken nach den Weihnachtsgeschenken gesucht und auch immer welche gefunden. Später und älter, kramte er gerne in fremden Taschen und Schubladen ohne jemals etwas mitgenommen zu haben. Jetzt war es wieder verstärkt da, das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun und das Risiko zu tragen, erwischt zu werden. Der Drang der Neugierde siegte.
Er ging zuerst ins Bad. Die Bad Türe stand zu einem Drittel offen und befand sich gegenüber dem Spiegel im Gang. Er machte nur die Deckenstrahler über dem Spiegel an, die ebenfalls wie die Stehlampe im Wohnraum ein sanftes Licht ausstrahlten. Auf dem Boden lagen getragene weiße Socken, ein roter BH und ein roter Slip. Zumindest den BH hatte sie wohl von noch irgendwann liegen gelassen, denn getragen hatte sie diesen an der Bar ja nicht.
Neben der Badewanne stand ihr Schminkkoffer und auf einem kleinen Tisch lagen ein großes Badetuch, ein Handtuch und ein nasser Waschlappen, welchen Sonja benutzt hatte. An der Duschwand perlten noch große Wassertropfen ab, die sich auf ihrem Weg nach unten in kleine Rinnsale auflösten und sich teilweise vermischten, um dann zusammen in den Abfluss zu laufen. Auf dem Spiegelbord stand ein Wasserglas mit ihrer Zahnbürste und einer Tube Zahnpasta mit Pfefferminzgeschmack. Daneben Schminkpinsel und ein Parfum von Armani, Zahnseide und Wattestäbchen in einer Plastikbox und zwei Tücher, die sie zum Abwischen ihres Lippenstiftes benutzt hatte. Sie trug also doch Lippenstift, was er nicht bemerkt hatte, da man deutlich ihre Lippen in roter Farbe auf den Tüchern sah. Er rührte nichts an und ging zurück ins Zimmer.
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