»Ist das nicht die Frau, die mit dem Hund, der die Leiche gefunden hat?« stupste Manfred Maximilian fragend an, als beide einige Minuten Schweigen hinter sich hatten.
»Ja, das ist sie«, antwortete dieser kurz. »Sie hat sich wohl wieder gefangen. Es muss ein Schock für sie gewesen sein.«
»Ich werde sie morgen als Zeugin befragen, wie alle anderen vom Strand. Ihre Schwester ist schon vorgestern abgereist, hatte Termine. Darum gehe ich jetzt ins Bett, muss früh raus und es wird ein langer Tag für mich.«
Manfred stand nach diesem Satz auf, schlug Maximilian auf die Schulter, beugte sich zu ihm herunter und flüsterte noch in sein Ohr:
»So wie du an die Bar starrst, hab ich wohl eh nichts mehr zu melden, also dann greif mal an, hübsch ist sie ja und nicht verdächtigt.« Damit ging er in Richtung Lift, um im gleichen Augenblick darin zu verschwinden. Im dritten Stock hielt der Lift an, was deutlich an der aufleuchtenden Zahl zu sehen war.
Jake Russel Bodys Frauchen stand also immer noch an der Bar. In ihrer Kleidung sah sie genauso attraktiv aus wie in den letzten Tagen in ihrem String am Strand. Sie wirkte nach wie vor ruhig und zufrieden. Wo sie wohl ihren Hund gelassen hatte? Sie trank immer noch Sekt und aß dazu die Erdnüsse, die auf der Bar standen und den Gästen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, nicht ohne dem Hintergedanken, dass Salziges mehr Durst auslöst. Der Barkellner hatte nicht viel zu tun und konnte sich intensiver um die wenigen Gäste kümmern. Besonders um Bodys Frauchen, das fiel auf. Er sprach mit ihr, wobei er ein immer andauerndes, gelerntes Lächeln aufsetzte.
Sie ließ sich davon nicht beeindrucken, lächelte aber freundlich, wenn auch kurz, zurück. Dann trafen sich die Blicke zwischen ihr und Maximilian zum zweiten Mal an diesem Abend. Sie rutschte von ihrem Barhocker, nahm ihr Sektglas in die Hand und schritt langsam und mit einem Modelhüftschwung auf ihn zu.
»Hallo, waren Sie nicht gestern am Strand und haben die Fotos der Leiche gemacht?« fragte sie Maximilian ohne Umschweife.
»Ja, das war ich, Hansen, ich heiße Hansen.«
»Sonja, wollen wir was trinken?« Sie hatte ein besonderes Lächeln. Ihre weißen Zähne blinkten, die vollen roten Lippen brauchten keinen Stift zur Unterstützung und auf ihrer linken Wange entstand ein süßes, kleines Grübchen. Maximilian folgte ihr in Richtung der äußeren Sitzreihe im angeschlossenen Wintergarten, der nach draußen hin offen stand und genügend angenehmen Wind von der Meerseite in sich aufnahm. Es war längst dunkel, aber das Lichtspiel der Hotelanlage ließ es draußen angenehm hell erscheinen.
Der Kellner hatte sie beobachtet und war ihr hinterhergegangen in der Hoffnung, noch eine Bestellung zu bekommen. Diesmal wählte Maximilian kein Bier mehr, sondern eine gute Flasche Wein mit zwei Gläsern aus, die der Barkellner schnell servierte und professionell eingoss. »Prost, auf einen besseren Abend«, sagte Sonja. Die Gläser hatten einen guten Klang beim Zuprosten. »Wo haben Sie Ihren Hund gelassen?« fragte er Sonja, um das Gespräch zu beginnen.
»Auf meinem Zimmer«, antwortete sie. »Und Ihrer? Schläft er immer und überall?«
»Er ist eine Sie , Sunshine, schläft sehr viel, liegt wohl an ihrem Wesen und an ihrer Art, oder auch am Alter.« Sunshine bekam wohl mit, dass die beiden über sie redeten, denn sie hob ihren Kopf an und schaute zu ihnen hoch, wie immer wieder schwanzwedelnd. Sonja rutschte in ihrem Sessel nach vorne und bückte sich hinunter zu Sunshine, um den Hund zu streicheln. Beim Bücken öffnete sich ihre beige Bluse, die sie bis zum Brustansatz aufgeknöpft trug, leicht und er konnte einen ersten kurzen aber intensiven Blick erhaschen. Sie trug keinen BH und so war der Blick auf ihre wohlgeformten Brüste frei von Stoff. Sie hatte wohl bemerkt, dass er in ihre Bluse starrte und sie nutzte es aus, indem sie länger in ihrer Stellung innehielt. Er musste leicht grinsen, fielen ihm die letzten Tage am Strand ein, wo alle Männer und auch er ihre Brüste immer nur von der Ferne hatten anschauen können und er, nachdem sie ihre Muschelöffnung richtig hingestellt hatte, zum zweiten Mal das Privileg bekam, jetzt ihre Brüste so nah sehen zu können wie keiner der Strandmänner es jemals zu sehen bekommen würde. Und sie wirkten nicht mehr so klein, wie er am Strand vermutet hatte. Sie waren natürlich und passend zum Rest ihres schlanken Körpers. Als sie sich wieder aufsetzte, trafen sich ihre Blicke und ihr Atem. Sie nahm einen Schluck Wein und lächelte ihn an.
»Wohnst du, ich darf doch du sagen, auch hier im Hotel?« fragte sie ihn. »Ja, ich habe ein schönes Zimmer im vierten Stock, mit Blick auf den Garten. Maximilian, und das Du passt.«
»Dann lass uns auf das Du anstoßen, Maximilian«, antwortete sie.
Der Klang der Gläser zerstörte die Ruhe des Wintergartens und er merkte, dass er direkt an ihr klebte, so starr, wie er in ihre Augen schaute. Um sie herum saßen mittlerweile keine Gäste mehr, sie waren alleine. Der Barkellner polierte auf der anderen Seite Gläser, schaute die beiden dabei aber nicht an. Es kribbelte bei ihm, ihm wurde warm und er ertappte sich dabei, dass seine Hände schwitzten, so als hätte er seine erste Verabredung mit einer Frau.
Er erinnerte sich kurz an seine letzte, längere Beziehung und den ersten Kontakt damals mit Monika. Auch hier waren es die Blicke in ihre blauen Augen gewesen und zugegeben auch der Blick auf ihre durch den Wasserfleck sichtbar gewordene Brust, die ihn dazu verleitet hatten, mit ihr zu schlafen und danach zwei Jahre mit ihr zusammen zu leben. Dinge wiederholen sich immer wieder mit gleichem Rhythmus, dachte er kurz. Wie oft hatte er schon darauf hingewiesen, dass sein Hund eine Sie ist und wie oft hatte Sunshine schon ihren Kopf gehoben und mit ihrem Schwanz gewedelt, wenn sie ihren Namen gehört hatte - und auch die gerade bemerkte Wiederholung zwischen Monika und Sonjas Brustanschauen.
»Wie geht es dir eigentlich nach diesen Tagen?«
Seine Frage hallte direkt im Raum. Sie erschrak kurz und die Frage ließ die knisternde Stimmung zerplatzen wie einen Luftballon. Er ärgerte sich über seine Frage. Sie aber baute die Stimmung sofort wieder auf. Sie nahm seine Hand in ihre Hände, rückte näher zu ihm hin und antwortete mit einer seltsam ruhigen Stimme: »Ich sehe nicht jeden Tag eine Tote. Und bestimmt auch keine abgebissenen Finger. Ich wollte direkt nach den Ereignissen am Strand einfach abhauen, abreisen, nicht mehr daran denken. Dann aber musste ich ja die Fragen der Polizei beantworten und ein Psychologe hat mit mir gesprochen. Ich hatte mich dann den Rest des Tages auf mein Zimmer verzogen und aufs Meer gestarrt, bis ich eingeschlafen war. Heute ging es mir den ganzen Tag nicht anders. Am Nachmittag ist mir dann die Decke auf den Kopf gefallen und nach einem angenehm langen Bad hatte ich für mich beschlossen, runter an die Bar zu gehen. Die Beruhigungstabletten, die ich seit gestern geschluckt habe, und der Prosecco heute halfen mir dabei, ruhiger zu werden und jetzt, wo ich hier neben dir sitze und deine Hand halten kann, sind die letzten Tage mit ihren schrecklichen Ereignissen fast vergessen. Ich will auch jetzt im Moment nicht mehr daran denken.«
Sie nahm einen kräftigen Schluck Wein und lehnte sich zurück in ihren Sessel, so, als wenn sie ihr Gewissen erleichtert hätte und damit zufrieden war.
»Mich friert etwas«, sagte sie dann weiter. »Lass uns den Rest vom Wein nehmen, auf mein Zimmer gehen. Dann kann ich mir eine Decke rüber legen und wir können aufs Meer schauen und weiter reden. Unsere Hunde werden sich sicher auch verstehen. Komm«, sagte sie direkt auffordernd und fast forsch, während sie aufstand, die zwei Weingläser und die Flasche in die Hand nahm und vorausging. Mit einem Blick zu Maximilian verstärkte sie ihr Vorhaben und ohne von ihm eine Antwort abzuwarten ging sie in Richtung Lift. Er stiefelte ihr nach bis zum Lift und auch Sunshine folgte den beiden schleichend. Sie hatte schon mit einem Drücken auf den Nach-unten-Knopf den Lift geholt, der sich soeben öffnete.
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