»Das gibt es alles …« Sie macht sich plötzlich frei. »Sie fahren besser nach Hause. Sie verlieren Ihr Geld mit dem Warten. Wir sind nun einmal im Unglück.«
Jachmann antwortet nichts. Er geht zwei Schritte hin, zwei Schritte her. Auf dem Tisch liegt die Blechschachtel von den Zigaretten mit den alten Spielkarten, die der Murkel so liebt.
»Wie haben Sie gesagt«, fragt Jachmann, »daß der Junge die Karten nennt?«
»Welcher Junge? Ach so, der Murkel! Ka-Ka, sagt er dazu.«
»Soll ich Ihnen mal die Ka-Ka legen, die Karten legen?« sagt Jachmann und lächelt. »Passen Sie auf, Ihre Zukunft ist ganz anders, als Sie denken.«
»Lassen Sie schon«, sagt Lämmchen. »Es wird ein kleines Geldgeschenk ins Haus fliegen, das ist die Krisenunterstützung von nächster Woche.«
»Ich bin im Moment nicht sehr flüssig«, sagt Jachmann. »Aber achtzig Mark, vielleicht neunzig Mark, würde ich Ihnen gerne geben.« Er verbessert sich. »Leihen, pumpen, meine ich.«
»Es ist nett von Ihnen, Jachmann«, sagt Lämmchen. »Wir könnten es brauchen. Aber wissen Sie, Geld hilft nichts. Durch kommen wir schon. Geld hilft zu gar nichts. Arbeit würde helfen, ein bißchen Hoffnung würde dem Jungen helfen. Geld? Nein.«
»Ist es, weil ich wieder zu Ihrer Schwiegermutter gehe?« fragt Jachmann und sieht Lämmchen sehr nachdenklich an.
»Auch«, sagt Lämmchen. »Auch. Ich muß alles weghalten von ihm, was ihn noch mehr quält, Jachmann. Das verstehen Sie doch.«
»Versteh ich«, sagt Jachmann.
»Aber in der Hauptsache ist es«, sagt Lämmchen, »weil es ja nichts hilft, das Geld. Ein bißchen besser durch sechs, acht Wochen leben, was ändert das? Nichts.«
»Vielleicht kriege ich ’ne Stellung für ihn«, sagt Jachmann nachdenklich.
»Ach, Herr Jachmann«, sagt Lämmchen. »Sie meinen es ja gut. Aber geben Sie sich keine Mühe, wenn es jetzt wieder kommt, darf es nicht wieder mit Schwindel und Lüge kommen. Der Junge muß raus aus der Angst, muß sich wieder frei fühlen.«
»Ja …«, sagt Jachmann betrübt. »Wenn Sie heute auch noch solchen Luxus wollen, ohne Schwindel und Lüge … das kann ich freilich nicht.«
»Sehen Sie«, sagt Lämmchen eifrig, »die andern stehlen sich hier Holz für die Feuerung. Wissen Sie, ich finde es gar nicht schlimm, aber ich habe zu dem Jungen gesagt, du darfst das nicht. Er soll nicht runter, Jachmann, er soll nicht! Das soll er behalten. Luxus – ja, vielleicht, aber das ist unser einziger Luxus, den halt ich fest, da passiert nichts, Jachmann.«
»Junge Frau«, sagt Jachmann. »Ich …«
»Sehen Sie mal den Murkel in seinem Bettchen, und nun kommt es vielleicht wieder besser, und der Junge rappelt sich wieder auf und hat eine Stellung und eine Arbeit, die ihm Spaß macht, und verdient wieder Geld. Und da soll er immer denken: Das hast du gemacht, und so bist du gewesen? Es ist nicht das Holz, Jachmann, es sind nicht die Gesetze – was sind denn das für Gesetze, daß sie uns alles straflos zerschlagen dürfen, und wir sollen wegen drei Mark Holz ins Kittchen …? Da lach ich drüber, Jachmann, das ist keine Schande …«
»Junge Frau …«, will Jachmann anfangen.
»Aber der Junge kann’s nicht«, sagt Lämmchen eifrig. »Der ist wie sein Vater, der hat nichts von seiner Mutter. Mama hat es mir ja zehnmal erzählt, was für ein Püttjerhannes sein Vater gewesen ist, erst mit seiner Arbeit als Bürovorsteher beim Rechtsanwalt, alles hat genau sein müssen bis aufs Tittelchen. Und dann mit seinem ganzen Privatleben. Wie er losgelaufen ist am Abend, wenn am Morgen eine Rechnung gekommen war, und hat sie sofort bezahlt. ›Wenn ich sterbe‹, hat er gesagt, ›und die Rechnung kommt weg, kann einer sagen, ich bin ein unehrlicher Mann gewesen.‹ Genauso ist der Junge. Und darum ist es kein Luxus, Jachmann, das muß er behalten, und wenn er jetzt manchmal denkt, er kann sein wie die andern: Er kann nicht. Er muß sauber bleiben. Und dafür passe ich auf, Jachmann, deswegen nimmt er keine Stellung wieder an, die auf Schwindel aufgebaut ist.«
»Was tu ich noch hier?« sagt Jachmann. »Was sitz ich hier? Auf was wart ich hier? Hier ist alles richtig. Ihr Kram geht in Ordnung. Sie sind richtig, junge Frau, Sie sind goldrichtig. Ich fahr nach Haus.«
Aber er fährt nicht, er steht nicht einmal auf von seinem Stuhl, er sieht Lämmchen groß an. »Heute morgen sechs Uhr, Lämmchen«, sagt er, »bin ich aus dem Kittchen entlassen worden. Ich hab ein Jahr abgerissen, junge Frau«, sagt Jachmann.
»Jachmann«, sagt Lämmchen, »seit Sie damals wegblieben in der Nacht, hab ich mir immer so was gedacht. Nicht gleich, aber es war doch möglich. Sehen Sie«, Lämmchen weiß nicht recht, wie sie es sagen soll, »Sie sind doch so …«
»Natürlich bin ich so …«, sagt Jachmann.
»Zu den paar Menschen, die Sie mögen, sind Sie nett, und zu allen andern sind Sie wahrscheinlich gar nicht nett.«
»Stimmt!« sagt Jachmann. »Sie mag ich, junge Frau.«
»Und dann leben Sie gerne und haben gerne viel Geld, und es muß Betrieb um Sie sein, und Sie müssen immer was vorhaben – na ja, es ist Ihre Sache. Wie Mama mir das gesagt hat, Sie sind steckbrieflich gesucht, habe ich gleich gewußt, es stimmt.«
»Und wissen Sie auch, wer mich angezeigt hat?«
»Mama, nicht wahr?«
»Natürlich, Mama. Frau Marie, genannt Mia Pinneberg. Wissen Sie, Lämmchen, ich war ein bißchen fremdgegangen, und Mama ist ein Teufel, wenn sie eifersüchtig ist. Na, Mama ist auch dabei reingefallen, nicht schlimm, vier Wochen.«
»Und nun gehen Sie wieder zu ihr? Aber ich verstehe es schon. Sie gehören zusammen.«
»Richtig, junge Frau. Wir gehören zusammen. Wissen Sie, sie ist doch eine herrliche Frau. Ich mag das sehr, daß sie so gierig ist und so egoistisch. – Wissen Sie, daß Mama über dreißigtausend Mark auf der Bank hat?«
»Was?! Über dreißigtausend?«
»Was denken Sie denn? Mama ist doch klug. Mama baut doch vor, Mama denkt doch ans Alter, Mama will auf niemanden angewiesen sein. Nein, ich geh wieder zu ihr. Für einen wie mich ist sie der beste Kamerad von der Welt, durch dick und dünn, Pferdestehlen und alles.«
Dann ist es eine Weile still, und dann steht Jachmann plötzlich auf und sagt: »Also, gute Nacht, Lämmchen, ich fahre dann.«
»Gute Nacht, Jachmann, und daß es Ihnen recht, recht gut geht.«
Jachmann zieht die Schultern: »Die Sahne ist ja doch weg, Lämmchen, wenn man an die Fünfzig ist. Blaue Milch, Magermilch, Gelabber.« Er macht eine Pause, dann sagt er leicht: »Und Sie kommen ja wohl wirklich nicht für mich in Frage, Lämmchen?«
Lämmchen lächelt ihn an, ganz aus der Tiefe her: »Nein, Jachmann, wirklich nicht. Der Junge und ich …«
»Also machen Sie sich keine Angst um den Jungen! Der kommt. Der ist gleich hier! Tjüs, mein Lämmchen. Und vielleicht auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen, Jachmann, bestimmt auf Wiedersehen! Wenn’s uns besser geht. So, und nun vergessen Sie Ihre Koffer nicht. Die waren doch die Hauptsache.«
»Die waren die Hauptsache, junge Frau. Richtig wie immer, goldrichtig.«
Busch zwischen Büschen. Und die alte Liebe
Lämmchen ist noch mit in den Garten gegangen, der verschlafene Chauffeur bekam den kalten Motor nicht gleich in Gang, sie standen schweigend neben dem Wagen. Dann gaben sie sich noch einmal die Hand, sie sagten sich noch einmal Adieu, und Lämmchen sah den Lichtschein der Scheinwerfer ferner und ferner, das Geräusch des Motors hörte sie noch eine Weile, und es ist alles still und dunkel um sie.
Der Himmel ist sternenklar, es friert leicht. In der ganzen Siedlung, so weit sie schauen kann, ist kein Licht zu sehen, nur hinter ihr, im Fenster der eigenen Laube, scheint sanft die rötliche Helle der Petroleumlampe.
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