Und er kommt gar nicht dazu, die wahre Geschichte zu erzählen, ach, er kann es nicht mehr, wie liebt sie ihn plötzlich! Er nickt und schweigt und lächelt vielsagend … sie ist so wild, sie ist so stolz auf ihn …
Welch Menschengesicht, dieser kleine Schauspieler! Dieser große Schauspieler Pinneberg hat das Gesicht heute morgen liegen sehen, auf dem Kissen des Ehebettes, als der Wecker fünf Minuten vor halb war, ein müdes, faltiges Gesicht, der Mann hatte Sorgen. Und nun hier, vor der Frau, die er liebt, von der er zum erstenmal in seinem Leben bewundert wird … Wie es aufblüht, das Gesicht, wie die Verschlagenheit verschwindet, wie das Glück wächst und groß wird und aufblüht wie eine ungeheure Blume, ganz aus Sonne … O du armes, kleines, demütiges Gesicht, hier ist deine Chance gekommen, nie wirst du sagen können, nie, daß du immer nur klein warst, auch du bist König gewesen!
Ja, nun ist er König geworden, ihr König. Er hat Hunger? Die Füße schmerzen ihm vom langen Stehen? Wie sie läuft, wie sie ihn bedient, er ist soviel mehr als sie, er hat das für sie getan! Nie braucht er wieder das Wasser aufzusetzen, als erster aufzustehen … Er ist der König.
Vergessen auf dem Tisch liegt das Geld.
»Siehst du, wie er liegt und lächelt«, flüstert Pinneberg atemlos zu Lämmchen.
»Der arme Mensch«, sagt Lämmchen. »Es kann doch nicht gut ausgehen. Ob er jetzt ganz glücklich ist? Ob er gar keine Angst hat?«
»Dieser Franz Schlüter ist ein sehr begabter Schauspieler«, meint Jachmann.
Nein, es kann wirklich nicht gut ausgehen. Auf die Dauer bleibt das Geld nicht unvergessen. Aber es ist nicht beim ersten großen Einkauf, auch nicht beim zweiten, daß es anders wird. Welcher Rausch für die Frau, kaufen zu können, alles, alles! Welche Angst für den Mann, der weiß, woher das Geld kommt.
Und dann beim drittenmal, und das Geld geht zur Neige, und sie sieht einen Ring … Ach, das Geld reicht nicht mehr. Eine Menge von Ringen breitet sich glitzernd vor ihr aus, der Verkäufer ist so achtlos, er bedient zwei Parteien – o ihr Gesicht, wie sie ihren Mann anstößt: Nimm!
Sie glaubt ja von ihm, daß er alles für sie tut. Aber er ist nur ein kleiner Bankkassierer; er kann es nicht, er tut es nicht.
Wie sie das begreift, wie sie zum Verkäufer sagt: Wir kommen wieder. Und der Mann geht klein und grau neben ihr und sieht sein Leben vor sich, ein langes, endloses Leben, neben dieser Frau, die er liebt, und die dies von ihm erwartet …
Und sie schweigt, sie muckscht, sie tückscht – und plötzlich schlägt sie um, und sie sitzen von ihrem letzten Geld in einem Lokal, und der Wein ist da, und sie flammt und sie glüht. »Morgen wirst du es wieder tun.«
Das kleine, graue, arme Gesicht. Und die strahlende Frau.
Eben noch wollte er die Wahrheit sagen, und nun bewegt er den Kopf, gemessen, ernst, von oben nach unten: bejahend.
Wie soll es weitergehen? Der Volontär kann nicht in alle Ewigkeit weiter pumpen, schenken heißt das, er sagt nein. Und der kleine Kassierer erzählt dem Freund, warum er Geld haben muß, was seine Frau von ihm glaubt. Der Volontär lacht und gibt ihm Geld und sagt: »Deine Frau muß ich aber kennenlernen!«
Und dann lernt der Volontär die Frau kennen, und dann kommt es, wie es kommen muß, er verliebt sich in sie, und sie hat nur Augen für ihren Mann, diesen mutigen, rücksichtslosen Mann, der alles für sie tut. Und die Eifersucht kommt, und am Tisch des Kabaretts, in dem sie sitzen, erzählt der Volontär ihr die Wahrheit.
Ach, wie der kleine Mann aus der Toilette zurückkommt, und die beiden sitzen an ihrem Tisch, und sie lacht ihm entgegen, lacht ihm frech und verächtlich entgegen.
Und in diesem Lachen versteht er alles: den verräterischen Freund und die treulose Frau. Und sein Gesicht verändert sich, seine Augen werden groß, zwei Tränen stehen darin, seine Lippen zittern.
Sie lachen.
So steht er und sieht sie an. Er sieht sie an.
Ja, vielleicht wäre dies der Moment, wo er wirklich alles tun könnte, da ihm alles zerschlagen ist. Aber dann dreht er sich um, auf dünnen Beinchen mit krummem Rücken stelzt er zur Tür.
»Oh, Lämmchen«, sagt Pinneberg und hält sie fest. »Oh, Lämmchen«, flüstert er. »Man kann Angst haben. Und wir sind so allein.«
Und Lämmchen nickt ihm langsam zu und sagt leise: »Wir sind ja zusammen, wir beide.«
Und dann ganz rasch und tröstend: »Und er hat ja seinen Jungen. Den nimmt die Frau sicher nicht mit!«
Kintopp und Leben. Onkel Knilli entführt Herrn Jachmann
Es ist eigentlich ein etwas betrübtes kleines Abendessen, das die drei oben in ihrem Vogelbauer halten. Und Jachmann betrachtet nachdenklich seine beiden großen Kinder, denen nicht einmal die ungewohnten Delikatessen seines gestrigen Einkaufs schmecken wollen.
Aber er sagt ausnahmsweise nichts, und dann räumt Lämmchen das Geschirr fort und den Murkel her, und nun meint Holger Jachmann: »Oh, Kinder, Kinder, eigentlich ist es ein Grauen, wenn man euch so ansieht. So sollten auch die Frömmsten nicht auf jeden Kitsch reinfallen!«
Aber Pinneberg sagt: »Daß das alles nicht stimmt, das wissen wir auch recht gut, Herr Jachmann. So einen Volontär gibt es nicht, und wahrscheinlich gibt es so einen Mann auch nicht wie den kleinen Kassierer mit der Melone. Mich hat ja auch nur der Schauspieler mitgenommen, wie heißt er? Schlüter, sagen Sie?«
Jachmann nickt und fängt an: »Aber …«
Doch Lämmchen sagt rasch: »Ich weiß schon, was der Junge meint, und dagegen können Sie gar nichts sagen. Wenn das auch alles nicht stimmt und nur Kintopp ist, das ist richtig, daß unsereiner immer Angst haben muß, und daß es eigentlich ein Wunder ist, wenn es eine Weile gut geht. Und daß immerzu etwas passieren kann, gegen das man ganz wehrlos ist, und daß man immerzu staunen muß, daß es nicht jeden Tag passiert.«
»Ach, alles ist immer nur so gefährlich, wie man’s werden läßt«, sagt Jachmann, »man braucht es ja nicht an sich ranzulassen. Und wenn ich der Kassierer gewesen wäre, ich wäre einfach nach Hause gegangen und hätte mich scheiden lassen. Und dann hätte ich eben wieder geheiratet, ein junges, nettes Mädel … Na also, wozu solch Aufwand? Und jetzt schlage ich vor, da der Murkel satt zu sein scheint, wir machen uns schnell fertig, denn es ist schon nach elf. Jetzt wollen wir Sie mal aufkratzen.«
»Ich weiß nicht«, sagt Pinneberg und sieht sein Lämmchen fragend an. »Wollen wir überhaupt noch fort? Eigentlich habe ich keine große Lust mehr.«
Und auch Lämmchen bewegt zweifelnd ihre Schultern.
Aber da wird Jachmann wild: »So was gibt es gar nicht! Jetzt hier zu Haus hocken und Trübsal blasen über einen solchen Schmarren! Nein, jetzt gehen wir auf der Stelle los, und Sie, Pinneberg, schwirren sofort ab und besorgen uns eine Taxe, während Ihr Lämmchen sein schönstes Kleid überzieht.«
Pinneberg sieht zweifelhaft aus, aber auch Lämmchen sagt: »Nun mach schon, Junge! Er läßt doch nicht nach.«
Pinneberg geht langsam los, und nun ist es wirklich sehr nett von Jachmann, daß der ihm nachgestürzt kommt und etwas in die Hand steckt. »Da, stecken Sie es fort. Wenn man ausgeht, ist es immer unangenehm, man hat gar nichts in der Tasche. Und da das bißchen Silber auch. Und denken Sie daran, Ihrer Frau auch was zu geben, Frauen brauchen ewig ein paar Groschen. Ach, reden Sie nicht, machen Sie schnell mit der Taxe.«
Und damit ist er wieder weg, und Pinneberg steigt langsam die Leiter hinunter und denkt: Nett ist er doch. Aber man müßte besser Bescheid wissen mit ihm. So ist er doch nicht ganz nett. Und seine Hand umschließt fest die Scheine. Aber im Auto dann, als er damit vor die Wohnung fährt, kann er es doch nicht lassen, er macht die Hand auf und sieht die Scheine an und zählt sie und sagt: »Aber das geht keinesfalls, dafür muß ich ja bald einen Monat arbeiten. Verrückt ist er. Ich werde es ihm gleich sagen.«
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