»Ich bin eine Ewigkeit nicht im Kino gewesen«, sagt Pinneberg melancholisch.
»Aber warum denn nicht? Ins Kino muß man immerzu gehen, jeden Abend womöglich, solange man es nur aushält. Das gibt Selbstvertrauen, mir kann keiner, die andern sind alle noch zehnmal so doof … Also gehen wir mal ins Kino. Gleich! Heute abend! Was geben die denn? Warten Sie, an der nächsten Litfaßsäule …«
»Erst aber«, grinst Pinneberg, »wollten Sie meiner Frau doch ein Blumengeschäft kaufen?«
»Ja, natürlich. Eigentlich ist es eine glänzende Idee. Das Geld wird sich bestimmt gut verzinsen. Aber …«, er seufzt schwer, er versammelt zwei Blumentöpfe und ein Schokoladenpaket in einem Arm, mit dem anderen hängt er sich bei Pinneberg ein, »aber es geht nicht, Jüngling. Ich bin in der Bredouille …«
Pinneberg ist entrüstet: »Dann sollten Sie aber nicht für uns hier alle Läden leer kaufen!«
»Ach, reden Sie keinen Stuß! Nicht mit Geld. Geld habe ich wie Mist. Noch. Aber so bin ich in der Bredouille. Anders. Wir reden später davon. Ich erzähl es Ihnen und Ihrem Lamm. Nur das eine …« Er neigt sich zu Pinneberg, er flüstert: »Ihre Mutter ist ein Aas.«
»Das habe ich immer gewußt«, sagt Pinneberg kühl.
»Ach, Sie verstehen ja alles falsch«, sagt Jachmann und nimmt seinen Arm wieder weg. »Ein Aas, ein richtiges Biest, aber eine herrliche Frau … Nein, vorläufig ist es mit dem Blumengeschäft nichts …«
»Wegen des Grauen mit dem Strubbelbart?« versucht Pinneberg zu raten.
»Wieso? Welcher Graue?« Jachmann lacht. »Ach, Pinneberg, da habe ich Sie doch nur durch den Kakao geholt. Haben Sie das denn nicht kapiert?«
»Nee«, sagt Pinneberg. »Und ich glaube es Ihnen auch nicht.«
»Dann lassen Sie’s. Sie werden ja sehen. Und ins Kino gehen wir alle zusammen heute abend. Nein, heute abend geht nicht, heute abend essen wir gemütlich zu Abend – was gibt es denn bei Ihnen zum Abendessen?«
»Bratkartoffeln«, erklärt Pinneberg. »Und einen Bückling.«
»Und was gibt es zu trinken?«
»Tee«, sagt Pinneberg.
»Mit Rum?«
»Meine Frau trinkt keinen Alkohol!«
»Richtig! Sie nährt. Das ist die Ehe. Meine Frau trinkt keinen Alkohol. Also trinke ich auch keinen Alkohol. Sie Ärmster!«
»Aber ich mag keinen Rum im Tee.«
»Das bilden Sie sich ein, weil Sie verheiratet sind. Wären Sie Junggeselle, möchten Sie es, das sind so Eheerscheinungen. Ach, reden Sie nicht, ich bin nie verheiratet gewesen, ich weiß doch Bescheid. Wenn ich mit ’ner Frau zusammen war, und solche Erscheinungen traten bei mir auf wie Rum ohne Tee …«
»Rum ohne Tee«, wiederholt Pinneberg ernsthaft.
Der andere merkt nichts. »Ja, gerade so was, dann habe ich Schluß gemacht, unwiderruflich Schluß gemacht, und wenn es mir noch so schwerfiel. Also Bratkartoffeln und Hering …«
»Bückling.«
»Bückling und Tee. Wissen Sie, Pinneberg, ich gehe da schnell mal rein in das Geschäft. Aber es ist jetzt auch bestimmt das letzte …«
Und Jachmann verschwindet in einem Delikatessengeschäft.
Als er wieder auftaucht, sagt Pinneberg mit Nachdruck: »Nun sage ich Ihnen noch eins, Herr Jachmann …«
»Ja?« fragt der Riese. »Sie könnten mir übrigens gut und gerne auch ein Paket tragen.«
»Geben Sie her. Der Murkel ist erst ein gutes Vierteljahr alt. Der sieht noch nichts, der hört noch nichts, der spielt noch mit nichts …«
»Warum Sie mir das erzählen …«
»Wenn Sie also auf die Idee kommen sollten, noch in einen Spielzeugladen zu laufen und meinem Sohn einen Teddy zu kaufen oder eine Puffbahn, dann finden Sie mich nachher nicht mehr vor der Tür!«
»Spielzeugladen …«, sagt Jachmann träumerisch. »Teddy … Puffbahn … wie so’n Vater so was sagt! Kommen wir denn noch an einem Spielzeugladen vorbei?«
Pinneberg fängt an zu lachen. »Ich lauf weg, Herr Jachmann«, sagt er.
»Sie sind wirklich ein alberner Mensch, Pinneberg«, sagt Jachmann seufzend. »Wo ich sozusagen Ihr Vater bin!«
Logierbesuch wider Willen. Jachmann entdeckt die guten, nahrhaften Dinge
Sie haben sich begrüßt, Lämmchen und Jachmann, und Jachmann hat pflichtgemäß einen Augenblick über die Krippe gebeugt dagestanden und hat gesagt: »Es ist natürlich ein ausgesprochen schönes Kind.«
»Ganz die Mutter«, hat Lämmchen gesagt.
»Ganz die Mutter«, hat Jachmann geantwortet.
Dann hat Jachmann ausgepackt, und wieder hat Lämmchen angesichts umfangreicher Delikatessenmassen pflichtgemäß gesagt: »Aber das sollen Sie doch nicht, Herr Jachmann!«
Dann haben sie gegessen und getrunken (Tee zwar, aber nicht Bratkartoffeln und Bückling), und dann hat Jachmann sich zurückgelehnt und hat gemütlich gesagt: »So – und nun kommt das Beste: die Zigarre.«
Und mit einer ungewohnten Energie hat Lämmchen geantwortet: »Leider kommt das Beste nicht, denn hier darf wegen des Murkels nicht geraucht werden.«
»Ernst …?« hat Jachmann gefragt.
»Unbedingt ernst«, hat Lämmchen entschieden geantwortet. Als aber Holger Jachmann schwer geseufzt hat, hat sie vorgeschlagen: »Machen Sie es doch wie mein Mann, gehen Sie ein Weilchen vor die Tür aufs Kinodach und qualmen Sie da. Ich stelle Ihnen eine Kerze raus.«
»Machen wir«, hat Jachmann sofort gesagt.
Und dann sind die beiden da auf und ab promeniert. Pinneberg mit seiner Zigarette und Jachmann mit seiner Zigarre. Und beide ganz wortlos. Die kleine Kerze hat auf dem Boden gestanden, und ihr Lichtschimmer ist nicht einmal in das verstaubte Deckengebälk gedrungen.
Auf und ab. Auf und ab. Wortlos nebeneinander.
Und weil eine Zigarette schneller zu Ende ist als eine Zigarre, ist Pinneberg zwischendurch einmal zu Lämmchen reingehuscht und hat mit ihr diesen außergewöhnlichen Fall bekakelt.
»Was hat er denn gesagt?« hat Lämmchen gefragt.
»Gar nichts. Er ist einfach mitgekommen.«
»Hast du ihn denn zufällig getroffen?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube, er hat mir aufgelauert. Aber ich weiß es nicht.«
»Ich finde das alles rätselhaft«, sagt Lämmchen. »Was will er bloß bei uns?«
»Keine Ahnung. Vor allen Dingen hat er zuerst den Fimmel gehabt, ein grauer Mann läuft ihm nach.«
»Wieso, läuft ihm nach?«
»Kriminalpolizei, denke ich mir. Und mit Mutter ist er auch verkracht. Vielleicht hängt es damit zusammen.«
»So«, sagt Lämmchen. »Und er hat gar nichts weiter gesagt?«
»Doch. Daß er morgen abend mit uns ins Kino gehen will.«
»Morgen abend? Will er denn hierbleiben? Er kann doch nicht hierbleiben über Nacht. Ein Bett haben wir nicht für ihn, und das Wachstuchsofa ist zu kurz.«
»Nein, natürlich kann er nicht hierbleiben. – Aber wenn er einfach bleibt?«
»In einer halben Stunde«, sagt Lämmchen entschieden, »nähre ich den Murkel. Und wenn du es ihm dann nicht gesagt hast, sage ich es ihm.«
»Wir werden es ja erleben«, hat Pinneberg geseufzt. Und ist wieder zu dem schweigenden Wanderer hinausgegangen.
Und nach einer Weile hat Holger Jachmann sorgfältig seinen Zigarrenrest ausgetreten und hat tief geseufzt und hat gesagt: »Manchmal denke ich eine Weile ganz gerne nach. Meistens rede ich ja lieber, aber ab und zu eine halbe Stunde nachdenken ist wunderschön.«
»Sie veräppeln mich ja«, hat Pinneberg protestiert.
»Aber keine Spur. Keine Spur. Ich habe eben darüber nachgedacht, wie ich wohl als kleines Kind gewesen bin …«
»Na und …?« fragt Pinneberg.
»Ja, ich weiß doch nicht …«, bemerkt Jachmann zögernd. »Ich glaube, ich bin mir heute gar nicht mehr ähnlich.« Er pfeift. »Vielleicht habe ich den ganzen Tinnef falsch gemacht. Meistens bin ich ja klotzig eingebildet; wissen Sie, ich habe als Diener angefangen.«
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