Nein, nicht immerzu. Wenn er brüllt, ist es weg. Und wenn er aufhört, ist es sofort wieder da. Das versucht er nun. Er brüllt ein kurzes Stückchen, ja, ticktack ist fort. Und er schweigt, ja, ticktack ist wieder da. Und dann schweigt er ganz, er hört darauf hin, wahrscheinlich ist in seinem Hirn für nichts anderes mehr Platz: Ticktack, ticktack. Das Rummeln ganz unten, weit weg, es kommt nicht mehr oben an.
»Es scheint wirklich zu wirken«, flüstert Pinneberg. »Was für ein Kerl, dieser Jachmann, wie er nur darauf gekommen ist.«
»Probieren Sie meine Erfindung aus?« fragt von der Tür her Jachmann. »Wirkt sie?«
»Scheint so«, sagt Pinneberg. »Fragt sich nur, wie lange.«
»Also, junge Frau, wie ist es? Kennt der Herr Gemahl schon unser Programm? Hat er es genehmigt?«
»Keine Ahnung hat er. Also höre zu, Junge. Herr Jachmann lädt uns ein. Wir gehen ganz groß aus. Kabarett und Bar, denke dir. Und zuerst ins Kino.«
»Na also«, sagt Pinneberg. »Da hättest du es ja geschafft. Einmal groß ausgehen, Herr Jachmann, das war immer Lämmchens Wunsch. Herrlich!«
Eine Stunde später sitzen sie im Kino, in einer Loge. Es wird dunkel, dann:
Ein Schlafzimmer, zwei Köpfe auf den Kissen, ein rosig atmendes junges Gesicht, ein Mann, etwas älter, er sieht sorgenvoll aus, selbst jetzt im Schlaf.
Dann erscheint das Zifferblatt des Weckers, er ist auf halb sieben gestellt. Der Mann wird unruhig, er dreht sich um, faßt im Halbschlaf nach dem Wecker: fünf Minuten vor halb sieben. Der Mann seufzt auf, er stellt den Wecker zurück auf seinen Platz, schließt wieder die Augen.
»Der schläft auch bis zur letzten Minute«, sagt Pinneberg mißbilligend.
Nun sieht man am Fußende des großen Bettes etwas Weißes, ein Kinderbett. Ein Kind liegt darin, sein Kopf liegt auf einem Arm, der Mund ist halb geöffnet.
Der Wecker klingelt, man sieht, wie ein Teufel hämmert der Klöppel gegen die Glocke, wild, rücksichtslos, ein wahrer Teufel. Mit einem Ruck ist der Mann auf, wirft die Beine über die Bettkante. Es sind magere, wadenlose Beine, kümmerlich schwärzlich behaart.
Die Leute im Kino lachen. »Richtige Kinohelden«, erklärt Jachmann, »dürfen überhaupt keine Haare an den Beinen haben. Dieser Film ist todsicher eine Pleite.«
Vielleicht rettet ihn aber die Frau. Sie ist todsicher fabelhaft hübsch, eben, als der Wecker klingelte, hatte sie sich aufgesetzt, die Decke glitt zurück, das Hemd stand ein wenig offen – es war mit Überschneidungen, gleitender Decke, sich bewegendem Hemd einen Augenblick das Gefühl da, als sähen alle die Brust der Frau. Eine angenehme Atmosphäre, und schon hatte sie sich die Bettdecke ganz fest über die Schultern gezogen und sich wieder eingekuschelt.
»Die ist das Aas«, sagt Jachmann. »Eine, von der man in den ersten fünf Minuten die Brust beinahe zu sehen kriegt. O Gott, wie herrlich einfach das alles ist!«
»Aber eine hübsche Frau!« sagt Pinneberg.
Der Mann ist längst in den Hosen, das Kind sitzt im Bett und ruft: »Pappa, Teddy!« Der Mann gibt dem Kind den Teddy, nun will es Püpping, der Mann ist schon in der Küche, er hat Wasser aufgesetzt, er ist ein ziemlich magerer, spärlicher Mann. Wie er rennt! Püpping für das Kind, Frühstückstisch decken, Butterbrote schmieren, das Wasser ist heiß, Tee aufgießen, rasieren, die Frau liegt im Bett und atmet rosig.
Ja, nun ist die Frau aufgestanden, sie ist sehr nett, sie ist gar nicht so, sie holt sich selbst ihr warmes Wasser in das Badezimmer. Der Mann sieht auf die Uhr, spielt mit dem Kind, gießt den Tee in die Tassen, schaut nach, ob die Milch nicht schon da ist vor der Tür. Nein, aber die Zeitung.
Nun ist die Frau fertig, schnurstracks geht sie zu ihrem Platz am Frühstückstisch. Jedes nimmt ein Blatt von der Zeitung, die Teetasse, Brot …
Das Kind ruft aus dem Schlafzimmer, Püpping ist aus dem Bett gefallen, der Mann läuft und hebt es auf …
»Eigentlich blöde«, sagt Lämmchen unzufrieden.
»Ja, aber ich möchte doch gerne wissen, wie es weitergeht. So kann es doch nicht weitergehen.«
Jachmann sagt nur ein Wort: »Geld.«
Und siehe da, recht hat er, der alte Kinotiger; wie der Mann zurückkommt, hat die Frau ein Inserat in der Zeitung gefunden; sie möchte gerne was kaufen. Die Auseinandersetzung geht los: Wo ist ihr Wirtschaftsgeld? Wo ist sein Taschengeld? Er zeigt sein Portemonnaie, sie zeigt ihr Portemonnaie. Und der Wandkalender weist den Siebzehnten. Draußen klopft die Milchfrau, sie will Geld haben, der Kalender blättert sich um: Achtzehnter, Neunzehnter, Zwanzigster … bis zum Einunddreißigsten! Der Mann stützt den Kopf in die Hände, die paar Groschen liegen neben den geleerten Geldtaschen, der Wandkalender rauscht …
Oh, wie wird die Frau hübsch, sie wird immer schöner, sie spricht sanft auf ihn ein, nun streicht sie über sein Haar, sie zieht seinen Kopf hoch, sie bietet ihm ihren Mund, wie ihre Augen glänzen!
»So ein Aas!« sagt Pinneberg. »Was soll er bloß tun?«
Ach, der Mann fängt auch an warm zu werden, er nimmt sie in seinen Arm, das Inserat taucht auf und verschwindet, der Wandkalender rauscht seine vierzehn Tage herunter, nebenan spielt das Kind mit dem Teddy, der Püpping im Arm hält, das arme bißchen Geld liegt auf dem Tisch … die Frau sitzt auf dem Schoß des Mannes …
Alles ist fort, und aus einem nachtschwarzen Dunkel hebt sich, langsam immer heller werdend, der strahlende Kassenraum einer Bank. Da steht der Tisch mit dem Drahtgitter, da liegen die Geldpakete, das Gitter ist halb offen, aber kein Mensch ist zu sehen … Ach, diese Pakete mit den vielen Scheinen, die Rollen mit Silber und Messing, ein angebrochener Packen Hundertmarkscheine, fächerförmig auseinandergeglitten …
»Das Geld«, sagt gemütsruhig Jachmann. »Und das sehen die Leute so gerne.«
Hat es Pinneberg gehört? Hat es Lämmchen gehört?
Es ist wieder dunkel … lange dunkel … sehr dunkel … Man hört die Menschen atmen, lange atmen, tief atmen. Lämmchen hört des Jungen, der Junge Lämmchens Atem.
Es ist wieder hell. Ja, Gott, die guten Dinge dieses Lebens bekommt man nun einmal im Kino nicht zu sehen, die Frau ist ganz geordnet, ihr Schlafrock umgibt sie. Der Mann hat seinen Melonenhut auf und küßt das Kind zum Abschied. Da geht der kleine Mann durch die große Stadt, nun springt er auf einen Autobus, wie die Menschen laufen, wie die Fuhrwerke sich stauen und jagen und wieder weiterfluten. Und die Verkehrsampeln sind rot und grün und gelb, und zehntausend Häuser mit einer Million Fenster, und Menschen und Menschen – und er, der kleine Mann, hat nichts wie hinten die Zweieinhalbzimmerwohnung mit einer Frau und einem Kind. Nichts sonst.
Eine törichte Frau vielleicht, die das Geld nicht einteilen kann, aber nur das bißchen hat er … er findet sie ja nicht töricht. Und vor ihm, unentrinnbar, steht der Tisch mit den vier lächerlich hohen Beinen, zu dem muß er, so ist es ihm verordnet in diesem rätselhaften Dasein. Ihm kann er nicht entgehen.
Nein, er tut es natürlich nicht. Ein Augenblick ist da, in dem hängt die Hand des kleinen Kassierers über dem Geld wie ein Sperber in der Luft über dem Kükenhof, alle Krallen sind weit offen. Nein, die Hand schließt sich, es sind keine Krallen, es sind Finger. Er ist ein kleiner Bankkassierer, kein Raubvogel.
Aber seht, dieser kleine Kassierer ist ja befreundet mit dem Volontär auf der Bank, und der Volontär ist natürlich der Sohn eines richtigen Bankdirektors. Und das hat keiner gemerkt, daß dieser Volontär die sperberhaft gespreizte Hand gesehen hat. Aber nun in der Frühstückspause nimmt der Volontär seinen Freund, den kleinen Bankkassierer, beiseite und sagt ihm geradezu: »Du brauchst Geld.« Und wenn der andere sich auch wehrt, alles bestreitet, er kommt heim und hat die Tasche voll Geld. Aber nun, da er es auspackt und auf den Tisch legt und meint, die Frau wird strahlen, seht, da ist der Frau das Geld ganz gleichgültig, es interessiert sie nicht. Was sie interessiert, ist der Mann. Sie zieht ihn zum Sofa, sie zieht ihn in ihre Arme. »Wie hast du es gemacht? Das hast du für mich getan? O du, ich habe das nie von dir geglaubt!«
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