Pinneberg schweigt.
Der Hüne seufzt. »Na ja, es hat keinen Zweck, darüber zu reden. Da haben Sie vollkommen recht. Wollen wir wieder zu Ihrer Frau reingehen?«
Und dann gehen sie hinein, und sofort fängt Jachmann bei strahlender Laune an, sein Garn aufzurebbeln: »Also, Frau Pinneberg, dies ist die verrückteste Wohnung von der Welt. Ich habe schon manches erlebt, aber so was von Verrücktheit und Gemütlichkeit … Daß die Baupolizei so was erlaubt, ist mir immer noch unfaßbar.«
»Das erlaubt sie auch nicht«, bemerkt Pinneberg. »Wir wohnen hier ganz inoffiziell.«
»Inoffiziell?«
»Na ja, die Wohnung ist natürlich keine Wohnung, das sind Lagerräume. Und daß wir hier wohnen, weiß nur der, der uns die Lagerräume vermietet hat. Offiziell wohnen wir vorn bei dem Tischler.«
»So«, sagt Jachmann, lang gedehnt, »dann weiß keiner, nicht mal die Polizei, daß Sie hier wohnen?«
»Keiner«, sagt Pinneberg mit Nachdruck und sieht Lämmchen an.
»Schön«, sagt Jachmann wieder. »Sehr schön.« Und er sieht die Räume mit einem gewissermaßen zärtlichen Blick an.
»Herr Jachmann«, sagt Lämmchen und ist der Engel mit dem Schwert. »Ich muß das Kind jetzt zur Nacht fertigmachen und nähren …«
»Schön«, sagt Jachmann wieder. »Lassen Sie sich nicht stören. Und das beste ist, wir gehen dann hinterher auch gleich ins Bett. Ich bin heute schrecklich rumgelaufen, ich bin müde. Ich werde mir unterdessen hier das Sofa mit Kissen und Stühlen zurechtbauen …«
Das Ehepaar sieht sich an. Und dann wendet sich Pinneberg ab und tritt ans Fenster und trommelt auf den Scheiben, während seine Schultern zucken. Lämmchen aber sagt: »Unterstehen Sie sich! Ihr Bett mache ich Ihnen zurecht.«
»Auch gut«, sagt Jachmann. »Dann sehe ich mir das Nähren an. So was wollte ich schon immer gerne sehen.«
Und mit einer zornigen Entschiedenheit nimmt Lämmchen den Sohn aus der Krippe und fängt an, ihn aufzubündeln.
»Kommen Sie ganz nahe heran, Herr Jachmann«, sagt sie. »Sehen Sie sich alles gut an.«
Der Murkel fängt an zu schreien.
»Sehen Sie, das sind die sogenannten Windeln. Die riechen nicht gut.«
»Das stört mich gar nicht«, sagt Jachmann. »Ich bin im Felde gewesen, und mir hat nichts und niemand den Appetit auch nur auf einen Augenblick verekeln können.«
Lämmchen läßt die Schultern sinken: »Ach, nichts hilft bei Ihnen, Herr Jachmann«, sagt sie. »Sehen Sie, nun reiben wir den Pöker mit Öl ein, mit schönem reinen Olivenöl …«
»Warum denn?«
»Damit er nicht wund wird. Mein Sohn ist noch nie wund gewesen.«
»Mein Sohn ist noch nie wund gewesen«, sagt Jachmann träumerisch. »Gott, wie das klingt! Mein Sohn hat noch nie gelogen. Mein Sohn hat mir noch nie Kummer gemacht. – Wie Sie das hinkriegen mit den Windeln, das finde ich einfach wunderbar. Ja, so was ist angeboren. Die geborene Mutter …«
Lämmchen lacht: »Schwärmen Sie lieber nicht. Fragen Sie mal meinen Mann, wie wir den ersten Tag hier gestanden haben. So, und nun müssen Sie sich einen Augenblick umdrehen …«
Und während Jachmann gehorsam zum Fenster geht und in den schweigenden nächtlichen Garten hinausblickt, in dem sich die Äste der Bäume im Lichtschein des Fensters leise bewegen (»Sieht aus, als quatschten sie miteinander, Pinneberg«) – unterdes schlüpft Lämmchen aus ihrem Kleid und streift die Tragbänder von Unterkleid und Hemd von den Schultern. Dann nimmt sie den Bademantel um und legt das Kind an die Brust.
Im gleichen Moment hört es auf zu schreien, mit einem tiefen Seufzer, fast noch einem Schluchzen, legen sich die Lippen um die Brustwarze, und der Murkel fängt an zu saugen. Lämmchen sieht auf ihn hinunter, und von der plötzlichen tiefen Stille angezogen, drehen sich die beiden Männer um und betrachten schweigend Mutter und Kind.
Nicht lange schweigend, dann sagt Jachmann: »Natürlich habe ich alles falsch gemacht, Pinneberg. Die guten einfachen Dinge … Die guten nahrhaften Dinge …« Er pocht gegen seine Schläfen. »Alter Esel! Alter Esel!«
Und dann gehen sie schlafen.
Jachmann als Erfinder und der Kleine Mann als König. Wir sind ja zusammen!
Am nächsten Morgen steht Pinneberg mit etwas dickem Kopf bei Mandel zwischen seinen Hosen. Es ist nicht ganz einfach für einen jungen Ehemann, solchen Logierbesuch bei sich zu wissen in einer Wohnung, die so klein ist, eigentlich doch nur ein Zimmer. Immer wieder muß er daran denken, wie Jachmann damals in der Nacht war, als er das Geld für die Miete brachte, wie er nach Lämmchens Bett trachtete.
Nun gut, damals war er betrunken, und gestern abend war er ganz anders, wirklich sehr nett. Aber zuzutrauen ist ihm alles, und zu trauen ist ihm gar nicht.
Mit Feuer unter den Sohlen steht Pinneberg hinter dem Ladentisch: Wäre er doch erst zu Haus! Aber natürlich ist alles sofort in Ordnung, wie er zu Haus ist. Lämmchen ist in schönster Stimmung, sie besehen den Murkel, und er ruft nur rasch zum Besuch, der am Fenster in einem Koffer kramt: »’n Abend, Herr Jachmann!«
»’n Abend, Jüngling«, antwortet der. »Ich muß doch gleich …« Und schon ist er zur Tür hinaus, und sie hören ihn auf der Leiter poltern.
»Wie war er denn?« fragt Pinneberg.
»Sehr nett«, sagt Lämmchen. »Eigentlich ist er schrecklich nett. Am Morgen war er sehr nervös, hat immerzu von seinen Koffern geredet, ob du die vielleicht vom Zoo holen würdest.«
»Was hast du gesagt?«
»Er soll dich fragen. Hat er nur gebrummt. Dreimal ist er die Leiter runter, und immer war er gleich wieder da. Dann hat er dem Murkel mit seinem Schlüsselbund was vorgeläutet, und dazu hat er Lieder gesungen. Und dann war er plötzlich weg.«
»Hat also seine Angst untergekriegt.«
»Und dann kam er mit den Koffern wieder, und seitdem ist er die reine Lerche. Kramt immerzu in seinem Zeugs herum und steckt Papier in den Ofen. Ja, eine Entdeckung hat er auch gemacht.«
»Entdeckung?«
»Er kann den Murkel nicht schreien hören. Da wird er ganz verrückt, das arme Kind, jetzt schon mit der Welt im Krieg, das hält er nicht aus. Ich hab ihm gesagt, er soll es nicht tragisch nehmen, der Murkel hat einfach Hunger. Sollte ich ihn sofort nähren, auf der Stelle. Und wie ich nicht wollte, hat er fürchterlich geschimpft. Elternwahnsinn, meint er. Erziehungsfimmel, es wäre uns zu Kopf gestiegen. Dann hat er ihn spazierentragen wollen. Und dann ausfahren mit dem Kinderwagen, denke dir bloß: Jachmann mit einem Kinderwagen im Kleinen Tiergarten. Und wie ich nichts von all dem wollte, und der Murkel hat immer weiter gebrüllt …«
Sie bricht ab, denn als hätte er es gehört, erhebt der Murkel seine Stimme, quäkend und wütend …
»Da ist er! Und nun sollst du gleich sehen, was Jachmann entdeckt hat …«
Sie nimmt einen Stuhl und setzt ihn neben die Krippe. Und auf den Stuhl legt sie ihr Stadtköfferchen. Und dann holt sie den Wecker und stellt ihn auf das Köfferchen.
Pinneberg sieht gespannt zu.
Nun tickt der Wecker, ein richtiger, derber Küchenwecker, ganz nahe an des Murkels Ohr. Er tickt sehr laut, aber natürlich, wenn der Murkel brüllt, ist solch bedeutungsloses Geräusch nicht zu hören.
Zuerst brüllt der Murkel unentwegt weiter, aber auch er muß einmal eine kurze Pause zum Atemholen machen. Dann brüllt er wieder weiter.
»Hat es noch nicht gemerkt«, flüstert Lämmchen.
Aber vielleicht hat er es doch schon gemerkt. Die nächste Atempause kommt viel schneller, dauert viel länger. Es ist, als lauschte er: Ticktack, ticktack. Immerzu.
Dann brüllt er wieder. Aber er brüllt ohne die rechte Überzeugungskraft. Da liegt er, ziemlich rot noch von der Anstrengung, mit einem Wisch weißblonder Haare auf dem Schädel und einem kleinen, komisch verknautschten Mund. Er sieht gerade vor sich hin, wahrscheinlich sieht er gar nichts, die kleinen Finger liegen auf der Decke. Sicher möchte er schrecklich gern brüllen, er hat Hunger, irgend etwas rummelt in seinem Bauch, und wenn irgend etwas geschieht, muß er brüllen. Aber nun geht es neben seinem Ohr: Ticktack, ticktack. Immerzu.
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