Sie müssen aufpassen dabei, Jänecke schnüffelt, und der Zuträger Keßler schnüffelt noch viel mehr. Aber sie sind sehr vorsichtig, sie passen den Augenblick ab, wo Keßler zu Tisch ist, und als er doch einmal dazukommt, behaupten sie, daß Pinneberg einen Tippel gerettet hat, und Heilbutt bietet Herrn Keßler kühl Ohrfeigen an.
Ach, wo sind die Zeiten, da Pinneberg sich für einen guten Verkäufer hielt? Es ist alles anders geworden, ganz anders. Gewiß, nie waren die Menschen so schwierig. Da kommt ein dicker, großer Mann mit seiner Frau, möchte einen Ulster: »Kostenpunkt höchstens fünfundzwanzig Mark, junger Mann! Verstehen Sie! Einer von meinen Skatbrüdern hat einen für zwanzig, echt englisch, Wolle und angewebtes Futter, verstehen Sie!«
Pinneberg lächelt dünn: »Vielleicht hat der Herr seinen billigen Einkauf ein bißchen übertrieben. Für zwanzig Mark einen echt englischen Ulster …«
»Hören Sie mal, junger Mann, das brauchen Sie mir nun nicht zu erzählen, daß mein Skatbruder mich ansohlt. Der ist reell, verstehen Sie.« Und der Dicke regt sich weiter auf: »Das habe ich nicht nötig, verstehen Sie, mir von Ihnen meinen Skatbruder schlechtmachen zu lassen.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, versucht Pinneberg.
Keßler guckt, Herr Jänecke steht hinter einem Kleiderständer, halbrechts. Aber keiner kommt zu Hilfe. Es wird eine Pleite.
»Warum reizen Sie denn die Leute?« fragt Herr Jänecke milde. »Früher waren Sie ganz anders, Herr Pinneberg.«
Ja, das weiß Pinneberg auch ganz gut, daß er früher ganz anders war.
Aber das macht der Betrieb. Es ist, seit sie dies verruchte Quotensystem angefangen haben, das nimmt allen Mut. Zu Anfang des Monats geht es noch, dann haben die Leute Geld und kaufen ein bißchen, und Pinneberg erfüllt sein Soll sehr hübsch und ist voll Mut: »Diesen Monat werde ich gewiß nicht bei Heilbutt pumpen müssen.«
Aber dann kommt ein Tag und vielleicht gar noch ein zweiter, an dem kein Käufer sich sehen läßt. Morgen muß ich für dreihundert Mark verkaufen, denkt Pinneberg, wenn er abends von Mandel fortgeht.
Morgen muß ich für dreihundert Mark verkaufen, das ist Pinnebergs letzter Gedanke, wenn er Lämmchen den Gutenachtkuß gegeben hat und im Dunkel liegt. Es läßt sich schlecht einschlafen mit solch einem Gedanken, es bleibt doch nicht der letzte Gedanke.
Heute muß ich für dreihundert Mark verkaufen – beim Erwachen, beim Kaffeetrinken, auf dem Weg, beim Eintritt in die Abteilung, immerzu: dreihundert Mark.
Nun kommt ein Kunde, ach, er will einen Mantel haben, achtzig Mark, ein Viertel des Solls, entschließ dich, Kunde! Pinneberg schleppt herbei, probiert an, über jeden Mantel ist er begeistert, und je aufgeregter er wird (entschließ dich! entschließ dich!), um so kühler wird der Kunde. Ach, Pinneberg zieht alle Register, er versucht es mit Untertänigkeit: »Der Herr haben ja einen so vorzüglichen Geschmack, den Herrn kleidet ja alles …« Er spürt, wie er dem Kunden immer unangenehmer wird, wie er ihm widerlich ist, und er kann nicht anders. Und dann geht der Kunde: »Will es mir noch mal überlegen.«
Pinneberg steht da, er fällt gewissermaßen in sich zusammen, er weiß, er hat alles falsch gemacht, aber da saß es in ihm, es trieb Angst, da sind die beiden zu Haus, es ist doch schon so knapp, es reicht nicht hin und her, wie soll es erst werden, wenn …?
Gewiß, er hat es noch nicht ganz schlimm, Heilbutt kommt, Heilbutt ist der anständigste der Anständigen, er kommt von selbst, er fragt: »Pinneberg, wieviel …?«
Er ermahnt ihn nie, es anders zu machen, sich zusammenzunehmen, er quatscht nicht klug wie Jänecke und der Herr Spannfuß, er weiß, Pinneberg kann es, er kann es nur jetzt nicht. Pinneberg ist nicht hart, Pinneberg ist weich; wenn sie auf ihn drücken, verliert er die Form, er geht auseinander, er ist nichts, Brei.
Oh, er verliert den Mut nicht, er reißt sich immer wieder zusammen, und er hat glückliche Tage, wo er ganz auf seiner alten Höhe ist, wo kein Verkauf mißlingt. Er denkt, die Angst ist überwunden.
Und dann gehen sie an ihm vorbei, die Herren, und sagen so im Vorbeigehen: »Na, Herr Pinneberg, könnte auch etwas lebhafter gehen der Verkauf.« Oder: »Warum verkaufen Sie eigentlich gar keine dunkelblauen Anzüge? Wollen Sie, daß wir die alle am Lager behalten?«
Sie gehen vorüber, sie sind vorbei, sie sagen dem nächsten Verkäufer etwas anderes oder dasselbe. Heilbutt hat ja recht, man darf gar nichts darauf geben, es ist nichts als ödes Antreibergeschwätz, sie denken, sie müssen so was sagen.
Nein, man soll nichts darauf geben, was sie schwätzen, aber kann man das? Da hat Pinneberg heute für zweihundertfünfzig Mark verkauft, und da kommt dieser Herr Organisator und sagt: »Sie sehen so abgespannt aus, Herr. Ich empfehle Ihnen Ihre Kollegen drüben in den States als Vorbild, die sehen abends genauso munter aus wie am Morgen. Keep smiling! Wissen Sie, was das heißt? Immer lächeln! Abgespanntheit gibt es nicht, ein abgespannt aussehender Verkäufer ist keine Empfehlung für ein Geschäft …«
Er entschreitet, und Pinneberg denkt rastlos: In die Fresse! In die Fresse, du Hund! Aber er hat natürlich sein Dienerchen und sein Smiling gemacht, und das sichere Gefühl ist auch wieder weg.
Ach, er ist noch gut daran. Er weiß von ein paar Verkäufern, die sind hinbestellt worden auf das Personalbüro und verwarnt oder ermuntert, je nachdem.
»Hat die erste Spritze gekriegt«, sagen sie. »Stirbt bald.«
Denn dann wird die Angst ja noch größer, der Verkäufer weiß, es kommen nur noch zwei Spritzen, und dann ist Schluß: arbeitslos, Krisen, Wohlfahrt, Schluß.
Ihn haben sie noch nicht bestellt, aber ohne Heilbutt wäre er längst reif. Heilbutt ist der Turm, Heilbutt ist unangreifbar, Heilbutt ist imstande und sagt zu Herrn Jänecke: »Vielleicht versuchen Sie es einmal, mir den richtigen Verkauf vorzumachen.«
Worauf Herr Jänecke dann sagt: »Ich verbitte mir diesen Ton, Herr Heilbutt!« und sich entfernt.
Aber dann fehlt Heilbutt eines Tages, das heißt, er war dagewesen, hatte auch was verkauft, aber mitten an diesem Apriltag verschwand er, niemand wußte wohin.
Jänecke wußte es vielleicht, denn er fragte überhaupt nicht nach ihm. Und Keßler wußte es wahrscheinlich auch, denn er fragte alle nach ihm, und so betont, so gehässig, daß man merken mußte, es war etwas Besonderes geschehen.
»Wissen Sie nicht, wo Ihr Freund Heilbutt geblieben ist?« fragt er Pinneberg.
»Krank geworden«, brummt Pinneberg.
»Au Backe! Die Art Krankheit möchte ich nicht haben«, frohlockt Keßler.
»Wieso? Was wissen Sie denn?« fragt Pinneberg.
»Ich …? Gar nichts. Was soll ich wissen?«
»Na, Mensch, Sie sagen doch …«
Keßler ist schwer gekränkt: »Ich weiß gar nichts. Ich habe nur gehört, er ist ins Personalbüro gerufen worden … Papiere gekriegt, verstehen Sie?«
»Quatsch!« sagt Pinneberg, und sehr vernehmlich brummt er hinter ihm her: »Idiot!«
Warum soll Heilbutt seine Papiere gekriegt haben, warum sollen sie ihren tüchtigsten Verkäufer entlassen? Unsinn. Jeden anderen eher als Heilbutt.
Am nächsten Tag fehlt Heilbutt immer noch.
»Wenn er morgen nicht da ist, gehe ich abends direkt vom Geschäft in seine Wohnung«, sagt Pinneberg zu Lämmchen.
»Das tu nur«, sagt sie.
Aber dann am Morgen kommt die Erklärung. Herr Jänecke ist es, der sich herabläßt, Pinneberg aufzuklären: »Sie waren ja wohl befreundet mit diesem – Heilbutt?«
»Bin ich noch«, sagt Pinneberg kriegerisch.
»So. – Wissen Sie, daß er etwas komische Ansichten hatte?«
»Komische …?«
»Nun, über Nacktheit?«
»Ja«, sagt Pinneberg zögernd, »er hat mir mal davon erzählt. Irgendein Freikörperkulturverband.«
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