Lämmchen hantiert hastig, sie bewegt dabei die Lippen: »Wie war es doch? So? Ach, bin ich ungeschickt!«
Das kleine Wesen hat die Augen geöffnet, Augen von einem matten, müden Blau, es öffnet den Mund, es fängt an zu schreien, nein, zu quäken, es ist wie ein hilfloses, klägliches Winseln, durchdringend, wimmernd.
»Da! Da ist er wach!« sagt Pinneberg vorwurfsvoll. »Sicher ist ihm kalt.«
»Gleich! Gleich!« sagt sie und versucht, die Windeln festzubekommen.
»Mach doch schnell!« drängt er.
»Ja, so geht es nicht. Sie müssen ohne Falten sitzen, sonst wird er gleich wund. Wie war es doch …?« Sie versucht es wieder.
Er sieht mit gerunzelter Stirn zu. Lämmchen ist sehr ungeschickt. Also: durchziehen das Dreieck, das ist klar, und dann von der anderen Seite …
»Laß mich«, sagt er ungeduldig. »Du wirst ja nie fertig.«
»Bitte!« sagt sie erleichtert. »Wenn du es kannst.«
Er ergreift die Windeln. Es scheint so einfach, die kleinen Glieder rühren sich ja kaum. Also darauflegen, dann die Spitzen anfassen, durchziehen …
»Das sind ja alles Falten«, sagt Lämmchen.
»Warte doch ab«, sagt er ungeduldig. Und hantiert hastiger.
Der Murkel schreit! Das kleine, helle Zimmer schallt wider von diesem Gequäke, er schreit laut und durchdringend, so schwach seine Stimme ist. Er wird dunkelrot dabei, er müßte doch eigentlich zwischendurch mal wieder Atem holen. Pinneberg muß ihn immerzu ansehen, seine Arbeit gedeiht nicht dabei.
»Soll ich es noch einmal versuchen?« fragt Lämmchen sanft.
»Bitte!« sagt er. »Wenn du denkst, daß du es jetzt kannst.«
Und jetzt kann sie es. Plötzlich geht es ganz glatt, in einem Augenblick.
»Man ist nur so nervös«, sagt sie. »Aber das lernt sich rasch.«
Der Murkel liegt in seinem Bett, er schreit wieder, nun hat er einmal damit angefangen, er liegt da und starrt die Decke an und schreit.
»Was tut man da?« flüstert Pinneberg.
»Gar nichts«, sagt Lämmchen. »Schreien lassen. In zwei Stunden bekommt er zu trinken, dann hört er von alleine auf.«
»Aber wir können ihn doch nicht zwei Stunden schreien lassen!«
»Doch, es ist besser. Das ist ihm gut.«
Und wir? will Pinneberg fragen. Aber er fragt es nicht. Er geht gegen das Fenster und starrt hinaus. Hinter ihm schreit sein Sohn. Es ist wieder einmal etwas anders, als es Pinneberg sich gedacht hatte. Er wollte mit Lämmchen gemütlich frühstücken, er hat wirklich ein paar nette Sachen besorgt, aber wenn der Murkel so brüllt … Die ganze Stube ist voll davon. Er legt den Kopf gegen die Scheiben.
Lämmchen steht neben ihm.
»Kann man ihn nicht ein bißchen hin und her tragen oder schaukeln?« fragt Pinneberg. »Ich glaube, ich habe mal gehört, das macht man, wenn kleine Kinder schreien.«
»Das fang nur an!« sagt Lämmchen empört. »Dann können wir überhaupt nichts anderes mehr tun als hin und her laufen und ihn wiegen.«
»Aber vielleicht heute einmal, wo es sein erster Tag bei uns ist!« bittet Pinneberg. »Er soll es doch nett haben bei uns!«
»Ich will dir was sagen«, sagt Lämmchen und ist sehr energisch. »Das fangen wir gar nicht erst an. Hör zu, die Schwester hat gesagt, das beste ist, ihn durchbrüllen zu lassen, die ganzen ersten Nächte wird er brüllen. Wahrscheinlich …«, schränkt sie das Gesagte mit einem Blick auf ihren Mann ein. »Es kann ja auch anders kommen. Und man soll ihn auf keinen Fall aufnehmen. Schaden kann ihm das Brüllen nichts. Und dann gewöhnt er sich daran, daß er durch Brüllen nichts erreicht.«
»Na ja«, sagt Pinneberg. »Ich finde es aber ziemlich roh.«
»Aber, Jungchen, es sind doch nur die ersten zwei oder drei Nächte, dann haben wir doch alle den Vorteil davon, wenn er durchschläft.« Ihre Stimme bekommt einen verführerischen Klang. »Die Schwester hat gesagt, es ist das einzig Richtige. Aber von hundert Eltern bringen es keine drei fertig. Es wäre doch schön, wenn wir es fertigbrächten!«
»Vielleicht hast du recht«, sagt er. »Nachts, das kann ich verstehen, das muß er lernen, daß er da durchzuschlafen hat. Aber jetzt, am Tage, da könnte ich ihn doch ruhig einen Augenblick tragen.«
»Unter keinen Umständen«, sagt Lämmchen. »Ganz und gar nicht. Der weiß doch noch gar nicht, was Tag und Nacht ist.«
»So laut brauchtest du auch nicht zu reden, das stört ihn sicher auch.«
»Der hört ja noch gar nichts!« sagt Lämmchen triumphierend. »Die ersten Wochen können wir Krach machen, soviel wir wollen.«
»Na, ich weiß nicht …!« sagt Pinneberg und ist entsetzt über Lämmchens Ansichten.
Aber das gibt sich wieder, und nach einer Weile hört der Murkel mit dem Schreien auf und liegt still. Sie frühstücken wirklich so nett, wie er sich gedacht hat, und von Zeit zu Zeit steht Pinneberg auf und geht näher an die Krippe und sieht auf das Kind, das da liegt mit offenen Augen. Er schleicht auf den Zehen, und es ist ganz umsonst, daß Lämmchen ihm sagt, das ist nicht nötig, das Kind stört noch nichts, er schleicht doch auf den Zehen. Und dann setzt er sich wieder und sagt zu Lämmchen: »Weißt du, eigentlich ist es doch sehr schön, nun hat man jeden Tag etwas, auf das man sich freuen kann.«
»Natürlich hat man das«, sagt Lämmchen.
»Wie er sich so entwickeln wird«, meint er. »Wenn er erst sprechen lernt … Wann lernen Kinder eigentlich sprechen …?«
»Manche schon mit einem Jahr.«
»Schon? Erst, meinst du. Ich freu mich schon darauf, daß ich ihm was erzählen kann. Und wann lernt er laufen?«
»Ach, Jungchen, es geht ja alles ganz langsam. Erst lernt er den Kopf halten. Und dann wohl sitzen. Und dann kriechen. Und dann laufen.«
»Es ist doch, wie ich sage: Immer etwas Neues. Ich freu mich.«
»Und ich erst! Was meinst du, wie glücklich ich bin! O Junge!«
Der Kinderwagen und die beiden feindlichen Brüder. Wann müssen Stillgelder gezahlt werden?
Es ist drei Tage später, an einem Sonnabend.
Pinneberg ist gerade nach Hause gekommen, hat einen Augenblick an der Krippe gestanden und auf den schlafenden Murkel gesehen. Nun sitzt er mit Lämmchen am Tisch und ißt sein Abendbrot.
»Ob wir beide morgen ein bißchen ausgehen können?« fragt er. »Das Wetter ist so schön.«
Sie sieht ihn bedenklich an. »Den Jungen hier allein lassen?«
»Aber du kannst doch nicht immer im Haus bleiben, bis der Junge laufen kann, du siehst schon ganz blaß aus.«
»Nein«, sagt sie zögernd. »Wir müssen eben einen Kinderwagen kaufen.«
»Natürlich müßten wir das«, sagt er. Und vorsichtig: »Was mag das kosten?«
Sie bewegt die Achseln. »Ach, es ist ja nicht nur der Wagen. Wir müssen ja auch Kissen dafür haben und Bezüge.«
Plötzlich ist er ängstlich: »Das Geld wird alle.«
»O Gott ja«, sagt sie auch. Und plötzlich fällt ihr etwas ein: »Du mußt dir ja das Geld von der Krankenkasse geben lassen!«
»Daß ich das vergessen habe!« ruft er. »Natürlich.« Er überlegt es sich: »Hingehen kann ich nicht. Ich kann nicht schon wieder Urlaub nehmen. Und die Mittagspause ist zu kurz.«
»Also schreib.«
»Schön. Schreib ich jetzt gleich. Und dann lauf ich runter und stecke den Brief am Postamt in den Kasten.
Höre einmal«, sagt er, während er den fast nie benutzten Schreibkram hervorsucht. »Was meinst du, Lämmchen, wenn ich eine Zeitung hole und wir sehen nach, wo ein gebrauchter Kinderwagen zu haben ist? Sicher sind die doch inseriert.«
»Gebrauchter? Für den Murkel?« seufzt sie.
»Wir müssen sehr sparen«, mahnt er.
»Aber ich will mir das Kind ansehen, das in dem Wagen gelegen hat«, erklärt sie. »Hinter jedem Kind soll der Murkel nicht im Wagen liegen.«
»Das kannst du ja«, sagt er.
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