Und unterdes steht Pinneberg neben seinem Lämmchen und sagt nur: »Daß du wieder da bist! Daß ich dich wiederhabe!«
»Mein Junge«, sagt sie, »freust du dich? War es schlimm, diese elf Tage? Nun ist es ja vorbei und ausgestanden. Oh, wie ich mich auf unser kleines Heim freue!«
»Es ist alles fertig, alles in Ordnung«, sagt er strahlend. »Du sollst sehen. – Willst du laufen? Oder soll ich ein Auto …«
»I wo! Warum denn ein Auto? Ich freu mich auf den Weg in der frischen Luft. Und wir haben ja Zeit, du hast doch Urlaub, nicht wahr?«
»Ja, heute habe ich Urlaub.«
»Na also, gehen wir ganz langsam. Faß mich unter.«
Pinneberg faßt sie unter, und sie gehen auf den kleinen Platz vor dem Heim, wo die Autos schon knattern. Und langsam, langsam gehen sie den Weg bis zur Eingangspforte, die Autos preschen an ihnen vorbei, sie gehen Schritt für Schritt. Es macht nichts, denkt Pinneberg, ich hab euch ja reden hören, ich weiß Bescheid, es macht nichts, daß wir kein Geld haben.
Dann gehen sie an dem Pförtner vorbei, und der Pförtner hat nicht einmal Zeit, ihnen Lebewohl zu sagen, denn vor ihm stehen zwei, ein junger Mann und eine Frau. Man sieht schon an ihrem Leib, was sie wollen. Und sie hören, wie der Pförtner sagt: »Erst zur Anmeldung, bitte!«
»Die fangen an«, sagt Pinneberg träumerisch. »Und wir sind damit durch.«
Es kommt ihm ganz komisch vor, daß das hier immer so weitergeht, daß immerzu Väter hierher laufen und warten und anrufen und sich ängstigen und die Frau abholen, jeden Tag, jede Stunde, es ist sehr komisch. Und dann sieht er an Lämmchen herunter und sagt: »Aber was bist du schlank geworden, wie eine Tanne.«
»Gott sei Dank«, sagt Lämmchen. »Gott sei Dank. Du kannst dir gar nicht denken, wie das ist, wenn der Bauch weg ist.«
»Doch, denken kann ich mir das schon«, sagt er ernst.
Sie treten hinaus aus der Einfahrt in die Märzsonne, in den Märzwind. Einen Augenblick bleibt Lämmchen stehen, sieht gegen den Himmel, auf dem weiße, wattige Wolken eilend dahinziehen, sieht gegen das Grün des Kleinen Tiergartens, sieht auf den Verkehr der Straße. Einen Augenblick verhält sie.
»Ja, Lämmchen?« fragt der Junge.
»Weißt du …«, fängt sie an. Und bricht ab. »Ach nein, nichts.«
Aber er besteht darauf: »Sag schon. Es war doch was.«
»Ach, es ist dumm. Weil ich wieder draußen bin, weißt du. Da drin brauchte man sich um nichts zu kümmern. Und nun hängt alles von uns allein ab.« Sie zögert. Dann: »Wir sind doch noch sehr jung. Und wir haben keinen.«
»Wir haben einander. Und den Jungen«, sagt er.
»Ja, schon. Aber du verstehst doch …?«
»Jaja. Ich versteh schon. Und ich mach mir ja auch Sorgen. Bei Mandel ist das auch nicht mehr so einfach. Aber es wird ja klappen.«
»Natürlich wird es das.«
Und dann gehen sie Arm in Arm über den Fahrdamm und langsam, Fuß vor Fuß, durch den Kleinen Tiergarten. Pinneberg sagt: »Gibst du mir den Jungen für ein Weilchen?«
»Nein, nein, ich kann ihn gut tragen. Was denkst du denn?«
»Aber es macht mir gar nichts, laß ihn mich schon mal tragen.«
»Nein, nein, wenn du willst, können wir uns ein Weilchen auf eine Bank setzen.«
Und das tun sie, und dann gehen sie langsam weiter.
»Er rührt sich ja gar nicht«, sagt Pinneberg.
»Er wird schlafen. Er hat ja eben noch zu trinken bekommen, ehe wir losgingen.«
»Und wann bekommt er wieder zu trinken?«
»Alle vier Stunden.«
Und da sind sie nun in dem Möbellager von Meister Puttbreese, und Puttbreese ist auch da und sieht den Anmarsch der dreiköpfigen Familie.
»Na, hat’s geklappt, junge Frau?« fragt er und blinzelt. »Wie war’s denn? Hat der Klapperstorch sehr gekniffen?«
»Na danke, Meister, es geht schon«, lacht Lämmchen.
»Und wie machen wir das nun?« fragt der Meister und macht eine Kopfbewegung die Leiterstiege hinauf. »Wie kommen wir denn da rauf mit dem Kleinen? Es ist doch ein Junge?«
»Natürlich, Meister.«
»Aber wie kommen wir denn da rauf?«
»Ach, es wird schon gehen«, sagt Lämmchen und sieht ein bißchen unschlüssig die Leiter hinauf. »Ich erhol mich ja jetzt rasch.«
»Wissen Sie, junge Frau, fassen Sie mich um den Hals, ich trage Sie Huckepack rauf. Den Sohn geben Sie man Ihrem Mann, der wird ihn ja wohl raufkriegen, heil und ganz.«
»Eigentlich ist es natürlich ganz unmöglich …«, fängt Pinneberg an.
»Was heißt unmöglich?« fragt der Meister. »Die Wohnung, meinen Sie? Wenn Sie ’ne bessere haben? Und wenn Sie ’ne bessere bezahlen können? Von mir aus, junger Mann, von mir aus können Sie jeden Tag ausziehen von wegen unmöglich.«
»So habe ich es ja auch nicht gemeint«, sagt Pinneberg bedrippst. »Ein bißchen schwierig ist es doch, das müssen Sie doch zugeben.«
»Wenn Sie das schwierig nennen, daß mich Ihre Frau um den Hals faßt, dann ist es schwierig. Da haben Sie recht«, erklärt Puttbreese ärgerlich.
»Also los, Meister«, sagt Lämmchen. »Abmarsch!«
Und ehe sich Pinneberg versieht, hat er das lange, feste Paket im Arm, und Lämmchen legt ihre Arme um den Hals vom ollen, versoffenen Puttbreese, und der faßt sie sanft um die Schinken und sagt: »Wenn ich kneife, sagen Sie es nur, ich laß Sie gleich los, junge Frau.«
»Das glaub ich, mitten auf der Leiter«, lacht Lämmchen.
Und mit einer Hand sich krampfhaft festklammernd, das Paket im Arm, klettert Pinneberg Sprosse für Sprosse nach.
Sie stehen allein in ihrem Zimmer, Puttbreese ist verschwunden, sie hören ihn in seinem Lager hämmern, aber sie sind allein, die Tür ist zu.
Pinneberg steht da mit seinem Paket in der Hand, mit dem warmen, bewegungslosen Paket. Es ist hell im Zimmer, ein paar Sonnenflecken liegen auf dem gebohnerten Boden.
Lämmchen hat mit einer hastigen Bewegung ihren Mantel abgeworfen, er liegt auf dem Bett. Mit ganz leichten, leisen Schritten geht sie hin und her, Pinneberg sieht ihr zu.
Sie geht hin und her, sie faßt einen Rahmen sacht und schnell an und rückt ihn ein wenig zurecht. Sie gibt dem Sessel einen Schlag. Sie streicht mit der Hand über das Bett. Sie geht zu den beiden Primeln am Fenster, nur einen Augenblick beugt sie sich über sie, ganz leicht und sacht. Und schon ist sie am Schrank, sie öffnet die Tür, sie sieht hinein, sie schließt die Tür wieder. Am Ausguß dreht sie den Hahn auf, sie läßt das Wasser laufen, nur so, sie schließt den Hahn wieder.
Und plötzlich hat sie den Arm um Pinnebergs Nacken. »Ich bin froh«, flüstert sie. »Ich bin sehr froh.«
»Ich bin auch froh«, flüstert er.
Sie stehen ein Weilchen so, ganz still, sie hat den Arm um seinen Nacken, er hält das Kind. Sie sehen aus den Fenstern, vor denen schon der grüne Schatten der Baumkronen liegt.
»Gut ist das«, sagt Lämmchen.
Und: »Gut ist das«, sagt er.
»Hältst du den Jungen noch?« fragt sie. »Leg ihn auf mein Bett. Ich mache gleich seine Krippe fertig.«
Und rasch bezieht sie die kleine Wolldecke und legt das Laken aus.
Dann öffnet sie vorsichtig das Paket. »Er schläft«, flüstert sie. Und auch er beugt sich über das Paket, und da liegt er, ihr Sohn, ihr Murkel. Das Gesicht ist ein bißchen gerötet, es hat einen sorgenvollen Ausdruck, auf dem Kopf die Haare sind etwas heller geworden.
Sie ist unschlüssig. »Ich weiß nicht, ich glaube, ich müßte ihn erst trockenlegen, ehe er in die Krippe kommt. Sicher ist er naß.«
»Mußt du ihn stören?«
»Ehe er wund wird? Nein, ich lege ihn trocken. Warte, die Schwester hat es mir gezeigt.«
Sie legt ein paar Windeln im Dreieck hin, und dann schält sie das Paket auf, ganz langsam. Ach Gott, die kleinen Glieder, diese kleinen wie verkümmerten Glieder und dazu der riesengroße Kopf! Pinneberg findet es schlimm, er möchte wegsehen, es ist etwas Grausiges daran, und er weiß doch, er darf nicht wegsehen. Mit so etwas darf man gar nicht erst anfangen, und er ist doch sein Sohn!
Читать дальше