»Egal«, sagt Frau Pinneberg. »Gefallen bleibt Gefallen.« Aber sie sieht sehr bleich aus, sie erhebt sich wankend. »Ich komme gleich wieder«, flüstert sie und stottert hinaus.
»Nun aber schnell das Licht aus«, sagt Pinneberg. »Verdammt, daß man die Tür nicht abschließen kann, nichts ist hier in Ordnung in diesem Saustall!« Er kriecht wieder zu Lämmchen. »O Lämmchen, daß die Olle dazwischenkommen mußte, und wir waren so schön im Gang …«
»Ich kann das nicht ertragen«, flüstert Lämmchen, und er fühlt, wie sie am ganzen Leibe zittert, »daß du so zu Mama sprichst. Es ist doch deine Mutter, Jungchen.«
»Leider«, sagt der Junge und ist nicht zu erweichen. »Leider, und weil ich sie eben so gut kenne, weiß ich, was sie für ein Biest ist. Du fällst ja noch drauf rein, Lämmchen, weil sie am Tage, wenn sie nüchtern ist, witzig ist und Humor hat und Spaß versteht. Ist ja alles nur Schlauheit von ihr. Keinen Menschen mag sie wirklich, mit dem Jachmann, glaubst du, es geht noch lange gut? Der wird doch auch schlau und merkt, sie nützt ihn bloß aus. Und nur so fürs Bett, da wird sie doch nun auch bald zu alt.«
»Junge«, sagt Lämmchen sehr ernst, »ich will nie wieder hören, daß du so von Mama sprichst. Du magst recht haben, und ich mag ein dummes, sentimentales Puttchen sein, ich will es nie wieder hören. Ich muß immer denken, der Murkel könnte einmal so von mir reden.«
»Von dir?« fragt Pinneberg. Und der Ton sagt schon alles. »Von dir sollte der Murkel so reden …? Aber du, du bist doch Lämmchen! Du bist – ach Gott, verdammt, da ist sie schon wieder an der Tür. – Wir schlafen jetzt, Mama!«
»Liebe Kinder!« läßt sich ganz überraschend Jachmanns Stimme vernehmen, aber auch ihr merkt man an, daß der Besitzer beschickert ist. »Liebe Kinder, entschuldigt mich einen Augenblick …«
»Gerne«, sagt Pinneberg. »Gehen Sie immer raus, Herr Jachmann.«
»Einen Augenblick, junge Frau, ich gehe raus. Sie sind Ehe, und wir sind Ehe. Nicht standesamtlich, aber sonst ganz reell mit allem Krach … Warum sollen wir uns also nicht helfen?«
»Raus!« sagt Pinneberg nur.
»Sie sind eine entzückende Frau«, sagt Jachmann und setzt sich schwer auf das Bett.
»Das bin leider nur ich«, sagt Pinneberg.
»Egal«, sagt Jachmann und steht auf. »Ich weiß doch hier Bescheid, gehe ich einfach rum um das Bett …«
»Sie sollen rausgehen«, protestiert Pinneberg etwas hilflos.
»Tu ich auch noch«, sagt Jachmann und sucht sich den Weg durch den Engpaß zwischen Waschtisch und Schrank. »Ich komme nämlich nur wegen der Miete.«
»O Gott«, seufzen beide Pinnebergs.
»Sind Sie das, junge Frau?« ruft Jachmann. »Wo war das? Oh, machen Sie doch mal Licht. Sagen Sie noch mal: ›O Gott‹.« Er kämpft sich weiter durch das Zimmer voller Fallen, nach dem Bett am Fenster.
»Wissen Sie, die Frau, Ihre Mutter, schimpft ewig rum, weil sie die Miete noch nicht hat. Heute verkorkst sie uns wieder den ganzen Abend. Jetzt weint sie drüben. Na, habe ich gedacht, Jachmann, die letzten Tage hat’s nur so geflutscht mit dem Geldverdienen, Jachmann, geben würdest du es der Frau doch, gibst du es den Kindern. Die geben es der Frau, kommt es auf eins raus. Und Friede ist.«
»Nee, Herr Jachmann«, fängt Pinneberg an, »das ist ja sehr liebenswürdig von Ihnen …«
»Liebenswürdig … O verflucht, was steht denn hier? Das ist ja ein neues Möbelstück! Spiegel! Nee, meine Ruhe will ich haben. Kommen Sie her, junge Frau, hier ist das Geld.«
»Bedaure sehr, Herr Jachmann«, sagt Pinneberg fröhlich, »daß Sie den weiten Weg umsonst gemacht haben, das Bett ist leer, meine Frau ist bei mir.«
»O verflucht«, flüstert der Riese.
Denn draußen tönt eine weinerliche Stimme: »Holger, wo bist du denn, Holger?«
»Verstecken Sie sich rasch! Sie kommt hier rein«, flüstert Pinneberg.
Gepolter, die Tür geht auf. »Ist Jachmann vielleicht hier?« Und Frau Pinneberg macht Licht. Zwei Augenpaare sehen sich etwas ängstlich um, aber er ist nicht da, steckt sicher hinter dem zweiten Bett.
»Wo er wieder ist? Manchmal rennt er auf die Straße. Bloß weil es ihm zu heiß ist. – Ach Gott, da …!«
Pinneberg und Lämmchen folgen etwas bestürzt dem Blick der Mama. Doch nicht Holger ist es, den sie entdeckt hat, sondern ein paar Geldscheine, offenliegend auf Lämmchens rotseidener Steppdecke.
»Ja, Mama«, sagt Lämmchen und ist die Gefaßteste. »Wir haben uns eben besprochen. Das ist die Miete für die nächste Zeit. Bitte!«
Frau Mia Pinneberg nimmt das Geld. »Dreihundert Mark«, sagt sie etwas atemlos. »Na, es ist gut, daß ihr euch besonnen habt. Ich rechne es dann für Oktober und November. Dann ist nur noch die Kleinigkeit für Gas und Licht. Das rechnen wir dann bei Gelegenheit ab. Also gut … ich danke euch … Gute Nacht …«
Sie hat sich aus dem Zimmer geredet, ängstlich ihren Schatz hütend.
Hinter dem letzten Bett taucht Jachmanns strahlendes Gesicht auf: »Was ’ne Frau!« sagt er. »Was ’ne Frau! Dreihundert Mark und Oktober und November ist doch sehr gut! Na, entschuldigt, Kinder, jetzt muß ich sie sehen. Erstens bin ich neugierig, ob sie was von dem Geld sagt. Und zweitens ist sie jetzt bestimmt so aufgedreht – na also, gute Nacht.«
Und raus ist auch er.
Keßler enthüllt und wird geohrfeigt. Aber Pinnebergs müssen doch ausziehen
Es ist Morgen, ein trüber, grauer Novembermorgen, bei Mandel ist es noch ganz still. Pinneberg ist eben gekommen, er ist der erste oder doch beinahe der erste auf der Abteilung. Hinten scheint noch jemand im Gang zu sein.
Pinneberg ist mies, niedergedrückt, sicher macht es das Wetter. Er nimmt einen Kupon Molton und fängt an, ihn aufzumessen. Rumm – rumm – rumm.
Der andere, der im grauen Hintergrund gewirtschaftet hat, raschelt näher, nicht geradenwegs zu ihm, wie es Heilbutt tun würde, sondern bald hier, bald dort haltmachend. Also wird es schon wieder Keßler sein, und Keßler wird etwas von ihm wollen. Das geht nun schon ewig, diese kleinen Nadelstiche, kleine, feige Stänkereien von Keßler. Und leider ärgert sich Pinneberg jedesmal von frischem darüber, wird richtig wütend, möchte den Keßler vertrimmen, hat ihn gefressen, seit der Bemerkung damals vom Lehmannstamm.
»Morgen«, sagt Keßler.
»Morgen«, antwortet Pinneberg und sieht nicht hoch.
»Noch mächtig dunkel heute«, sagt Keßler.
Pinneberg antwortet nicht. Rumm – rumm, macht der Kupon.
»Sind ja mächtig biereifrig«, sagt Keßler, etwas verlegen lächelnd.
»Ich trinke kein Bier«, antwortet Pinneberg.
Keßler scheint mit einem Entschluß zu kämpfen oder überlegt vielleicht, wie er es anfangen soll. Pinneberg ist sehr nervös, der will doch was von ihm, und nichts Gutes.
Keßler fragt: »Sie wohnen doch in der Spenerstraße, Pinneberg?«
»Woher wissen Sie denn das?«
»Ich habe mal so was gehört.«
»So«, sagt Pinneberg.
»Ich wohne nämlich in der Paulstraße. Ist nur komisch, daß wir uns nie in der Stadtbahn getroffen haben.«
Der will doch was, der Kerl, denkt Pinneberg. Wenn er nur endlich damit raus wäre! So ein Schwein.
»Verheiratet sind Sie auch«, sagt Keßler. »Ist nicht leicht heute, verheiratet zu sein. Haben Sie Kinder?«
»Weiß ich nicht«, sagt Pinneberg wütend. »Sie könnten auch was tun, statt hier rumzustehen.«
»Weiß ich nicht, ist gut«, sagt Keßler. Und jetzt ist er ganz frech, beißt gewissermaßen zu: »Aber vielleicht stimmt’s. Weiß ich nicht, ist sogar ausgezeichnet, wenn man das als Familienvater sagt …«
»Hören Sie, Herr Keßler …!« sagt Pinneberg und hebt ein wenig das Metermaß an.
»Na, was denn?« fragt Keßler. »Sie haben’s doch gesagt. Oder haben Sie’s nicht gesagt? Hauptsache, wenn es die Frau Mia weiß …«
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