Auch Pinneberg sitzt. Er hat Lämmchens Stimme so anders gehört, sie redet so, als gäbe es ihn, den Jungen, überhaupt nicht mehr, als sei er ein Irgendwer, ein Beliebiger. Und wenn er sonst nur ein kleiner Verkäufer ist, bei dem sie früh genug gesorgt haben, daß er weiß, er ist nichts Besonderes, irgend so ein Tierlein, das man leben lassen kann oder krepieren lassen, es ist wirklich nicht so wichtig – während sonst also, selbst in seiner tiefsten Liebe zu Lämmchen etwas Vorüberwehendes, Vergängliches, Unaufhebliches ist: Nun ist er da, er, Johannes Pinneberg. Er weiß, jetzt geht es um das einzige, was in diesem seinem Leben Wert und Sinn hat. Das muß er festhalten, darum muß er kämpfen, darin sollen sie ihn nicht auch auspowern.
Und er sagt: »Lämmchen, du mein Lämmchen! Ich sage dir doch, ich bin ein Idiot gewesen, ich habe alles falsch gemacht. Ich bin doch so. Aber darum darfst du nicht so zu mir reden. So war ich doch immer, und deswegen mußt du doch bei mir bleiben und zu mir sprechen als deinem Jungen, und nicht, als wäre ich irgendwer, mit dem man sich zanken kann.«
»Junge, du, ich …«
Aber er redet weiter, dies ist seine Stunde, hierher ist der Weg gegangen, von allem Anfang an, er gibt nicht nach, er sagt: »Lämmchen, du mußt mir ganz richtig verzeihen. Weißt du, ganz von innen heraus, daß du gar nicht mehr dran denkst, daß du wirklich über deinen dummen Mann lachen kannst, wenn du die Frisiertoilette siehst.«
»Jungchen, du mein Jungchen …«
»Nein«, sagt er und springt aus dem Bett. »Jetzt muß Licht sein. Ich muß dein Gesicht sehen, wie du aussiehst, wenn du mir wirklich verzeihst, daß ich das später immer weiß …«
Und das Licht geht an, und er eilt zurück zu ihr und geht nicht wieder ins Bett, sondern, über sie geneigt, betrachtet er sie …
Es sind zwei Gesichter, erhitzt, gerötet, der Blick weit geworden. Ihre Haare fallen ineinander, sie liegen Lippe auf Lippe, im offenstehenden Hemd ist ihre weiße Brust so herrlich fest mit den bläulichen Adern …
Wie habe ich es gut, fühlt er. O welches Glück …
Mein Junge, denkt sie. Mein Junge. Mein großer, törichter, liebster Junge, daß ich dich drin habe in mir, in meinem Schoß …
Und plötzlich erstrahlt ihr Gesicht, wird heller und heller, der Junge sieht es, es wird immer weiter und größer, als ginge eine Sonne auf über der Landschaft dieses Gesichtes.
»Lämmchen!« ruft er sie, lockt er sie, die zurückzuweichen scheint von ihm, immer ferner und seliger, »Lämmchen!«
Und sie nimmt seine Hand und führt sie nach ihrem Leib: »Da fühle, eben hat er sich geregt, der Murkel, er hat geklopft … Fühlst du es? Jetzt wieder …«
Und bezwungen von der seligen Mutter neigt er, der nichts hört, sich über sie. Sachte legt er seine Wange an ihren vollen, strammen Leib, der doch so weich ist … Und plötzlich ist er wie das herrlichste Kissen der Welt, nein, Torheit, wie eine Woge ist er, es hebt und senkt sich der Leib, ein unermeßliches Meer von Seligkeit überströmt ihn … ist es Sommer? Das Korn ist ja reif. Welch ein fröhliches Kind mit dem weißblonden, verstrubbelten Schopf und den blauen Augen der Mutter. Oh, wie gut riecht es hier auf dem Feld, nach Erde und Mutter und nach Liebe. Nach all der genossenen, immer frischen Liebe … Und die kleinen Grannenhaare der Ähren sticheln an seiner Backe, und er sieht hinten die schöne geschlossene Linie ihrer Schenkel und den kleinen dunklen Wald … Und wie emporgehoben von ihren Armen, ruht er an der mütterlichen Brust, sieht ihren Blick so groß und strahlend … Oh, ihr alle in den kleinen, engen Stuben, fühlt er, das kann man euch doch nicht nehmen …
»Alles ist gut«, flüstert Lämmchen. »Alles ist gut, du mein Junge.«
»Ja«, sagt er, und er huscht neben sie und neigt sein Gesicht über das ihre. »Ja«, sagt er. »Ich bin so glücklich wie noch nie in meinem Leben. Du Lämmchen, du …«
Ein harter Finger klopft gegen ihre Tür, nachts, um Mitternacht herum.
»Darf ich noch mal rein?« fragt eine Stimme.
»Komm nur rein, Mama«, sagt Pinneberg voller Stolz. »Uns störst du nicht.«
Und hält seine Hand fest auf Lämmchens Schulter und hindert sie, züchtig in ihren Bettanteil hinüberzuschlüpfen.
Frau Mia Pinneberg tritt langsam ein und überblickt die Lage.
»Ich störe euch hoffentlich nicht. Ich sah, daß hier noch Licht brennt. Aber ich dachte natürlich nicht, daß ihr schon im Bett wärt. Also ich störe euch gewiß nicht?« Dabei setzt sie sich.
»Uns störst du gewiß nicht, Mama«, erklärt Pinneberg. »Das macht uns gar nichts. Übrigens sind wir ja auch verheiratet.«
Frau Mia Pinneberg sitzt da und atmet hastig. Trotz ihrer Malerei sieht man, daß sie sehr rot ist. Sicher hat sie ein bißchen scharf getrunken.
»Gott«, murmelt Frau Pinneberg – Lämmchens Hemden sind so verflucht offenherzig –, »was die junge Frau für ’ne Brust hat! Das sieht man am Tage gar nicht so. Du erwartest doch nicht?«
»I wo«, antwortet Pinneberg und sieht sachverständig in den Hemdenausschnitt. »Die ist bei Lämmchen immer so. Die hat sie schon als Kind gehabt.«
»Junge!« mahnt Lämmchen.
»Siehst du, Emma«, sagt Frau Pinneberg entrüstet, aber auch weinerlich. »Dein Mann verkohlt mich. Die drinnen verkohlen mich auch. Nun bin ich mindestens fünf Minuten weg, und ich bin doch die Gastgeberin. Aber glaubt ihr, einer fragt nach mir? Immer die dummen Ziegen, die Claire und die Nina. Und Holger ist auch ganz anders geworden, die letzten Wochen. Nach mir fragt keiner.«
Frau Pinneberg schluchzt ein bißchen.
»O Mama!« sagt Lämmchen, ein bißchen verlegen-mitleidig und möchte gerne aus dem Bett zu ihr hin, aber der Junge hält sie fest.
»Laß man, Lämmchen«, sagt er mitleidslos. »Das kennen wir schon. Hast einen kleinen sitzen, Mama. Na, das gibt sich wieder. Das ist immer so bei ihr«, erklärt er ganz ungerührt, »wenn sie einen sitzen hat, weint sie erst, und dann fängt sie Krakeel an, und dann weint sie wieder. Das kenne ich schon, seit ich Schuljunge war …«
»Bitte, Junge, nicht so«, flüstert Lämmchen. »Das sollst du nicht …«
Und Frau Pinneberg sagt sehr böse: »Erinnere du mich bloß an deine Schuljungenjahre! Da könnte ich deiner Frau erzählen, wie das war, als damals der Schutzmann kam, und du hattest mit den Mädchen in der Sandkiste solche unanständigen Spiele …«
»Geschenkt!« sagt Pinneberg. »Meine Frau kennt das alles. – Siehst du, Lämmchen, jetzt kommt bei ihr der Zustand, wo sie Streit anfängt, jetzt geht das los.«
»Ich will das nicht mehr hören«, sagt Lämmchen mit flammenden Wangen. »Wir sind alle dreckig, ich weiß das leider, auch mich hat keiner beschützt. Aber daß du als Sohn zu deiner Mutter …«
»Sei man ruhig«, sagt Pinneberg. »Ich fange mit solchem Mist nicht an. Immer ist das Mama.«
»Und wie ist das mit meiner Miete?« fragt Frau Pinneberg plötzlich wütend und ist mitten in ihrem Thema. »Heute ist der Einunddreißigste, überall müßt ihr die Miete vorausbezahlen, und ich habe noch keinen Pfennig …«
»Du kriegst sie schon«, sagt Pinneberg, »heute nicht und morgen auch nicht. Aber kriegen tust du sie – mal.«
»Ich muß sie heute haben, ich muß den Wein bezahlen. Kein Mensch fragt mich, woher ich mein Geld nehme …«
»Sei doch nicht blöd, Mama. Du brauchst den Wein doch nicht in der Nacht zu bezahlen. Das ist ja alles Geschwätz. Und denk bitte auch daran, daß Lämmchen dir alle Arbeit macht!«
»Ich will mein Geld haben«, sagt Frau Pinneberg erschöpft. »Wenn Lämmchen mir nicht mal solchen kleinen Gefallen tun will. Ich habe auch heute den Tee für euch aufgebrüht, wenn ich das nun auch bezahlt haben will?«
»Du bist ja verdreht, Mama«, sagt Pinneberg. »Jeden Tag die ganze Wohnung aufräumen und ein bißchen Tee aufbrühen …!«
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