Langsam kommt Leben in das Geschäft. Eben noch standen sie alle herum, schrecklich gelangweilt, nur ganz offiziell beschäftigt, und nun verkaufen sie plötzlich. Wendt ist in Arbeit, Lasch verkauft, Heilbutt verkauft. Nun Keßler, der hat es auch nicht abwarten können, eigentlich wäre Pinneberg dran gewesen. Aber schon hat auch Pinneberg seinen Käufer, jüngeren Herrn, einen Studenten. Doch Pinneberg hat kein Glück: Der Student mit den Schmissen verlangt kurz und knapp einen blauen Trenchcoat.
Es schießt durch Pinnebergs Hirn: Keiner am Lager. Der läßt sich nichts aufschwatzen. Keßler wird grinsen, wenn ich ’ne Pleite schiebe. Ich muß die Sache machen …
Und schon hat er den Studenten vor einem Spiegel. »Blauer Trenchcoat, jawohl. Einen Moment bitte. Wenn wir erst einmal diesen Ulster überprobieren dürften?«
»Ich will doch keinen Ulster«, erklärt der Student.
»Nein, selbstverständlich nicht. Nur der Größe wegen. Wenn der Herr sich bemühen wollen. Sehen Sie – ausgezeichnet, was?«
»Na ja«, sagt der Student. »Sieht gar nicht so schlecht aus. Und nun zeigen Sie mir mal einen blauen Trenchcoat.«
»Neunundsechzig fünfzig«, sagt Pinneberg beiläufig und fühlt vor, »eines unserer Reklameangebote. Im vorigen Winter kostete der Ulster noch neunzig. Angewebtes Futter. Reine Wolle …«
»Schön«, sagt der Student. »Den Preis wollte ich ungefähr anlegen, aber ich möchte einen Trenchcoat. Zeigen Sie mir mal …«
Pinneberg zieht langsam und zögernd den schönen Marengo-Ulster aus. »Ich glaube nicht, daß Ihnen irgend etwas anderes so gut stehen würde. Blauer Trenchcoat ist eigentlich ganz abgekommen. Die Leute haben ihn sich übergesehen.«
»Also, nun zeigen Sie mir endlich …!« sagt der Student energisch. Und sachter: »Oder wollen Sie mir keinen verkaufen?«
»Doch, doch. Alles, was Sie wollen.« Und er lächelt auch, wie der Student bei seiner Frage eben gelächelt hat. »Nur …«, er überlegt fieberhaft. Nein, nicht schwindeln, man kann es ja versuchen: »Nur, ich kann Ihnen keinen blauen Trenchcoat verkaufen.« Pause. »Wir führen keinen Trenchcoat mehr.«
»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?!« sagt der Student, halb verblüfft, halb ärgerlich.
»Weil ich Sie nur davon überzeugen wollte, wie ausgezeichnet Ihnen dieser Ulster steht. Bei Ihnen kommt er wirklich zur Geltung. Sehen Sie«, sagt Pinneberg halblaut und lächelt, wie um Entschuldigung bittend, »ich wollte Ihnen nur zeigen, wieviel besser der ist als so ein blauer Trenchcoat. Das war so eine Mode – na ja! Aber dieser Ulster …«
Pinneberg sieht ihn liebevoll an, streicht einmal über den Ärmel, hängt ihn wieder über den Bügel und will ihn in den Ständer zurückhängen.
»Halt!« sagt der Student. »Ich kann ja immer noch mal … schlecht sieht er ja nicht gerade aus …«
»Nein, schlecht sieht er nicht aus«, sagt Pinneberg und hilft dem Herrn wieder in den Mantel. »Der Ulster sieht direkt vornehm aus. Aber vielleicht darf ich dem Herrn noch andere Ulster zeigen? Oder einen hellen Trenchcoat?«
Er hat gesehen, die Maus ist beinahe in der Falle, sie riecht den Speck schon, jetzt darf er es riskieren.
»Helle Trenchcoats haben Sie also doch!« sagt der Student grollend.
»Ja, wir haben da was …«, sagt Pinneberg und geht an einen anderen Ständer.
In diesem Ständer hängt ein gelbgrüner Trenchcoat, zweimal ist er schon im Preis zurückgesetzt worden, seine Brüder vom selben Konfektionär, von derselben Farbe, vom gleichen Schnitt haben längst ihre Käufer gefunden. Dieser Mantel, das scheint ein Schicksal, will nicht von Mandel fort … Jedermann sieht in diesem Mantel irgendwie komisch, verbogen, falsch oder halb angezogen aus …
»Wir haben da was …«, sagt Pinneberg. Er wirft den Mantel über seinen Arm. »Ich bitte sehr, ein heller Trenchcoat. Fünfunddreißig Mark.«
Der Student fährt in die Ärmel. »Fünfunddreißig?« fragt er erstaunt.
»Ja«, antwortet Pinneberg verächtlich. »Solche Trenchcoats kosten nicht viel.«
Der Student prüft sich im Spiegel. Und wieder bewährt sich die Wunderwirkung dieses Stücks. Der eben noch nette junge Mann sieht aus wie eine Vogelscheuche. »Ziehen Sie mir das Ding nur schnell wieder aus«, ruft der Student, »das ist ja grauenhaft.«
»Das ist ein Trenchcoat«, sagt Pinneberg ernst.
Und dann schreibt Pinneberg den Kassenzettel über neunundsechzig fünfzig aus, er gibt ihn dem Herrn, er macht seine Verbeugung. »Ich danke auch verbindlichst.«
»Nee, ich danke«, lacht der Student und denkt jetzt sicher an den gelben Trenchcoat.
Na also, geschafft, denkt Pinneberg. Er überblickt schnell die Abteilung. Die anderen verkaufen noch oder verkaufen schon wieder. Nur Keßler und er sind frei. Also ist Keßler der nächste dran. Pinneberg wird sich schon nicht vordrängen. Aber, während er gerade Keßler ansieht, geschieht das Seltsame, daß Keßler Schritt um Schritt gegen den Hintergrund des Lagers zurückweicht. Ja, es ist gerade so, als wollte Keßler sich verstecken. Und wie Pinneberg gegen den Eingang schaut, sieht er auch die Ursache solch feiger Flucht: Da kommen erstens eine Dame, zweitens noch eine Dame, beide in den Dreißigern, drittens noch eine Dame, älter, Mutter oder Schwiegermutter, und viertens ein Herr, Schnurrbart, blaßblaue Augen, Eikopf. Du feiges Aas, denkt Pinneberg empört. Vor so was reißt der natürlich aus. Na warte!
Und er sagt mit einer sehr tiefen Verbeugung: »Was steht bitte zu Diensten, meine Herrschaften?«, und dabei läßt er seinen Blick ganz gleichmäßig einen Augenblick auf jedem der vier Gesichter ruhen, damit keines zu kurz kommt.
Eine Dame sagt ärgerlich: »Mein Mann möchte einen Abendanzug. Bitte, Franz, sag doch dem Verkäufer selbst, was du willst!«
»Ich möchte …« fängt der Herr an.
»Aber Sie scheinen ja nichts wirklich Vornehmes zu haben«, sagt die zweite Dame in den Dreißigern.
»Ich habe euch gleich gesagt, geht nicht zu Mandel«, sagt die Ältliche. »Mit so was muß man zu Obermeyer.«
»… einen Abendanzug haben«, vollendet der Herr mit den blaßblauen Kugelaugen.
»Einen Smoking?« fragt Pinneberg vorsichtig. Er versucht, die Frage gleichmäßig zwischen den drei Damen aufzuteilen und doch auch den Herrn nicht zu kurz kommen zu lassen, denn selbst ein solcher Wurm kann einen Verkauf umschmeißen.
»Smoking!« sagen die Damen empört.
Und die Strohblonde: »Einen Smoking hat mein Mann natürlich. Wir möchten einen Abendanzug.«
»Ein dunkles Jackett«, sagt der Herr.
»Mit gestreiftem Beinkleid«, sagt die Dunkle, die die Schwägerin zu sein scheint, aber die Schwägerin der Frau, so daß sie als die Schwester des Mannes wohl noch ältere Rechte über ihn hat.
»Bitte schön«, sagt Pinneberg.
»Bei Obermeyer hätten wir jetzt schon was Passendes«, sagt die ältere Dame.
»Nein, doch nicht so was«, sagt die Frau, als Pinneberg ein Jackett in die Hand nimmt.
»Was könnt ihr denn hier anderes erwarten?«
»Ansehen kann man sich jedenfalls. Das kostet nichts. Zeigen Sie nur immer, junger Mann.«
»Probier das mal an, Franz!«
»Aber, Else, ich bitte dich! Dies Jackett …«
»Nun, was meinst du, Mutter …?«
»Ich sage gar nichts, fragt mich nicht, ich sage nichts. Nachher habe ich den Anzug ausgesucht.«
»Wenn der Herr die Schulter etwas anheben wollte?«
»Daß du die Schultern nicht anhebst! Mein Mann läßt immer die Schultern hängen. Dafür muß es eben unbedingt passend sein.«
»Dreh dich mal um, Franz.«
»Nein, ich finde, das ist ganz unmöglich.«
»Bitte, Franz, rühr dich etwas, du stehst da wie ein Stock.«
»Das ginge vielleicht eher.«
»Warum ihr euch hier bei Mandel quält …?«
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