»Wie?«
»Schild draußen!!«
»Ich versteh nicht, Fräulein.«
Die grüne Bluse ist empört: »Lesen Sie’s Schild draußen. Bewerbungen zwecklos.«
»Habe ich gelesen. Ich bin aber zu Herrn Lehmann bestellt. Herr Lehmann erwartet mich.«
Die junge Dame – Pinneberg findet, sie sieht wirklich sonst ganz nett und manierlich aus, ob sie aber auch zu ihrem Chef so spricht wie zu den Kollegen? –, die junge Dame sieht ihn böse an. »Zettel!« sagt sie. Und ganz erregt: »Zettel sollen Sie ausfüllen!«
Pinneberg folgt ihrem Blick. Auf einem Pult in der Ecke liegt ein Block, ein Bleistift hängt an einer Kette. »Herr/Frau/Fräulein … möchte Herrn/Frau/Fräulein … sprechen. Zweck der Rücksprache ( genau bezeichnen) …«
Pinneberg schreibt erst Pinneberg, dann Lehmann, beim Zweck des Besuches, der so genau bezeichnet werden soll, zögert er. Er schwankt zwischen »bekannt« und »Einstellung«. Aber beides würde sich wahrscheinlich nicht vor der gestrengen jungen Dame bewähren, und so schreibt er denn »Jachmann«.
»Bitte, Fräulein.«
»Legen Sie’n hin.«
Der Zettel liegt auf der Barriere, die Schreibmaschinen hämmern, Pinneberg wartet.
Nach einer Weile sagt er sanft: »Fräulein, ich glaube, Herr Lehmann wartet auf mich.«
Keine Antwort.
»Fräulein, bitte!«
Die Dame stößt einen Laut aus, etwas Unartikuliertes, so ein »Schschsch«, Pinneberg denkt sich, Schlangen zischen so.
Wenn sie alle hier so sind, die Kollegen, denkt Pinneberg trübe. Und wartet weiter.
Nach einer Weile kommt dann ein Kontorbote in grauer Uniform herein.
»Zettel!« sagt das junge Mädchen.
Der Bote nimmt den Zettel, liest ihn, betrachtet Pinneberg und verschwindet.
Nein, dieses Mal braucht Pinneberg nicht mehr sehr lange zu warten. Der Bote erscheint wieder, sagt ganz manierlich: »Herr Lehmann läßt bitten!« und führt ihn durch die Schranke, über einen Gang in ein Zimmer.
Es ist noch nicht Lehmanns Zimmer. Aber es ist Lehmanns Vorzimmer.
Hier sitzt eine ältliche Dame mit gelblichem Teint, das ist die Privatsekretärin, denkt erschauernd Pinneberg. Und die Dame sagt mit leidender, trauriger Miene: »Setzen Sie sich bitte. Herr Lehmann ist noch beschäftigt.«
Pinneberg setzt sich. Es ist ein Vorzimmer mit sehr vielen Aktenschränken, die Rolljalousien sind alle hochgeschoben, die Schnellhefter liegen in Stößen, blau, gelb, grün, rot. Jeder Schnellhefter hat sein Schwänzchen, und Pinneberg liest auf den Schwänzchen Namen, Fichte liest er, dann Filchner, dann Fischer.
Das sind die Namen von den Kollegen, denkt er, Personalakten, denkt er. Manche sind ganz dünn, manche Schicksale sind mitteldick, ganz dicke Personalschicksale gibt es nicht.
Das ältliche gelbe Fräulein geht hin und her. Sie nimmt einen Durchschlag, sieht ihn leidend an, seufzt, locht ihn. Sie nimmt eine Akte, sie legt den Durchschlag hinein. Ist es eine Kündigung oder eine Gehaltserhöhung? Steht in dem Brief, daß Fräulein Bier freundlicher zur Kundschaft sein muß?
Ach vielleicht, denkt Pinneberg, muß das ältliche, gelbe Fräulein schon morgen, schon heute nachmittag eine Personalakte anlegen: Johannes Pinneberg. Möchtest du doch! Das Telefon schnarrt. Das ältliche Fräulein nimmt eine Akte, legt den Brief hinein, das Telefon schnarrt, wieder die Schiene hinein, die Akte ins Fach, das Telefon schnarrt. Das Fräulein nimmt den Hörer und sagt mit seiner leidenden, gelben Stimme: »Hier das Personalbüro. Ja, Herr Lehmann ist da. – Wer möchte ihn sprechen? Herr Direktor Kußnick? – Ja, bitte, wollen Sie Herrn Direktor Kußnick an den Apparat rufen! Ich verbinde dann mit Herrn Lehmann.«
Kleine Pause. Vornübergebeugt lauscht das Fräulein in den Apparat, sie scheint den Widerpart am anderen Ende der Strippe gewissermaßen zu sehen, ein ganz zartes Rot färbt ihre blassen Wangen. Ihre Stimme ist immer noch leidend, aber ein ganz klein bißchen scharf, als sie sagt: »Ich bedaure, Fräulein, ich darf Herrn Lehmann erst verbinden, wenn der Anrufer am Apparat ist.«
Horchpause. Ein ganz klein wenig noch schärfer: »Sie dürfen Herrn Direktor Kußnick erst verbinden, wenn Herr Lehmann am Apparat ist?« Pause. Stolz: »Ich darf Herrn Lehmann erst verbinden, wenn Herr Direktor Kußnick am Apparat ist.« Nun geht es rascher, der Ton wird schärfer: »Bitte, Fräulein, Sie haben angerufen!« … »Nein, Fräulein, ich habe meine Vorschriften.« … »Bitte, Fräulein, ich habe für so was keine Zeit.« … »Bitte, Fräulein, erst muß Herr Kußnick am Apparat sein.« … »Nein, Fräulein, sonst hänge ich jetzt ab.« … »Nein, Fräulein, das habe ich oft genug erlebt, nachher spricht Ihr Herr auf einem andern Apparat. Herr Lehmann kann nicht warten.«
Sanfter: »Ja, Fräulein, ich sagte Ihnen doch, Herr Lehmann ist hier. Ich verbinde dann sofort.« Pause. Dann ganz andere Stimme, leidend, sanft: »Herr Direktor Kußnick …? Ich verbinde mit Herrn Lehmann.« Hebeldrückend, im Flötenton: »Herr Lehmann, Herr Direktor Kußnick ist am Apparat. – Wie bitte?« Sie horcht mit ihrem ganzen Leibe. Schwerkrank: »Jawohl, Herr Lehmann.« Hebeldrückend: »Herr Direktor Kußnick? Ich höre eben, daß Herr Lehmann zu einer Besprechung gegangen ist. Nein, ich kann ihn nicht erreichen. Er ist momentan nicht im Hause. – Nein, Herr Direktor, ich habe nicht gesagt, daß Herr Lehmann hier ist, da muß sich Ihre Dame irren. Nein, ich kann nicht sagen, wann Herr Lehmann zurückkommt. Bitte, nein, so was habe ich nicht gesagt, da irrt sich Ihre Dame. Guten Morgen.«
Sie hängt ab. Sie ist weiter leidend, gelblich, mit einem ganz klein bißchen Rot. Sie scheint Pinneberg etwas aufgekratzter, als sie nun weiter ablegt, Blätter in Personalakten.
Scheint ihr gut zu tun, so ein bißchen Stunk, denkt Pinneberg. Freut sie wohl, wenn die Kollegin bei Kußnick ein bißchen was aufs Dach kriegt. Hauptsache, sie sitzt sicher.
Das Telefon schnarrt. Zweimal. Scharf. Die Akte fliegt aus der Hand zur Erde, das Fräulein hängt am Apparat: »Ja, bitte, Herr Lehmann? Jawohl. Sofort.« Und zu Pinneberg: »Herr Lehmann läßt bitten.«
Sie öffnet die braune gepolsterte Tür vor ihm.
Gut, daß ich das alles noch gesehen hab, denkt Pinneberg, während er durch die Tür geht. Mächtig devot sein. Möglichst wenig reden. Jawohl, Herr Lehmann. Zu Befehl, Herr Lehmann.
Es ist ein Riesenzimmer, die eine Wand fast nur Fenster. Und an diesem Fenster steht ein Mammutschreibtisch, auf dem nichts ist als ein Telefon. Und ein gelber Mammutbleistift. Kein Stück Papier. Nichts. Auf der einen Seite des Schreibtisches ein Sessel: leer. Auf der anderen Seite ein Rohrstühlchen – darauf, das muß Herr Lehmann sein, ein gelber, langer Mann mit einem Gesicht voller Querfalten, einem schwarzen Bärtchen und einer kränklichen Glatze. Sehr dunkle, runde, stechende Augen.
Pinneberg bleibt vor dem Schreibtisch stehen. Seelisch hat er gewissermaßen die Hände an der Hosennaht, und den Kopf hat er ganz zwischen den eingezogenen Schultern, um nicht zu groß zu sein. Denn Herr Lehmann sitzt ja nur pro forma auf einem Rohrstühlchen, eigentlich müßte er, den Abstand richtig zu kennzeichnen, auf der obersten Sprosse einer Stehleiter sitzen.
»Guten Morgen«, sagt Herr Pinneberg sanft und höflich, und macht eine Verbeugung.
Herr Lehmann sagt nichts. Aber er faßt den Mammutbleistift, stellt ihn senkrecht.
Pinneberg wartet.
»Sie wünschen?« fragt Herr Lehmann sehr kratzig.
Pinneberg ist direkt vor den Magen geschlagen, Tiefschlag.
»Ich … ich dachte … Herr Jachmann …« Dann ist es wieder alle, die Luft gänzlich weg.
Herr Lehmann besieht sich das. »Herr Jachmann geht mich gar nichts an. Was Sie wollen, will ich wissen.«
»Ich bitte«, sagt Pinneberg und spricht ganz langsam, damit ihn die Luft nicht wieder im Stich läßt, »um die Stellung eines Verkäufers.«
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