»Nun, meine Herren«, sagt der eifrige Substitut, Herr Jänecke. »Ein kleines Palaver? Schon fleißig verkauft? Immer fleißig, die Zeiten sind schwer, und bis so ein Verkäufergehalt rausspringt, da will viel Ware verkauft sein.«
»Wir reden gerade, Herr Jänecke«, sagt Heilbutt und hält unmerklich Pinneberg am Ellbogen fest, »über die verschiedenen Verkäuferarten. Wir fanden, es gibt drei: Die, die den Leuten imponieren. Die, die raten, was die Leute wollen. Und drittens die, die nur per Zufall verkaufen. Was meinen Sie, Herr Jänecke?«
»Theorie, sehr interessant, meine Herren«, sagt Jänecke lächelnd. »Ich kenne nur eine Art Verkäufer: die, auf deren Verkaufsblock abends recht hohe Zahlen stehen. Ich weiß, es gibt noch die mit den niedrigen Zahlen, aber ich sorge schon dafür, daß es die hier bald nicht mehr gibt.«
Und damit enteilt Herr Jänecke, um einen anderen anzutreiben, und Heilbutt sieht ihm nach und sagt gar nicht leise hinter ihm her: »Schwein.«
Pinneberg findet es ja herrlich, einfach so Schwein zu sagen, ohne Rücksicht auf die Folgen, aber ein bißchen bedenklich scheint es ihm doch. Heilbutt ist schon im Begriff fortzugehen, er nickt, er sagt: »Also, Pinneberg …«
Da sagt Pinneberg: »Ich habe eine große Bitte, Heilbutt.«
Heilbutt ist etwas erstaunt: »Ja? Selbstverständlich, Pinneberg.«
Und Pinneberg: »Wenn Sie uns einmal besuchen würden?«
Heilbutt ist noch erstaunter.
»Ich habe nämlich meiner Frau so viel von Ihnen erzählt, und sie würde Sie gern kennenlernen. Wenn Sie einmal Zeit haben? Natürlich nur zu einem Butterbrot.«
Heilbutt lächelt wieder, aber es ist ein reizendes Lächeln, aus den Augenwinkeln. »Aber natürlich, Pinneberg. Ich wußte gar nicht, daß es Ihnen Spaß machen würde. Ich komme gerne einmal.«
Pinneberg fragt hastig: »Ginge es … wäre es vielleicht heute abend möglich?«
»Heute abend schon?« Heilbutt überlegt. »Ja, da muß ich einmal nachsehen.« Er nimmt ein Lederbüchlein aus der Tasche. »Warten Sie, morgen ist der Vortrag in der Volkshochschule über griechische Plastik. Sie wissen ja …«
Pinneberg nickt.
»Und übermorgen habe ich meinen Freikörperkulturabend, ich bin nämlich in einem Bund für Freikörperkultur … Und den Abend darauf habe ich meiner Freundin zugesagt. Nein, soweit ich sehe, Pinneberg, bin ich heute abend frei.«
»Schön«, stößt Pinneberg, atemlos begeistert, hervor. »Das paßt ja glänzend. Wenn Sie sich meine Adresse notieren wollen. Spenerstraße zweiundneunzig, zwei Treppen.«
»Herr und Frau Pinneberg«, trägt Heilbutt ein. »Spenerstraße zweiundneunzig, zwei. Da fahre ich am besten bis Bahnhof Bellevue. Und wann?«
»Geht es um acht? Ich gehe allerdings schon früher weg. Ich habe von vier Uhr an frei. Ich will noch was besorgen.«
»Also schön, um acht, Pinneberg. Ich komme ein paar Minuten früher, damit das Haus noch nicht zu ist.«
Pinneberg erhält Gehalt, behandelt Verkäufer schlecht und wird Besitzer einer Frisiertoilette
Pinneberg steht vor der Tür des Warenhauses Mandel, seine Hand in der Tasche umschließt die Gehaltstüte. Nun ist er einen Monat lang hier beschäftigt gewesen, aber er hat in diesem ganzen Monat keine Ahnung gehabt, wieviel Gehalt er bekommen wird. Beim Engagement, bei Herrn Lehmann – nun, er war froh, daß er eine Stellung bekam, da hatte er nicht gefragt.
Auch die Kollegen hatte er nicht gefragt.
»Ich muß doch von Breslau her wissen, was Mandel zahlt«, hat er geantwortet, wenn Lämmchen einmal nach Klarheit drängte.
»So geh zur DAG!«
»Ach, die sind nur höflich, wenn sie Geld von einem haben wollen.«
»Aber wir müssen doch Bescheid wissen, Junge.«
»Werden wir ja am Letzten sehen, Lämmchen. Unter Tarif kann er ja nicht zahlen. Und der Berliner Tarif wird schon nicht schlecht sein.«
Nun hat er seinen Berliner Tarif, der nicht schlecht ist. Hundertsiebzig Mark netto! Achtzig Mark weniger als Lämmchen erwartet hat, sechzig weniger, als er in seinen ungünstigsten Berechnungen veranschlagte.
Diese Räuber, ob die sich überhaupt je den Kopf zerbrechen, wie wir uns einrichten sollen?! Die denken nur immer, andere kommen mit noch weniger aus. Und dafür dürfen wir noch kuschen und kriechen. Hundertsiebzig Mark netto. Eine etwas harte Nuß hier für Berlin. Mama wird mit ihrer Miete wohl etwas warten müssen. Hundert Mark, die hat ja überhaupt einen Vogel, in dem Punkt hat Jachmann jedenfalls recht. Rätselhaft bleibt nur, wie Pinnebergs je zu Anschaffungen kommen sollen. Irgendwas würde man Mama ja doch geben müssen, Mama war ein Bohrer.
Hundertsiebzig Mark – und er hatte einen so schönen Plan gehabt. Er hatte Lämmchen überraschen wollen.
Es hatte damit angefangen, daß Lämmchen eines Abends auf eine leere Ecke im Fürstenschlafzimmer gedeutet und gesagt hatte: »Weißt du, hier müßte eigentlich eine Frisiertoilette hin.«
»Brauchen wir die denn?« hatte er ganz erstaunt gefragt. Er hatte immer nur an Betten, einen Klubsessel aus Leder und einen eichenen Diplomaten gedacht.
»Gott, brauchen. Aber schön wäre es doch. Wenn ich mich da so frisieren könnte! Na, guck nicht so, Jungchen, es wird schon nur ein Traum bleiben.«
Damit hatte es angefangen. Denn spazierengehen muß man, namentlich bei Lämmchens Zustand. Nun hatten sie etwas, das man dabei ansehen konnte: Sie betrachteten Frisiertoiletten. Sie gingen auf weite Entdeckungsreisen, es gab Gegenden, Seitenstraßen, wo sich die Tischler und die kleinen Möbelfabriken Laden an Laden drängten. Da standen sie dann und sagten: »Sieh mal, die!«
»Ich finde die Maserung ja sehr unruhig.«
»Findest du?«
Schließlich bekamen sie Lieblinge, und der oberste der Lieblinge stand in dem Geschäft eines gewissen Himmlisch in der Frankfurter Allee. Die Spezialität der Firma Himmlisch waren Schlafzimmer, die Firma schien Wert auf diesen Umstand zu legen, auf ihrem Firmenschild nannte sie sich: »Betten-Himmlisch. Spezialität moderne Schlafzimmer.«
In deren Schaufenster stand nun schon seit Wochen ein Schlafzimmer, gar nicht so teuer, siebenhundertfünfundneunzig einschließlich Auflegematratzen und echtem Marmor. Aber dem Zuge der Zeit folgend, die für nächtlich frostige Wanderungen ist, ohne Nachtschränkchen. Und zu diesem Schlafzimmer, kaukasisch Nußbaum, gehörte eine Frisiertoilette …
Sie standen immer lange und sahen sie an. Es war gut anderthalb Stunden Marsch hin und anderthalb zurück. Lämmchen stand da und sagte schließlich: »Gott, Junge, wenn man das so kaufen könnte! Ich glaube, ich würde vor Freude heulen.«
»Die es kaufen können«, antwortete nach einer Weile Pinneberg weise, »die heulen nicht vor Freude. Aber schön wäre es.«
»Schön wäre es«, bestätigte auch Lämmchen. »Herrlich wäre es.«
Und dann machen sie sich auf den Rückweg. Sie gehen immer eingehängt, und zwar so, daß Pinneberg seinen Arm durch Lämmchens Arm steckt. Er fühlt dann ihre Brust, die schon voller wird, so angenehm, es ist wie ein Zuhausesein auf allen diesen weltenweiten Straßen mit den tausend fremden Leuten. Bei diesen Heimwegen aber ist Pinneberg der Gedanke gekommen, Lämmchen zu überraschen. Einmal müssen sie ja doch anfangen, und wenn erst ein Möbelstück da ist, werden die anderen schon nachkommen. Darum hat er sich heute auch um vier freigeben lassen, heute ist der einunddreißigste Oktober, Gehaltszahlung. Kein Wort hat er Lämmchen verraten, er hat einfach das Dings schicken lassen wollen. Und er würde tun, als wüßte er nichts …
Aber jetzt hundertsiebzig Mark! Das war ausgeschlossen. Klipp und klar und einfach ausgeschlossen.
Man nimmt nicht so leicht von seinen Träumen Abschied. Pinneberg kann jetzt noch nicht nach Haus mit seinen hundertsiebzig Mark. Er muß ja ein bißchen fröhlich sein, wenn er ankommt. Lämmchen hat doch mit zweihundertfünfzig gerechnet. Er schlägt den Weg nach der Frankfurter Allee ein. Abschiednehmen. Und dann nie wieder zu dem Schaufenster gehen. Es hat ja doch keinen Zweck. Für solche, wie sie sind, kommt nie eine Frisiertoilette in Frage, vielleicht reicht es mal zu ein paar Eisenbetten.
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