„Das ist sehr interessant“, meinte der oberste Goblin schließlich. „Auch wir wurden schon oft von diesen Wesen angegriffen. Sie denken sich immer wieder die verschiedensten Verkleidungen aus, um unsere Wachen überlisten zu können.“ Er machte eine kurze Pause. „Solltet ihr noch einmal mit ihnen kämpfen, zielt auf den Hals oder Kopf. Verwundungen an anderen Stellen sind selbst bei Volltreffern nicht lebensgefährlich.“
„Ich würde gerne wissen, wann wir denn eigentlich wieder weiterziehen dürfen“, versuchte Tado den Redefluss des Goblins zu unterbrechen.
„Eine törichte Frage, Junge. Du solltest sie niemals stellen, wenn du dir nicht sicher bist, ob du als Gefangener oder Gast behandelt wirst. In solchen Fällen ist es sinnvoll...“ Tado verdrehte innerlich die Augen und hörte nicht weiter zu. Er hatte eine kurze Antwort erhofft und kein minutenlanges Geschwafel. Aber er wartete geduldig, bis der König zu Ende gesprochen hatte und stellte erneut seine Frage, die dieser zu beantworten vergaß: „Dürfen wir denn jetzt weiter oder nicht?“
„Aber natürlich dürft ihr das. Nur ist es bereits dunkel und die Schatten könnten zum Leben erwachen. Man kann nie wissen, wem man in einer sternenklaren, warmen, regenlosen Sommernacht so begegnet.“ Tado beschloss, die Sache mit den Schatten einfach zu ignorieren und sich nicht weiter unnötig den Kopf darüber zu zerbrechen.
„Also, was ist euch lieber: die Nacht draußen zu verbringen bei Troll und Tod oder hier drinnen bei Frieden und gutem Essen?“
Er atmete innerlich tief durch und ein kurzer Blick zu Regan sagte ihm, dass nicht nur er diese Worte so interpretierte, als wollte der Oberste der Goblins nichts mehr, als dass seine Gäste nicht ihren Weg fortsetzten. Er hatte trotzdem nicht vor, das Angebot anzunehmen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, ergriff Spiffi das Wort: „Natürlich werden wir hier übernachten. Ich wüsste keinen Grund, warum wir diese nette Einladung abschlagen sollten.“
Diese Worte trafen Tado wie ein Eimer eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht. Es dauerte noch etwa zehn Stunden bis zum Sonnenaufgang, und er würde es keine fünf Minuten mehr mit dieser kleinen Gestalt in einem Raum aushalten können, ohne unweigerlich den Verstand zu verlieren.
„Na das ist doch toll!“, freute sich Kaher. „Regan wird euch auf eure Zimmer führen.“
Wenigstens einmal war ihnen das Glück hold. Er musste keine Zeit mehr mit diesem grünen Wesen unter einem Dach verbringen. Zumindest trennten sie jetzt mehrere Wände. Plötzlich blieb Tado stehen. „Ein paar Fragen hätte ich da noch“, begann er.
„Woher wisst ihr all das über uns? Könnt ihr Gedanken lesen? Und dann...“ Er machte eine kurze Pause. „Was war das vorhin am Tor?“
„Also“, erwiderte Kaher lächelnd. „Gedanken lesen kann ich nicht.“ Sein Gesichtsausdruck wurde etwas ernster und sein Tonfall leiser: „Es ist das Gebirge. Die Felsen flüstern. So lautlos wie Schatten. Ich kann mit ihnen reden. Jeder, der diesen Berg passiert, gibt seine Geheimnisse ungewollt an das Gestein preis. Es lebt nicht, nicht wirklich zu mindest, aber es ist der beste Spion, die beste Wache. Niemand sonst versteht ihre Sprache. Am Eingangstor wart ihr unmittelbar an der Quelle der Verbindung zwischen mir und dem Fels und ihr vernahmt jene Laute.
Ich werde euch kurz den Mechanismus hinter der Steintür verraten: Legt man seine Hand auf den goldenen Stern am rechten Torflügel, spricht der Fels zu mir, dass jemand Eintritt ersucht und nennt mir dessen Absichten, Namen und alles, was ich wissen will. Ich antworte dann, natürlich in gleicher Sprache, sofern keine bösen Absichten vorliegen, dass ihnen der Zutritt gewährt sei. Und nur dann bewegt sich das meterdicke Gestein zur Seite und offenbart den Eingang.“
„Aber wenn der Fels lautlos spricht, warum haben wir dann etwas gehört?“, wunderte sich Spiffi.
„Da kein Lebewesen die Sprache so perfekt wie der Berg beherrscht, musste der Fels hörbar reden, damit ich es verstehe. Diese Gabe wird in der Königsfamilie von Generation zu Generation vererbt.“
Für einen Moment herrschte Stille. Nur das leise Atmen der vier Anwesenden war zu vernehmen.
Nach einigen unerträglichen Minuten des Schweigens sagte Regan endlich: „Ich zeige euch nun eure Zimmer.“
Tado war innerlich dankbar dafür, dass der Goblin die Totenstille gebrochen hatte.
Der Weg zu ihren Unterkünften führte sie aus dem Palast hinaus zu einer der grauen Kuppeln zur Linken, welche mehrere Fenster und Etagen aufwies. Regan steuerte, kaum durch die Eingangstür getreten, sofort die Wendeltreppe in der Mitte des Gebäudes an. Die Stufen waren abgenutzt und rutschig. Im obersten Geschoss angekommen, in dem sich - aufgrund des Platzmangels - nur vier Zimmer befanden, marschierte der Goblin auf das erstbeste zu und öffnete die kleine Tür. Mit einer Handbewegung bedeutete er Tado und Spiffi, einzutreten.
Der Raum hatte eine sich nach hinten weitende Fächerform, an den mit Bergen bemalten Seitenwänden standen zwei hart aussehende Betten, eines links und eines rechts, daneben je ein niedriger Tisch auf denen Schalen mit Obst niedergelegt waren. Des Weiteren befand sich nur noch ein kleines Fenster in der der Tür gegenüberliegenden Wand.
„Wir sind da“, sagte Regan nur und verließ auch gleich das Zimmer.
„Er ist nicht besonders gesprächig“, meinte Spiffi.
„Dafür redet dieser kleine König umso mehr“, erwiderte Tado, während er sich auf ein Bett - welches übrigens bequemer war, als es aussah - sinken ließ und in der gleichen Bewegung seinen Rucksack und die Axt ablegte, sowie nach einem Apfel griff. Spiffi hatte wesentlich mehr Schwierigkeiten, seinen großen Bogen irgendwo griffbereit unterzubringen, ohne dass dieser ihm ein Auge ausstach.
„Ich finde es komisch, dass sie uns hier so gut behandeln“, sagte Tado schließlich. „Regan hatte doch gesagt, dass wir keine Freundlichkeit erwarten sollen.“
„Ist doch egal“, meinte sein Gefährte. „Wenn sie zu uns freundlich sind, sollten wir uns lieber freuen, als es zu hinterfragen.“
Mit diesen Worten legte er sich schlafen und auch Tado fielen bald die Augen zu.
„Aufstehen!“ Das Geschrei und der vorangegangene Knall waren so laut, dass Tado und Spiffi regelrecht aus den Betten geschleudert wurden.
Regan hatte die Tür aufgeschlagen und ihnen dieses eine Wort an die Köpfe geklatscht.
„Der König erwartet euch!“ Und damit verschwand der Goblin auch schon wieder, und ließ die verdutzten Gefährten zurück.
Diese standen jedoch betont langsam auf und befanden sich erst nach einer geschlagenen Stunde vor der Tür zum Thronsaal.
„Bist du sicher, dass es richtig war, diesen Kaher von Furufara so lange warten zu lassen?“, fragte Spiffi.
„Ja“, antwortete der Angesprochene. „Vielleicht denkt er dann mal daran, seine Untergebenen anzuweisen, uns etwas freundlicher zu behandeln.“
Sie wollten gerade anklopfen, als die Tür aufschwang und den Blick auf einen leicht gereizten, auf und ab gehenden König preisgab.
Als dieser die beiden erblickte, verfinsterte sich seine Miene.
„Vor einer Stunde hatte ich Regan losgeschickt und ihr seid erst jetzt hier?!“
„Guten Morgen“, sagte Tado betont freundlich.
„Was ist an dem gut? Die Trolle...“
„Wie ich sehe, habt ihr schon mit dem Thron angefangen“, unterbrach ihn Spiffi und deutete auf ein halbes Dutzend Goblins, die an einem großen Gesteinsklumpen herumwerkelten. Regan stand daneben und betrachtete das Treiben interessiert.
Kaher war mittlerweile vor Wut rot angelaufen, was durch seine grüne Hautfarbe braun wirkte.
„Hört mir gefälligst zu! Einige Trolle haben unsere einzige Trinkwasserquelle genommen! Sie haben einen ihrer Kameraden zurückgelassen, um sie zu bewachen.“
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