Apolonia schüttelte mit dem Kopf. Vor Schmerz verzog sie erneut das Gesicht. „Vielleicht war es meine Schuld“, antwortete sie leicht abwesend. „Vielleicht habe ich zu viel von ihm verlangt.“ Wieder sah sie zu Diana auf. „Er fragte mich, wie er mir helfen könne. Dass ich ihm sagen solle, was er für mich tun könne. Ich weiß, dass er nicht gerne Bitten entgegennimmt, doch in diesem Fall klang es, als wäre es anders. Ich sprach frei von der Seele heraus, was wir benötigen. Und er versprach mir, zu helfen. Vielleicht habe ich einfach zu viel gefordert. Es tut mir leid.“ Erschöpft schloss sie wieder die Augen.
Diana wusste zunächst gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Es war viel zu absurd, dass Apolonia sich nun auch noch entschuldigte, nach dem, was sie zu erleiden gehabt hatte. „Das darf Euch nicht leidtun“, widersprach sie ihr, als sie die Sprache wiedergefunden hatte. „Alles, was hier geschehen ist und noch geschieht, ist Johns Schuld. Nicht Eure.“
„Warum ist er nach Herrensdorf geritten?“, meldete sich Miriam kühl zu Wort.
„Ich schätze, er will die Gallianen dort vertreiben. Jedenfalls wollte er das wohl noch, als er aufgebrochen ist.“
„Warum sollte er das tun?“, fragte Miriam weiter.
„Ich weiß es nicht.“ Apolonia klang müde. „Er sprach, als wollte er uns helfen.“
Auch die Burgherrin hatte sich offensichtlich in John getäuscht. Zumindest war Diana also nicht die einzige, der dies passieren konnte. „Apolonia, ich denke, es wäre besser für Euch, wenn Ihr Euch nun ein wenig ausruht. Miriam und ich wissen jetzt alles, was wir wissen müssen. Nicht wahr?“, forderte Diana eine Zustimmung von Miriam.
Diese hob die Schultern. „Sie weiß ja ohnehin nichts.“
Ohne länger zu zögern verließ Miriam das Zimmer. Diana hingegen bleib an Apolonias Seite. „Können wir Euch alleine lassen?“
Apolonia nickte. „Es geht mir schon viel besser, danke. Was habt Ihr nun vor?“
„Nun, ich denke, wir machen uns auf den Weg, um John zu holen, damit er den Schaden, den er angerichtet hat, rückgängig machen kann. Und damit er nicht noch mehr anrichtet.“
Nachdenklich befeuchtete Apolonia ihre Lippen. „Was geschah zwischen John und Euch?“
„Das ist kompliziert“, versuchte Diana die Frage abzutun.
„Wirklich? Nun, ich denke, meine Auffassungsgabe ist ganz gut.“
Es war erstaunlich, dass Apolonia in ihrer Situation überhaupt über John und Diana nachdenken konnte.
„Nun, sagen wir es so: Ich habe endlich sein wahres Ich erkannt“, wollte Diana sie abwimmeln. „Jenes, das Ihr schon lange kennt. Und es hat mir nicht gefallen. Es tut mir leid, was er Euch angetan hat.“
Ihre Mundwinkel zuckten leicht. „Was er Euch antat, muss deutlich gravierender gewesen sein.“
„Wie bitte?“
„Nun, es muss schon einiges geschehen sein, dass Ihr so von ihm denkt.“
„Dass ich wie von ihm denke? Er selbst und auch Ihr erzähltet mir, wie unmenschlich er war, bevor er mich kennenlernte.“
Leise lachte Apolonia auf. „Unmenschlich“, wiederholte sie. „Ja, ich denke, dieses Wort habe ich des Öfteren benutzt. Ich würde es wieder nutzen. Seht ihn Euch an. Und dennoch. Ich kenne ihn jetzt etwa zehn Jahre. Und ich habe gesehen, wie John Menschen sterben ließ, die er hätte heilen können. Ich habe gesehen, wie John Menschen für Dinge bestrafte, die es nicht wert waren. Doch ich habe nie gesehen, wie er es ohne Grund getan hätte. Ich habe nie gesehen wie er einen Unschuldigen verletzt hätte. Er weiß es möglicherweise selbst nicht, doch er ist ein guter Mann. Ich dachte, das wisset Ihr.“
„Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich sah, wie er unschuldige Menschen verletzte. Und Ihr saht es auch. Er hat das Mehl vergiftet!“
„Er hat mir das Mehl geschenkt. Das ist das Einzige, was ich weiß. Wer es vergiftete, sah niemand. Es gibt mehr Magier als ihn. Ich sage nicht, dass es Miriam gewesen sein muss, doch die Macht hätte sie sicherlich dazu. Möglicherweise ist das Gift auch natürlicher Art, auch wenn es sich weiß Gott nicht danach anfühlt. Es kann sein, dass John wirklich dahintersteckt, auch wenn keiner von uns seine Motivation dahinter versteht, doch würdet Ihr John lieben, hättet Ihr zumindest daran gezweifelt, dass er es war.“
„Ich liebe ihn nicht mehr.“
„Konntest du schon immer reiten?“, unterbrach Miriam die Stille, die sich in den letzten Minuten zwischen sie gelegt hatte. Diana saß auf der schwarzen Stute, die John ihr am Anfang ihrer Beziehung geschenkt hatte. Es war ein starkes, prächtiges Pferd, einer Königin würdig. Und zugleich war die Stute das einzige Pferd gewesen, das in ganz Aeb hatte aufgetrieben werden können. Alle anderen waren mit den Männern in den Krieg gezogen. Bis auf jenes, das Apolonia für sich beanspruchte und welches sie ihr in Aeb gelassen hatten. Miriam ging zu Fuß neben der Stute her. Sie hatten sich mit dem Reiten abgewechselt, seit sie von Aeb aufgebrochen hatten. Dabei hatte Miriam sich jedoch nur mit großem Respekt auf den Rücken des Pferdes begeben.
„Nein. Jedenfalls nicht gut. Erst John brachte es mir richtig bei“, antwortete Diana.
Ohne sie anzusehen, ging Miriam weiter. „Ah“, erwiderte sie ausdruckslos. „Vielleicht sollte ich ihn auch einmal darum bitten.“
Darauf antwortete Diana nicht. Sie wollte sich keine Gedanken darüber machen, was John in Zukunft tun würde. Es war ihr gleich, ob Miriam weiter Kontakt zu ihm hielt oder nicht. Es gab keinen Grund, aus dem es ihr nicht hätte egal sein können.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte Miriam. „Du bist schon die gesamte Reise so ruhig. Hegst du einen Groll gegen mich?“
„Was? Nein. Ich denke nur viel nach.“
„Worüber?“
Mit einem Schulterzucken wollte Diana die Frage abtun, dann aber erklärte sie: „Apolonia sagte mir, dass es nicht sein muss, dass John das Mehl vergiftet hat.“
Miriam sah zu ihr auf.
„Natürlich muss er es nicht gewesen sein. Doch ich hielt es für am wahrscheinlichsten, wo er das Mehl doch erschaffen hat. Wer, glaubst du, könnte es sonst gewesen sein?“
„Ich weiß nicht. Und ich denke auch nicht, dass wir uns Gedanken darüber machen brauchen. John war es sicherlich. Aus Frust, weil ich ihn weggeschickt habe. Du hast mir schließlich erzählt, dass er gereizt wirkte, als er zu dir kam. Er brauchte keinen Grund, um das Mehl zu vergiften, er wollte sich lediglich abreagieren. Vielleicht wollte er sich selbst beweisen, dass ich keinen Einfluss auf ihn genommen habe.“
„Mag sein.“ Miriam lachte kurz. „Er wollte wirklich nicht, dass du ihn veränderst.“
„Aber das habe ich. Zumindest habe ich seine wahre Natur eine ganze Zeit lang erfolgreich unterdrückt.“
„Hm“, entgegnete die Schülerin Johns und schwieg dann eine Weile. „Es ist auch egal, ob er es war oder nicht. Wenn wir ihn zurück nach Aeb holen, wird er es aufheben können.“
Automatisch wanderte Dianas Blick zu ihrer Satteltasche, in welcher sie das radioaktive Uran aufbewahrte. „Ja“, antwortete sie leise, „das wird er noch können.“ Sie räusperte sich. „Wenn er denn bereit dazu ist. Wer weiß schon, was in ihm vorgeht.“
„Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir Herrensdorf erreichen“, wechselte Miriam das Thema. „Vielleicht noch eine Stunde. Eher weniger.“
Das flaue Gefühl in Dianas Magengegend intensivierte sich. „Das habe ich mir gedacht.“ Sie musterte nicht zum ersten Mal die Umgebung. Schon seit Stunden befanden sie sich in einem Wald. Dichtes Laub bedeckte die Baumkronen. Am Wegesrand wuchsen grüne Büsche und Sträucher. Überall boten sich tausende Möglichkeiten für Angreifer, sich zu verstecken. Diana sah schon bildlich vor sich, wie eine Schar blutrünstiger Gallianen auf den Weg sprang, um Miriam und sie zu berauben. Oder um Schlimmeres mit ihnen zu tun.
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