„Hier stimmt doch etwas nicht“, sagte einer der Kameraden. Klaus war nicht der Hellste und sogar ihm fiel auf, dass da was faul war.
„Ich werde versuchen, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Ihr bleibt hier und wartet auf mich. Verhaltet euch ruhig und macht keinen Ärger. Polizei können wir jetzt nicht brauchen. Es reicht, dass die anderen verhaftet wurden. Ihr habt mich verstanden?“
„Keine Sorge, Boss.“
Charly Eckmann fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und setzte seine unschuldigste Miene auf. Niemand sollte ihn mit der Blauen Armee in Verbindung bringen.
Charly Eckmann war nicht die einzige Person, die versuchte, sich den Polizisten zu nähern und an Informationen zu kommen. Dort stand auch ein Mann mittleren Alters, der nichts mit der Siedlung zu tun hatte: Christian Pölz. Geschickt hatte er sich den Befragungen entziehen können. Niemandem war er aufgefallen. Was wusste die Kriminalpolizei? Und warum war sie so schnell hier? Als er die wenigen Sätze der beiden Kommissare, die er gut kannte, aufschnappte, wurde ihm schlecht. Jetzt begann eine Mordermittlung, die er gerne vermieden hätte. Wie hätte er auch trotz der hohen Benzinmenge wissen können, dass die Leiche und der Gürtel nicht komplett verbrannten? Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Leiche Eduardos zu fixieren, da sie immer wieder zur Seite kippte. Wie hätte er ihm sonst in den Mund schießen sollen? Verdammter Mist! Es war Pech, dass die besten Mühldorfer Kommissare vor Ort waren und die Sache in die Hand nahmen. Christian Pölz blieb noch ein paar Minuten stehen und ging dann langsam davon. Er müsste sich eigentlich sicher fühlen. Niemand kannte die Identität des Toten. Und niemand wusste, was ihn mit der Leiche verband. Auch wenn ihm klar war, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass man auf ihn stoßen würde, bekam er es mit der Angst zu tun. Warum hatte er sich auf die ganze Sache überhaupt eingelassen? Er hätte sich nicht von Angela überreden lassen dürfen!
Noch während Leo telefonierte, bemerkte er den Mann. Da er sich nicht mit ihm unterhalten hatte, nahm er an, dass Hans das erledigt hatte und daher kümmerte er sich nicht länger um ihn.
„Wo kommst du her?“, wurde Christian Pölz von seiner Cousine Angela empfangen. Sie war längst zurück und hatte den Mord an Lisbeth bereits verdrängt. Sie hatte sich überlegt, ihren Cousin doch ins Vertrauen zu ziehen, entschied sich dann aber letztendlich doch dagegen. Sie nahm sich vor, die dicke Lisbeth nie mehr zu erwähnen.
„Von der Lohberg-Siedlung.“ Christian Pölz war völlig erschöpft. Das, was er in den letzten beiden Stunden gemacht hatte, war fast unmenschlich.
„Warum? Was wolltest du dort?“
„Ich habe mich darum gekümmert, dass die Leiche verschwindet. Sie ist verbrannt. Die Polizei war vor Ort, sie ermittelt wegen Mordes“, sagte er und setzte sich.
„Wegen Mord? Warum? Wie kommt die Polizei darauf?“
„Sie haben die Gürtelschnalle gesehen, mit der ich Eduardo fixieren musste.“
Angela verstand nicht, was es damit auf sich hatte und es interessierte sie auch nicht. Sie hatte nur verstanden, dass die Polizei wegen Mordes ermittelte und wurde panisch.
„Das war es! Jetzt dauert es nicht mehr lange, und die Polizei verhaftet mich.“ Angela setzte sich und sah ihren Cousin ängstlich an.
„Mach dir keine Sorgen, hörst du? Niemand wird Eduardo identifizieren können, dafür habe ich gesorgt. In den nächsten Tagen verhältst du dich ruhig und gehst nicht raus. Niemand weiß, dass Eduardo hier war. Das stimmt doch, oder?“ Diese Frage brannte ihm auf der Seele. Das war noch ein Unsicherheitsfaktor, den er nicht ausräumen konnte.
„Stimmt. Eduardo ging nicht mit mir aus. Wenn er draußen war, dann nur allein ohne mich.“
„Was ist mit deinen Nachbarn?“
„Ich lebe seit einem halben Jahr allein in dem Haus.“ Es gab Schimmelprobleme, denen auch Angela ausgesetzt war, sie aber nicht weiter störten. Wo sollte sie hin? Und wie sollte sie sich die Miete einer modernen Wohnung leisten? Nein, sie blieb so lange es ging.
„Es gibt wirklich niemanden, der euch beide gesehen hat?“, hakte Christian nach.
„Nein, wenn ich es doch sage! Er ging immer ohne mich aus!“ Angela war erleichtert, dass sie die einzige Zeugin aus dem Weg geräumt hatte. Jetzt gab es wirklich niemanden mehr, der Eduardo mit ihr in Verbindung bringen konnte.
Christian war zufrieden und erleichtert. Warum Eduardo nicht mit ihr rausgehen und etwas unternehmen wollte, war ihm völlig egal. Für ihn war nur wichtig, dass die beiden nicht gemeinsam gesehen wurden.
„Gib mir deinen Laptop.“
„Was willst du damit?“
„Spuren beseitigen, was sonst.“ Er löschte den ganzen Chatverlauf zwischen ihr und Eduardo. Was darin stand, las er nicht, das ging ihn nichts an. „Es ist besser, wenn ich dein Profil komplett lösche.“
„Mach, was du für richtig hältst.“ Angela war überrascht, wie routiniert Christian mit dem Laptop umging. Man merkte gleich, dass der Umgang mit einem Computer für ihn nicht fremd war. Sie war damit noch nicht ganz so vertraut. Viele Zusammenhänge waren ihr nicht klar. Und wenn es Probleme gab, drückte sie so lange auf den Tasten herum, bis alles wieder funktionierte.
Angela saß einfach nur da und sah Christian zu. Die Beruhigungstabletten, die sie genommen hatte, wirkten jetzt endlich.
„Erledigt!“ Christian klappte den Laptop zu und legte ihn zur Seite. „Du musst den Mann vergessen, hörst du? Es hat ihn nie gegeben!“
Angela nickte und sah ihren Cousin an.
„Du brauchst keine Angst zu haben, der Alptraum ist bald vorbei. Niemand wird auf dich oder gar auf mich kommen. Eduardo hat nie existiert! Hast du mich verstanden?“
Wieder nickte sie und sah in den alten Kamin ihrer schäbigen Wohnung. Das Feuer, mit dem sie vorhin Eduards wenige Hinterlassenschaften verbrannte, loderte immer noch.
„Kann ich dich allein lassen? Versprichst du mir, dass du keinen Unsinn machst?“
„Geh nur, Christian, mach dir um mich keine Sorgen. Ich danke dir. Ich werde ewig in deiner Schuld stehen.“ Mehr konnte sie nicht sagen, die Tränen kullerten über ihr Gesicht.
„Braves Mädchen!“ Er gab ihr einen Kuss und verschwand. Draußen atmete er tief durch. Was war das nur für ein schrecklicher Alptraum? Was hatte er nur getan? Ob er an alles gedacht hatte?
Die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei waren völlig überfüllt. Es dauerte nicht lange, und die erste Toilette war verstopft. Ein unerträglicher Gestank machte sich breit, der durch die Gänge zog. Die Stimmung unter den Festgenommenen war denkbar schlecht. Einheimische, einfache Partybesucher und Mitglieder der Blauen Armee waren bunt gemischt. Mittendrin saß Diana Nußbaumer. Sie war gespannt, wie die Kollegen darauf reagierten, wenn sie ihren Fehler erkannten. Aber noch war es nicht so weit. Wie lange sie hier noch sitzen und warten musste, stand in den Sternen. Als Kampfsportlerin hatte sie gelernt, ruhig zu bleiben, was ihr jetzt entgegenkam. Es gab Pöbeleien und es kam nicht selten vor, dass Fäuste flogen. Diana war darauf gefasst, dass man ihr zu nahe kam, was aber zum Glück nicht geschah. Die Uniformierten brachten keine Ruhe in die Arrestzellen. Das Geschrei und die Übergriffe wurden von Stunde zu Stunde schlimmer.
Читать дальше