„Genau die Stelle, Bernd, Genau die“, nickt Kalle, „der Traktorfahrer musste beim Maisernten austreten. Und als es so komisch hinter den Brennnesseln plätscherte, in die er reinpinkelte, hat er nachgeschaut und gemerkt, dass er statt auf ein paar helle große Steine auf eine Frauenleiche pieselte, die dahinter lag. Weiter hinten haben deine Kollegen von der Spusi später noch ein halb ausgegrabenes älteres Gerippe entdeckt. Und es hing nur ein einzelner silberner Hänger am Ohr der neuen Leiche, sonst war die splitterfasernackt. Daneben steckte ein Spaten im Boden. – Und daran pappte ein kurzes Gedicht. – Wäre doch was für Sie, Schneider.“
„Deshalb parkten heute Nachmittag die Kollegen da oben an der Straße und gingen zu den Büschen“, schüttelt Bernd den Kopf und setzt erschüttert dazu: „Aber warum hat der Mach den Franz verhaftet?“
„Zwei Indizien“, seufzt Kalle, „seine Fingerabdrücke an seinem Stock und die Silbernägel vom Stock in der Frauenleiche.“
„Kein Beweis, solange er das Alibi nicht überprüft hat“, lässt Bernd raus, „der Stock war schließlich seit dem Frühjahr weg. Und zum anderen?“
„Zum anderen“, seufzt Kalle, „ist die ermordete Frau Franz von Unruhs Putzfrau. Mit der hatte er vor kurzem einen heftigen Streit. Die Putzfrau hatte war noch von seiner seligen Frau eingestellt worden. Franz hat sie aus Pietät behalten und über Vieles hinweggesehen, hat er erzählt. Vor einer Woche wurde es ihm aber zu bunt, als sie das Treppenhaus, die Fenster wie die Treppen, mit nur einem halben Eimer Wasser geputzt hat. Einem Fünfliter-Eimerchen wohlgemerkt. Der Dreck war nur verteilt, statt entfernt. So hat er es mir erzählt. Da habe er den Haus- und Wohnungsschlüssel zurück verlangt, und den habe die nicht mal dabei gehabt. Und dann habe er ihr beim Weggehen nachgerufen, dass er sie schmutziges Weib umbringen würde, falls sie sich noch einmal blicken ließe, außer, um die Schlüssel abzuliefern. Und die könne sie in den Briefkasten werfen. Das wiederum hat ein Mieter aus dem Haus dem Mach erzählt. Und der hat den Franz verhaftet, weil dieser wohl den Drohungen die Tat habe folgen lassen. – Ich kenne den Franz. Der tut keiner Fliege was zu Leide. Eher hätte ihm nach dem Rauswurf die Putzfrau wohl was angetan.“
„Und was das schmutzige Weib, sonst so getrieben hat, außer schlecht zu putzen, ist wohl auch noch gar nicht untersucht?“, hakt Bernd nach.
„Genau“, meint Egon Schneider, „Kollege Nikolaus Mach ist der Mann der schnellen Irrtümer und bequemen Lösungen. – Ich bin froh, dass ich mit ihm nicht mehr zusammenarbeiten muss. Die paar Wochen haben mir gereicht. Soll sich doch mein Nachfolger Borräus mit ihm rumärgern. – Wo ist übrigens das Gedicht geblieben?“
„Das kurze Gedicht hat der Machmal eingetütet“, berichtet Kalle, „Hab im Büro einen Blick drauf werfen können. Schreibmaschine. So etwas besitzt der Franz gar nicht mehr! Der arbeitet mit Computer. Das Gedicht ist ganz kurz. Deshalb habe ich es mir auch gemerkt.“
Hast zu lange rumgehurt,
kann nicht länger warten,
alte Hexenausgeburt,
dich trifft nun der Spaten.
„Hübscher Vierzeiler“, meint Egon Schneider, „gelungen bis auf den nicht ganz reinen Reim warten auf Spaten .“
„Aber grauslich“, setzt Bernd hinzu, „und ob es der Spaten war oder der Wanderstock, der die ‚Hexenausgeburt’ am Kopf tödlich getroffen hat, wird wohl der Gerichtsmediziner sagen. Die Hexenausgeburt erklärt aber das Pfählen. Und der Zettel besagt, dass es ein kaltblütig geplanter Mord war. Den Gedichtzettel muss der Täter doch wohl schon zum Tatort mitgebracht haben.“
„Und es ist eine Menge Hass im Spiel“, ergänzt Schneider, oder Neid …!“
„Das hilft dem Franz im Augenblick wenig“, legt Kalle enttäuscht nach, „weil er der Putzfrau das Entsprechende doch nachgeschrien hat. Übrigens soll an dem Spaten tatsächlich Blut geklebt haben.“
„Wie sieht eigentlich der Ohrhänger an der Putzfrau aus, hast du den gesehen?“, interessiert sich Bernd.
Kalles Aussage: Habe das Ding nur von der Ferne gesehen. Irgendwas Silbernes hilft Bernd nicht weiter. Auf den seinerzeit unter dem Hundegerippe gefundenen Ohrhänger passt nur Silber. Dennoch macht es Bernd neugierig. Es wird ihm klar, dass der Fall eine ganz andere Dimension haben könnte, falls der Anhänger ….
„Hm“, meint er darum, „seit wann ist der Franz von Unruh eigentlich Witwer? Habe ich da was verpasst? – Der zog doch manchmal mit so einer hübschen Blonden rum, wenn ich mich nicht irre!“
„Dazu kann ich was sagen“, reagiert Schneider, „das war im Jahr, bevor Sie nach Überlingen kamen, Breunecke. Zumindest die offizielle Tot-Erklärung war in dem Jahr davor. Also vor zwölf Jahren wurde er Witwer. Franz von Unruh war zur Zeit des Verschwindens seiner Frau gerade mit der Cousine seiner Frau auf Verkaufstour im Schwarzwald. Die Cousine ist die hübsche Blonde. Die Geschäfte waren etwas über Kaffeefahrt-Niveau angesiedelt, glaube ich. Jedenfalls konnte die Cousine sein Alibi bestätigen und ist allem Anschein nach heute noch manchmal bei ihm. Frau von Unruh wollte den Aussagen nach zu ihrer Schwester nach Winterthur in die Schweiz fahren, ist dort aber nie angekommen. Weil sie wegen Depressionen behandelt wurde, haben wir ein Jahr nach der Vermisstenmeldung schließlich Suizid angenommen und jede Suche eingestellt, obwohl ein Abschiedsbrief fehlte. Danach kamen die offizielle Tot-Erklärung und der Erbschein für den Herrn von Unruh. Dazu noch das Erbe der Schwägerin in der Schweiz. Die war nämlich kurz nach ihrer Schwester gestorben und war auch eine Depressive und in Behandlung. Familienübel. Also wohl auch Selbstmord. Der Franz von Unruh hat den Tod seiner Frau nie ganz verwunden und hält sich seither mit seinem Power-Walking fit, wenn er zwischen seinen Verkaufstouren zu Hause ist. Man kann ihn dann von der Alten Owinger Straße über den Lugenhof und den Brachenreuter Wald seine Schleife rennen sehen, manchmal bis Höllwiesen hin. Den komischen Knotenstock trägt er dabei wie die olympischen Springer der Antike abwechselnd links und rechts. Manche Leute wollen ihn auch in Stock-Vorhalte wie mit dem Karabiner bei der Bundeswehr hüpfen gesehen haben oder bei Beugeübungen mit dem Stock auf dem Rücken. - Mit dem Erbe seiner Frau und der Schwägerin hat er damals alle vier Wohnungen in dem Haus an der alten Owinger Straße gekauft und die anderen drei vermietet. Damit hat er sich als Vierzigjähriger fast ganz zur Ruhe gesetzt.“
„Das ist doch alles harmlos, Chef“, wirft Bernd ein, „was soll da etwa verdächtig sein?“
Und Egon Schneider wiegt den Kopf: „Nun frage ich mich, ob ich damals etwas übersehen habe, Kollege Breunecke. Ärgerlich, dass ich damals nicht daran gedacht habe.“
„Und woran haben Sie nicht gedacht, Chef?“, hakt Bernd nach. „Ich habe in der Schweiz wohl noch nicht genau genug nachgeforscht, wie das beim Tod der Schwägerin des Unruh Franz zugegangen ist.“, denkt Schneider laut nach. „Nur: bitte kein Wort davon zum Mach! Der hält das für ein weiteres Indiz, das gegen den Franz spricht. Und über den Franz habe ich damals nur gehört, dass er sich immer liebevoll um seine zehn Jahre ältere Frau gekümmert habe. Einen anderen Eindruck habe ich bei den vielen Befragungen damals auch nicht bekommen. Das Testament seiner Frau wurde uns von einem Notar aus Winterthur zugestellt. Das war auch in Ordnung. Dass der Franz jemals so ausfallend geworden wäre wie gegenüber der Putzfrau, ist mir völlig neu.“
„Dann empfiehlt es sich doch, dem nachzugehen, was die Putzfrau getrieben hat. So etwas wie rum gehurtkann doch wohl nur vom gehörnten Ehemann oder einem abgelegten Freund stammen“, meint Bernd, „und ein harmloser Wandersmann erschlägt selten eine Frau und rammt ihr danach noch den Spazierstock durchs Herz, weil sie eine Hexe ist.“
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