Jetzt klingelte es bei Steiner. Es waren gewiss nicht nur die an der anderen Seite des Bettes aufgewühlten Decken gewesen, die die Mink darauf gebracht hatten, dass er die Nacht unweit neben ihr gelegen hatte. Es waren die Matratze und die Bettwäsche auf dem Boden gewesen, die er nicht angerührt hatte. Das hatte sie natürlich am Morgen festgestellt und sich ihren eigenen Reim darauf gemacht.
Blieb nur die Frage, was sie jetzt mal wieder mit ihrer Show bezweckte. Vielleicht ein kleiner Erpressungsversuch, vielleicht ... Nein, das bestimmt nicht. Er war um die fünfzehn Jahre älter als sie ...
„Was wollen Sie, Frau Mink?“ sprach er nun wesentlich ruhiger und wandte seinen Blick von ihr ab.
„Ich will nur ich sein dürfen und von Ihnen für voll genommen werden.“
„Ach nee“, knurrte Harald. „Und wie soll das Ihrer Meinung nach aussehen?“
„Akzeptieren Sie doch einfach, dass ich in meiner Freizeit so bin, wie ich bin. Im Dienst richte ich mich ja auch nach Ihnen. Aber ich möchte auch im Dienst nicht beleidigt werden, ich möchte von Ihnen lernen.“
Er sah sie wieder an und bewunderte ihre Brüste. Sie waren nicht üppig, aber fest, und vor allem diese Nippel, die so einladend hervorstanden, beeindruckten ihn. Er überwandt sich, etwas von sich selber preiszugeben, das er bislang gegenüber anderen für sich behalten hatte.
„Hören Sie, Monika“ - er hatte sie noch nie beim Vornamen genannt, und dass er es jetzt getan hatte, fiel ihr sofort auf und zeigte ihr, wie wichtig das sein sollte, was jetzt folgen würde - „ich habe nichts gegen Sie persönlich. Sie verfügen im Grunde über alle Attribute, über die eine Kriminalistin verfügen sollte. Sie sind intelligent, schnell von Begriff, kennen die Spielregeln im Umgang mit Menschen aller Art, sind fleißig, manchmal sogar hartnäckig und vor allem befähigt zu kombinieren. Was Ihnen fehlt, ist die Erfahrung und der richtige Feinschliff. Vergessen Sie darüber hinaus nie, dass Sie eine Frau sind ...“
„Was haben Sie gegen Frauen?“ empörte sich Monika.
Er lächelte. „Werte Kollegin, der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist nicht ausschließlich eine Frage der Anatomie, sondern auch eine des Wesens. Ich nenne jetzt nur die essenzieleren Eckpunkte. Männer konzentrieren sich aufs Sachliche und sind in demjenigen, was sie tun, geradlinig. Daraus resultiert, dass Männer unter sich meistens sehr direkt kommunizieren und auch gegenüber Frauen ziemlich direkt sind.
Frauen hingegen haben die Angewohnheit, alles mit einem Hauch der Verschleierung zu umhüllen. Sie verbergen ihre wahren Mitteilungen hinter künstlichen Fassaden und finden oder erfinden laufend Ausreden. Sie haben die Tage, sie haben die Monate, sie haben die Jahre, sie haben Migräne, sie haben keine Lust. Bekloppte Männer, die es sich nicht leisten können, kaufen sich alle drei Jahre einen protzigen Wagen. Bekloppte Frauen, die es sich nicht leisten können, kaufen sich Jahr ein Jahr aus massenhaft Schuhe, Handtaschen, Kleider, Kosmetikartikel und solchen Plunders mehr.
Mit einem protzigen Auto kann man sich zu jeder beliebigen Zeit von A nach B bewegen, selbst wenn es eine alte Schrottkiste auch täte. Hundert Paar Schuhe, die sich zudem laufend vermehren, kann man nie verschleißen, und sie haben auch keinen Nutzen, am Ende nicht einmal einen ästhetischen. Mit anderen Worten, Männer sind trotz gewisser Macken rational veranlagt, Frauen hingegen sind auch ohne allzu viele Macken emotional veranlagt.
„Mag sein, dass Sie solche Erfahrungen gemacht haben, Chef“, argumentierte Monika gegen. „Ich aber kaufe keine hunderte Handtaschen, Schuhe und Parfümfläschchen. Ich denke, Sie sind wohl immer an die Falsche geraten. Ich jedenfalls gehe sehr sparsam mit dem um, was ich habe. Ich achte nicht ausschließlich auf meine Figur der Männer wegen, sondern hauptsächlich damit mir meine Klamotten passen, bis sie verschlissen sind.“
Steiner brauchte einige Augenblicke, um darauf zu reagieren. „Vielleicht haben Sie ja Recht. Vielleicht bin ich ja wirklich eine Spur zu konservativ oder zu verkorkst.“ Und nun kam etwas, was wohl auch noch niemand aus seinem Munde vernommen haben dürfte. „Man sollte immer bereit sein, an sich selber zu arbeiten. Nur so kann man sich als Mensch und fachlich verbessern. Das gilt auch für mich.“
Haralds Handy machte sich bemerkbar und bereitete dieser für Monika äußerst aufschlussreichen Debatte ein Ende.
Alain Noel ging verärgert hektisch in seinem Büro im Brüsseler Stadtteil Ixelles auf und ab. In einem Sessel saß ein nicht gerade besonders wacher Serge Charlier, in einem anderen ein leicht irritierter Luc Korthals.
„Kann mir das mal jemand erklären?“ brüllte Noel. „Was soll das alles bedeuten? Am Anfang hatte ich nur geglaubt, es handele sich um einen Zufall, einen glücklichen Zufall für uns, dass dieser Wagner tot ist. Aber das, was ich heute Morgen in den Internetnachrichten gelesen habe, lässt sich ja wohl kaum noch als Zufall betiteln. Oder hat jemand von euch eine Ahnung, was da gelaufen ist?“
Charlier, obwohl wegen Noels frühen Anrufs aus seinem viel zu kurzen Schlaf gerissen worden, konnte dem Ganzen immer noch etwas Positives abgewinnen.
„Du siehst das alles viel zu verkrampft, Alain. Ich denke doch, ein jeder von uns wird für die beiden Tatzeiten sein individuelles Alibi haben. Nun, wo beide von der Bildfläche verschwunden sind, steht uns ja gar nichts mehr im Wege, die Sache durchzuziehen.“
Noel blieb vor Charliers Sessel stehen und schaute nahezu verächtlich auf ihn hinunter. „Du hast wohl eine Meise, Serge. Warum glaubst du denn, haben die Bullen uns gefragt, ob wir Wagner kennen oder gar mehr mit ihm zu tun gehabt zu haben? Sie haben einen Hinweis, dass er sich mit uns beschäftigt hat. Das ist das gefundene Fressen für diesen Dumont. Und die Luxemburger, was machen die wohl jetzt? Sie stellen natürlich allerhand Überlegungen an, wieso man Wagner und Kranz umgebracht haben könnte. Alibi hin, Alibi her, wir haben ein triftiges Motiv, und daran werden manche dieser Schnüffler uns aufzuhängen versuchen. Dabei war es in letzter Zeit endlich mal etwas ruhiger um uns geworden.“
Korthals teilte Charliers Ansicht zum Verlauf der Dinge. „Liegen einmal unsere Alibis vor, können die doch gar nichts gegen uns ausrichten.“
Wenn Blicke töten könnten, hätte sich Korthals unter denen Noels jetzt in nichts aufgelöst.
„Wie naiv muss man sein?! Ich sollte mich am Dienstag mit Weißler treffen. Ich weiß schon, warum ich den Termin abgesagt habe. Und überhaupt, wie sicher können wir denn sein, dass keiner aus unseren Reihen hinter diesen Morden steckt?“
„Wie meinst du das?“ fragte Charlier aufgescheucht nach.
„Na, du bist der Richtige, das zu fragen. Du bist doch besser mit den Problemen De Wittes und der Gaston-Brüder vertraut. De Witte steuert auf einen astreinen Bankrott zu, den Gaston-Brüdern sitzt die Spezialinspektion der Steuerverwaltung im Nacken. In solchen Situationen kann man mal leicht auf den Gedanken kommen, sich auf alternative Weise sanieren zu wollen.“
Korthals war heilfroh, dass Alain ihn nicht ansah, während er das sagte. Sein Bauunternehmen verkehrte zwar nicht in finanziellen Nöten, aber auch er hatte hinter dem Rücken des großen Chefs sein eigenes Süppchen gekocht.
Charlier entgegnete auf Noels Vorhaltungen: „Wenn De Witte beinahe pleite ist und die Gastons unter die Räder des Finanzamtes zu geraten drohen, werden sie doch wohl kaum in der Lage sein, das Wagnerprojekt zu übernehmen. Was ich über deren Probleme weiß, besagt, dass sie sich vielleicht noch gerade so wieder fangen werden.“
Noel schnaufte nervös. „Mir gegenüber musst du die Wahrheit sagen, denn es geht ums Ganze. Notfalls müssen wir diese Typen abschießen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“
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