„Sie müssen entschuldigen, Monsieur le Commissaire, der Nachwuchs in unserem Metier ist nicht mehr vom selben Schlage wie unsereiner. Greenhorns eben, die mit Computerspielen groß geworden sind.“
Die Mink empfand diese Einlage ihres Chefs als besonders entwürdigend. Sie nahm sich vor, den Rest des Abends zu schweigen, jedenfalls solange Rollinger anwesend war. Und Rollinger bedachte sie nach Haralds Darlegungen mit einem milden väterlichen Lächeln, was ihr nur bestätigte, wie voll und ganz er mit den Ausführungen ihres Chefs über jüngere Polizeibeamte und insbesondere in Bezug auf sie selber einverstanden war.
Steiner griff das Thema Manuela Kranz erneut auf. „In der Tat müssen wir davon ausgehen, dass die Frau Kranz sich in den letzten Monaten oder gar Jahren irgendwo hier im Lande oder im Grenzraum aufgehalten haben wird. Sie muss ja irgendwo gewohnt und ihr Auto abgestellt haben. So etwas muss man doch herausfinden können. Zudem scheint sie ja ein Handy der Firma Wagner benutzt zu haben, von dem sich ein Bewegungsprofil erstellen lassen müsste.“
„Da haben Sie wohl wahrscheinlich Recht“, stimmte Rollinger zu. „Da es sich aber um ein Handy mit einem deutschen Anschluss handelt, ist es auch Sache der deutschen Polizei, dieses Bewegungsprofil zu erstellen.“
„Gewiss, gewiss.“ Steiner schaute auf seine Armbanduhr. Es war 20.06 Uhr. „Was halten Sie davon, den hiesigen Tageszeitungen noch vor Redaktionsschluss mitzuteilen, es bestehe der begründete Verdacht, die Brandleiche aus dem Steinbruch könnte eine Frau Manuela Kranz aus Bochum sein, und man bitte die Bevölkerung daher um Hinweise?“
„Nicht schlecht, der Gedanke“, gab der Commissaire zu. „Sollte es sich bei der Toten nicht um Frau Kranz handeln, brauchen wir trotzdem nicht zu befürchten, dass sie sich bei uns meldet, um sich darüber zu beschweren, wir hätten ihren guten Ruf irgendwie beschädigt. Sie wird sich tunlichst hüten, schließlich wird sie per Haftbefehl gesucht.“
Steiner bedachte sich noch einmal. „Aber vielleicht ist diese Idee doch nicht so gut. Der Täter könnte angesichts unseres Wissenstandes kalte Füße bekommen.“
„Der wird doch garantiert damit gerechnet haben, dass wir früher oder später auf die Identität der Leiche kommen werden“, widersprach Rollinger. „Dann sind wir eben etwas früher darauf gekommen.“
„Auch wieder wahr. Was können wir sonst noch unternehmen?“
„Sagen Sie es mir.“ Offenbar hatte sich der luxemburgische Kollege damit abgefunden, dass Steiner in Mordsachen die größere Routine hatte.
„Fühlen Sie Weißler auf den Zahn. Er muss die Kranz sehr gut kennen. Wir unsererseits werden uns um Siggi Jasper kümmern. Ich gedenke, auch die belgischen Investoren aufzusuchen, halte das aber nicht für besonders vorrangig. Wagners Abstecher in der vergangenen Woche bei ihnen wird wohl mehr der Beschwichtigung wegen des Baubeginns gedient haben.“
Rollinger war gegangen, Monika räumte den Tisch ab und begab sich ins Innere, um die Gläser zu spülen, brachte Harald aber noch unaufgefordert eine neue Flasche Pils und ein frisches Glas auf die Veranda. Der war in Gedanken über den Fall vertieft. Monika bereitete derweil wieder sein Nachtlager vor, duschte sich und ging zu Bett. Harald holte sich noch im Laufe der nächsten zwei Stunden zwei weitere Flaschen Bier aus dem Kühlschrank in der Küche.
Kurz vor Mitternacht überkam ihn dann die Müdigkeit, und auch er wollte sich zur Ruhe begeben. Er sah auf das sehr ordentlich aufgemachte Schlaflager am Boden neben dem Bett und erinnerte sich an die Schmerzen, die er am Morgen verspürt hatte, als er aufgewacht war. Noch so eine Nacht?
Sein Blick schweifte zur schlummernden Mink rüber. Gestern Nacht hatte sie sich offenbar während ihres Schlafs nicht bewegt, und auch jetzt schien sie sich für den Rest der Nacht mit einem äußeren Drittel des breiten Bettes zu begnügen. Was sollte es ihr und ihm da ausmachen, wenn er das andere äußere Drittel des Bettes in Beschlag nahm?
Vielleicht hatte die Mink sich ja dieses Mal nicht ganz entblößt ins Bett gelegt, dachte er. Wenn wohl, so maß das mittlere freie Drittel des Ruhemöbels immer noch so zwischen 60 und 80 Zentimeter. Und wenn er es sich unbedingt vornahm, würde er auch morgen wieder garantiert vor der kleinen Schnepfe aufstehen und sie es vielleicht nicht einmal mitbekommen haben, dass er überhaupt im selben Bett wie sie geschlafen hatte. Obwohl, hatte sie nicht selber gesagt, dass ihr das nichts ausmachen würde? Ihm aber wohl, denn er war ja immerhin ihr Vorgesetzter.
Tatsächlich wachte Steiner am Donnerstagmorgen bereits vor sechs Uhr und vor Monika Mink auf. Er sah zu ihr rüber. Auch in dieser Nacht hatte sie sich kaum bewegt, so schien es jedenfalls, wenn er ihre Liegeposition vom Vorabend richtig in Erinnerung hatte. Allerdings musste sich Harald doch im Schlaf bewegt haben, denn er hatte den Großteil der Decke und der Laken auf seine Seite gezogen, oder aber die Mink hatte sie zu ihm rübergedrückt. Denn nun lag sie unbedeckt und unbekleidet da.
Auf seinem Ellebogen abstützend richtete er seinen Oberkörper auf. Er betrachtete sie mit gemischten Gefühlen. Da war zunächst der verächtlichere Gedanke: Pfui, eine Frau! Dieser Gedanke wurde aber binnen wenigen Sekunden von einem ganz anderen Gedanken überlagert: Eine schöne Frau. Dieser Gedanke wurde von einem weiteren Empfinden abgelöst: Eine sinnliche, schöne Frau.
Er ertappte sich selber gerade dabei, sie zärtlich anfassen zu wollen, als ihm wieder schlagartig bewusst wurde, wie hier die Verhältnisse zu sein hatten. Harald war von einem Moment zum anderen wieder ganz der Harald Steiner, wie man ihn gewohnt war.
Er stand auf, ging zur Küchenzeile, setzte Kaffee auf, suchte sich Klamotten aus dem Schrank und ging ins Bad. Als er zwanzig Minuten später wieder herauskam, lag Monika immer noch unbedeckt im Bett. Er goss den fertigen Kaffee in eine Thermoskanne, entnahm einem Oberschrank einen Kaffeebecher und begab sich hinaus auf die Terrasse. Wieder zwanzig Minuten später vernahm er von drinnen, dass die Mink wohl aufgestanden und ins Bad gegangen sein musste. Die Sonne prankte schon in ihrer vollen Pracht am Himmel.
Eine Viertelstunde später erschien Monika mit einer Kaffeetasse auf der vorderen Terrasse.
„Morgen, Chef“, sagte sie und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Wieder ein schöner Tag heute, nicht?“
Er hatte sich noch nicht zu ihr umgedreht und entgegnete: „Morgen, Mink. Ja, ein schöner Tag.“
Sie ließ sich im anderen Stuhl nieder. „Wollen Sie frühstücken? Haben Sie einen besonderen Wunsch?“
„Nein, noch habe ich nicht gefrühstückt. Ansonsten bin ich nicht sehr anspruchsvoll, was das Morgenmahl angeht.“ Er sah sie immer noch nicht an.
Sie legte demonstrativ und provokativ ihre Füße auf den Tisch. Jetzt wendete er seinen Kopf doch um 90° und bekam einen Schreck. Monika Mink lag komplett nackt mit übereinander geschlagenen Beinen in ihrem Liegestuhl.
„Mink!“ schrie er sie entsetzt an. „Aber nicht so hier draußen!“
Sie erwiderte gelassen mit geschlossenen Augen: „Computer spielende Greenhorns machen das nun einmal so. So wie sich züchtige Chefs nun einmal nicht neben nackten, Computer spielenden Greenhorns ins Bett legen.“
Einen Teil des Seitenhiebs hatte Steiner sofort erfasst, einen Teil noch nicht. „Wenn das eine Protestkundgebung gegen das sein soll, was ich gestern in Bezug auf Ihre noch nicht völlige fachliche Reife gesagt habe, will ich mich gerne bei Ihnen für meine Wortwahl entschuldigen, Frau Mink. Aber das erlaubt Ihnen noch lange nicht, sich hier draußen, wo Sie jeder sehen kann, im Evakostüm zu präsentieren. Holen Sie sich wenigstens eine Decke von drinnen.“
„Na, es hat Ihnen doch auch nichts ausgemacht, sich neben mir ins Bett zu legen, obwohl Sie das partout nicht tun wollten.“
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