„Ach, lass’ mich mit deinem Geschwätz in Ruhe, verdrück’ dich, du alter Sack, ich hab’ zu tun“ erwiderte Dieter und schlug sich ins Dickicht.
Als er die Axt an den Baum ansetzte prallte diese zurück und hinterließ keinerlei Wirkung, wütend holte Dieter abermals aus, das Ergebnis war das gleiche. Mit der Axt öffnete er erst einmal ein Bier, biss in einen Knacker und versuchte es erneut. Wieder nichts, er trank das Bier aus und schimpfte vor sich hin, dann legte er alle Kraft in den nächsten Schlag, rutschte aber ab und die Axt fuhr ihm in den Arm, zwar nicht tief, aber recht schmerzhaft. Er brüllte auf und meinte aus den Augenwinkel heraus eine graue Gestalt hinter den Bäumen zu erkennen, die sich die Hände rieb und dann verschwand. Dieter band sich ein Tuch um die Wunde und wankte heim. Der Vater schaute sich die Verletzung an, säuberte sie mit Jod (so dass Dieter wieder aufbrüllte) und legte einen frischen Verband an.
„Du Pfeife, hör’ auf zu flennen, das ist kein Fall für den Arzt, in drei Tagen ist wieder alles in Ordnung“ belehrte er seinen Sohn „morgen geht Detlef in den Wald, vielleicht kann der das besser als du, du Versager.“
Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte, graue Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig:
„Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege!“ ließ das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, daß er mußte nach Haus getragen werden. (7)
Auch Detlef begegnete dem offensichtlich verwirrten Heimbewohner (in der Einrichtung war für 82 Prozent der Klienten die Diagnose Alzheimer gestellt worden) fast an der gleichen Stelle wie sein Bruder tags zuvor und der alte Mann trug wieder sein Begehr nach Essen vor.
„Verpiss’ dich, du Vogelscheuche“ sagte Detlef genervt „beschwer’ dich beim Heimbeirat oder sonst wo, ich hab’ nichts abzugeben. Was treibst du dich übrigens hier draußen rum, musst du nicht in deinem Heim sein?“
„Eigentlich schon“ erwiderte das Männchen verschmitzt „aber ich habe meine Mittel und Wege da raus zu kommen, verstehst du?“
„Willst du damit sagen, dass du regelmäßig abhaust“ fragte Detlef ungläubig.
„Na klar, ich bin schon mal bis in die Nachbarstadt gekommen. Was denkst du, was das für einen Eindruck bei den Mädels im Heim gemacht hat als die Polizei mich zurück gebracht hat, sie nennen mich dort Copperfield.“
„Der Zauberer“ staunte Detlef „du bist sozusagen der Ausbrecherkönig?“
„Genau, und jetzt gib mir was zu essen.“
„Kannst du dir abschminken, ich hab’ noch was vor“ beendete Detlef das Gespräch und verschwand im Wald, wo er sich erst einmal stärkte und ein Bier trank.
Tatendurstig schlug er auf den Baum ein aber nicht der geringste Schnitzer zeigte sich in der Rinde.
Er hämmerte mehrfach auf den Baum ein, plötzlich prallte das Beil zurück und grub sich in seinen linken Fuß. Schmerzgeplagt sprang er auf und nieder und zog das Werkzeug heraus, um die Wunde zu verbinden. Als er mühsam nach Hause humpelte glaubte er eine verschrumpelte Gestalt hinter den Bäumen zu sehen, die sich Richtung Heim zurückzog.
Sein Vater schüttelte nur mit dem Kopf und warf ihm Schimpfausdrücke an den Kopf, dann befahl er Peter am nächsten Tag in den Wald zu gehen. Ihm packte er einen Kanten altes Brot und schon mehrfach aufgekochten Tee in den Rucksack und gab ihm zu verstehen, dass er daran zweifelte, dass er, als der Trottel der Familie, mehr Erfolg als seine Brüder haben würde.
Da sagte der dritte: „Vater, laß mich einmal hinausgehen und Holz hauen !“ Antwortete der Vater: „Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, laß dich davon, du verstehst nichts davon.“ Der dritte aber bat so lange, bis er endlich sagte: „Geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden.“ Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saures Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte, graue Männchen, grüßte ihn und sprach: „Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig.“ Antwortet der Junge: „ Ich habe nur Aschenkuchen und saures Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen.“ Da setzten sie sich, und als der Junge seinen Aschenkuchen herausholte, so war’s ein feiner Eierkuchen, und das saure Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: „Weil du ein gutes Herz hast und von dem deinigen gerne mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden.“ Darauf nahm das Männlein Abschied. (8)
Der scheinbar demenzkranke Copperfield schien über eine Art inneres Radar zu verfügen, denn als Peter gerade in den Wald abbiegen wollte, war er wieder an Ort und Stelle und bat um Nahrung.
„Selbstverständlich mein Herr“ sagte Peter höflich „Sie müssen allerdings mit hartem Brot und Tee vorlieb nehmen, wenn es Ihnen recht ist, für mich bleibt noch genug übrig.“
„Du hast ein gutes Herz, mein Junge“ antwortete der Alte freudig „das will ich dir vergelten. Folge den Bäumen, die mit einem Kreuz markiert sind, dann wirst du einen finden der schon ganz kahl ist, schlage ihn und schaue in seinem hohlen Inneren nach.“
„Aber der nützt mir nichts“ erwiderte Peter „wir brauchen Brennholz und dafür ist ein hohler Baum wohl kaum geeignet.“
„Lass’ dich überraschen, du wirst erstaunt sein“ sagte das Männchen noch und verschwand.
Peter ging kopfschüttelnd in den Wald und sah das erste Kreuz, weitere markierten den Weg und dann stand er vor dem kahlen Baum. Er schlug einmal kräftig zu und dieser fiel knirschend um. Als er ihn näher betrachtete sah er, dass der Stamm hohl war und erkannte, dass im seinem Inneren etwas golden funkelte.
Man sollte sich selbst so nehmen, wie man ist!
Attraktive junge Frau wird zeitig zur Waise
Vater findet schnell neue Frau
Neue Frau hält sich für unwiderstehlich und kann Stieftochter nicht leiden, weil diese besser als sie aussieht
Befragt dazu wiederholt einen gläsernen Einrichtungsgegenstand
Tochter haut aus Frust ab und stößt auf einen Trupp von Werktätigen im Bereich der Montanindustrie
Neue Frau unternimmt zwei Mordanschläge auf Stieftochter
Tochter erliegt zweitem Mordanschlag
Montanarbeiter halten die Sache unter der Decke
Hochschulabsolvent erweckt Tochter durch seine Liebe wieder zum Leben
Die fleißigen und scheuen Bergarbeiter
Weit weg von der Stadt gab es eine weitere Großfamilie, die der Miner. Ihr seltsamer Name ging darauf zurück, dass die Urahnen dieser Sippe einst in England siedelten, aber als dort die Erz- und Kohlegewinnung auslief nach Sachsen kamen, um diese Arbeitstradition hier weiter fortleben zu lassen. Die sieben, jetzt schon älteren Männer, hatten von ihren Eltern eine Chromosomenanomalie (das Silver-Russel-Syndrom) mitbekommen und die Plazentainsuffizienz ihrer Mutter weiterhin dazu geführt, dass sie allesamt sehr kleingewachsen waren. Da sie über einen starken Bartwuchs verfügten, der ihre Gesichter nahezu vollständig verhüllte, waren sie für einen Außenstehenden kaum zu unterscheiden und außerdem fühlten sie sich so zusammen gehörig (weil ihre Eltern schon in recht jungen Jahren verstorben waren), dass sie meist identische Kleidung trugen, die sie preiswert im KIK erwarben.
Rings um den schon 1796 in den Berg getriebenen Stollen weit im tiefen Wald standen einige baufällige Gebäude, die noch aus dieser Zeit stammten und über große Schlafsäle verfügten, die aber in den Jahrzehnten, solange der Abbau währte, immer wieder an den damals üblichen Standard angepasst waren worden. Als sich das Einfahren nicht mehr rentierte und die Grube aufgegeben wurde fiel die Gegend wie in einen Schlaf und erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, als die Preise für Kupfer wieder deutlich anzogen, wurde die Grube erneut aufgelassen und eines der Gebäude modernisiert, die anderen waren mittlerweile nur noch Ruinen. Seit dieser Zeit waren die Miner dort tätig und da die Technisierung auch den Bergbau verändert hatte waren diese sieben Personen in der Lage, die noch vorhandenen Vorkommen abzubauen, ohne dass es weiteres Personal brauchte. Die Männer fuhren früh ein, nach einer acht Stundenschicht beendeten sie ihre Arbeit und vertrieben sich die Zeit mit Skat spielen, Fernsehen und anderen, nicht sonderlich aufregenden Tätigkeiten, denn die Arbeit war trotz der sie unterstützenden Maschinen immer noch schwer. Einmal in der Woche fuhren zwei von ihnen mit dem Kleintransporter über die schlecht zu passierenden Waldwege in die Stadt, um im Kaufland Nahrungsmittel, Getränke und für die Hauswirtschaft erforderliche Güter zu erwerben. Mit der Zeit entfremdeten sie sich dem Leben in einer größeren Gemeinschaft immer mehr, das einzige Zugeständnis an die Moderne waren ein PC mit einem pfeilschnellen Internetanschluss (ein Wunder, das die Telekom dort vollbracht hatte), ein Flachbildfernseher sowie zwei Handys, die sie für einen Notfall vorhielten. Lediglich die ab und zu eintreffenden Lastkraftwagen, die die Ausbeute ihrer Arbeit abholten und Techniker, die die Maschinen in Schuss hielten, sowie die Hausärztin, die einmal im Monat vorbeikam, stellten den Kontakt zur Außenwelt dar. Die Miner führten also einen typischen Junggesellenhaushalt aber vermissten Frauen überhaupt nicht, sie waren sich selbst genug und auch die Verlockungen der Stadt zogen bei ihnen nicht, so dass sie nahezu ununterbrochen an dem Stollen blieben.
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