„Bitte, entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen“ aber er ging ohne sich umzudrehen wieder in das Haus.
Aus den Fenstern drang höhnisches Lachen, so dass sie die Beherrschung verlor.
„Haltet die Klappe, ihr blöden Ärsche“ rief sie ärgerlich.
„Zeig doch mal deinen, der scheint ja gar nicht schlecht zu sein“ brüllte einer betrunken zurück.
Um nicht noch mehr zu entgleisen ging sie zügig weiter, bald war sie im nahe gelegenen Wald und der Förster knatterte ihr auf seinem alten S 50 Moped entgegen, mit einem kurzen Zeichen grüßte er sie.
Auch „Hunter“, wie sich der Jäger Martin Kunze in seinen Internet-Chats nannte, war den Verbalattacken der streitlustigen Brüder fortwährend ausgesetzt aber er hatte gelernt, damit umzugehen. Eines Tages eskalierte die Sache allerdings. Als er am Haus vorbei fahren wollte bildeten die sechs Brüder eine Sperre auf dem Weg, so dass er nicht weiterfahren konnte. „Hunter“ war keineswegs ein Feigling, aber gegen diese geballte Testosteronwolke war er chancenlos. Er hatte zwei Optionen: er drehte um und nahm einen riesigen Umweg in Kauf oder spielte den starken Mann. Er entschloss sich schließlich für Letzteres. Als er die Flinte von der Schulter nahm und sie auf die Männer richtete brachen die in lautes Gelächter aus denn sie ahnten, dass die Waffe nicht geladen war. Demonstrativ griff sich „Hunter“ eine große Patrone aus seiner Tasche und lud die Waffe durch, da bröckelte die Barrikade etwas und die lautstark johlenden (und schon wieder angetrunkenen Männer) ließen ihn passieren.
Anders als „Hunter“ nahm Britta lieber einen Umweg, der sie zwar eine gute halbe Stunde mehr Zeit kostete, aber keinen Ärger mit den Wollmann Rabauken einbrachte.
Wer angibt, hat mehr vom Leben
Geschickter Gewerbetreibender prahlt gern
Legt sich mit Stärkeren an und trickst diese aus
Entgeht einem Mordanschlag und beeindruckt damit Rüpel
Liquidiert zwei riesige stadtbekannte Kriminelle ohne aufzufliegen
Muss tierische Aufträge erledigen
Soll von seiner Frau getrennt werden aber die Sache steigt doch nicht, weil er Hilfe bekommt
Der Fliegentöter vor dem „Rudi’s“
An einem Sommermorgen sass ein Gewerbetreibender auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und arbeitete aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Strasse herab und rief: “Gut Mus feil! Gut Mus feil!” Das klang dem Gewerbetreibender lieblich in die Ohren, er steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief: “Hier herauf, liebe Frau, hier wird sie ihre Ware los.” “Nun, das Mus soll mir Gott gesegnen,” rief der Gewerbetreibender, “und soll mir Kraft und Stärke geben,” holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich das Mus darüber. “Das wird nicht bitter schmecken,” sprach er, “aber erst will ich den Wams fertig machen, eh ich anbeisse.” Er legte das Brot neben sich, arbeitete weiter und machte vor Freude immer grössere Stiche. Indes stieg der Geruch von dem süssen Mus hinauf an die Wand, wo die Fliegen in grosser Menge sassen, so dass sie herangelockt wurden und sich scharenweis darauf niederliessen. “Ei, wer hat euch eingeladen?” sprach der Gewerbetreibende und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden, liessen sich nicht abweisen, sondern kamen in immer grösserer Gesellschaft wieder. Da lief dem Gewerbetreibenden endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber, es langte aus seiner Hölle nach einem Tuchlappen, und “wart, ich will es euch geben!” schlug es unbarmherzig drauf. (3)
Richard Franke saß mürrisch an seinem Arbeitsplatz, denn er hatte einen Terminauftrag und lag weit hinter seinem Zeitplan zurück, weil er wie üblich, zu spät aus den Federn gekommen war. Scheiß Sauferei sagte er sich, gestern war er mit ein paar Kumpels wieder einmal um die Häuser gezogen und die bohrenden Kopfschmerzen signalisierten ihm, dass er wohl den einen oder anderen Schnaps besser weggelassen hätte. Seine Entscheidung, die „Schneider Manufactur“ zu gründen, bereute er dagegen allerdings überhaupt nicht. Als Selbstständiger war er schließlich sein eigener Herr und da er geschickt war entstanden unter seinen Händen wahre Meisterstücke, die reißenden Absatz fanden. Seine Auftraggeber kamen sogar aus dem Ausland. Leider war er manchmal (wie am Vorabend) zu undiszipliniert und die gestrige Zechtour war nicht der erste Ausrutscher. Den schlimmen Kater bekam er erfahrungsgemäß am besten in den Griff, wenn er Schwarzbrot mit Pflaumenmus zu sich nahm. Da er öfter nach seinen Kneipenbesuchen daran litt hatte er lange herumexperimentiert: mit Rollmops, mit Tabletten, mit kalten Umschlägen, nichts half, bis er zufällig auf das Pflaumenmus stieß.
Der Tag würde warm werden und er hatte das auf den Hof weisende Fenster geöffnet um frische Luft zu bekommen und kaute gedankenverloren auf der Schnitte herum, als das Telefon klingelte. Er stellte den Teller mit dem Brot ab und meldete sich, ein Kunde wollte einen Termin vereinbaren und man war sich schnell einig. Immer noch missmutig wollte er die Schnitte wieder nehmen stellte aber fest, dass sich darauf etliche Fliegen niedergelassen hatten. Er versuchte sie mit der Hand zu verscheuchen, aber die die Insekten ließen sich nicht davon beeindrucken, sondern saßen wie festgeklebt auf dem Brot. Da er, was Lebensmittel anging, ausgesprochen pingelig war würde er die Schnitte sowie so nicht mehr anrühren. Wütend griff er nach einem herumliegenden Stoffstück und schlug es über den Teller. Als er es wegzog sah er, dass er einige der Fliegen erwischt hatte, insgesamt waren es sieben.
„Das habt ihr davon, ihr blöden Viecher“ grummelte er zufrieden und beschloss diese Tat beim nächsten Kneipengang mit seinen Kumpels ordentlich auszuschmücken, denn er neigte zur Prahlerei und aus den sieben Fliegen würde er sieben Typen machen, die ihn belästigt und die er mit Karateschlägen außer Gefecht gesetzt hätte. Diese Sportart betrieb er zwar wirklich zum Ausgleich, war allerdings noch nicht über das Niveau eines Anfängers hinausgekommen, da er bekannter Weise Probleme mit der Disziplin hatte und so auch das Training schleifen ließ.
Als er sich für die Kneipentour vorbereitete zog er ein Shirt an, auf dem ein stilisierter Karatekämpfer abgebildet war, dem sieben Gegner in verrenkten Stellungen zu Füßen lagen (das hatte er selbst angefertigt, eine leichte Übung für ihn als Schneider). Es sollte ihm später unerklärlich bleiben wie der Käse in seine Jackentasche geraten war (möglicherweise hatte er ihn im Zustand der Trunkenheit auf der letzten Tour in einer Gaststätte mitgehen lassen aber daran fehlte ihm aufgrund der großen Trinkmenge jegliche Erinnerung). Dass er aber den kleinen Vogel, der sich in einem Busch vor dem Haus in den Zweigen verfangen hatte befreite und leicht abwesend in die andere Tasche steckte, war ihm im Gedächtnis geblieben.
Das „Rudi’s“ war eine angesagte Kneipe, in der ein kleiner, spitzbärtiger und redseliger Mann (der gern irgendeine Kappe auf dem Kopf trug) alle kulinarischen Wünsche erfüllte und dem ihm insbesondere seine Fischgerichte bereits einen dritten Michelin Stern eingebracht hatten. Rudi Rulofs war ein gewiefter Geschäftsmann und bediente auch die Bedürfnisse nicht so sehr anspruchsvoller Gäste, in dem er im Keller des Gebäudes eine Tabledance Bar etabliert hatte. In dieser verdiente er vor allem an den Mixgetränken, aber seiner Philosophie folgend (dem Gast immer etwas Besonderes zu bieten), experimentierte er mit Molekularküche und hatte es im Verlauf der Zeit zu von anderen Vertretern seiner Zunft nie zu erreichender Perfektion brachte. Die Portionen hielt er knapp, aber die Preise hoch, so dass sich das „Rudi’s Dancefloor“ als wahre Goldgrube herausstellte. Das war für ihn nicht so wichtig, vielmehr strotzte das Gästebuch von begeisterten Einträgen und seine beiden Etablissements waren weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, so dass stets ein enormer Andrang herrschte, dem Rudi nur mit dem Einsatz eines Bestellsystems und von Türstehern Herr werden konnte.
Читать дальше