Richard Franke stand vor einem dieser bulligen und furchteinflößenden Männer der ihm geduldig erklärte, dass die Restaurants überfüllt wären und er doch wo anders sein Glück versuchen sollte. Der Schneider hatte sich allerdings in den Kopf gesetzt unbedingt hinein zu gelangen, da Victoria Bustier heute Abend ihre Künste an der Stange zeigen würde. Die junge äußerst attraktive Frau war an den wichtigen Stellen so perfekt gerundet, dass Richard fast jede Nacht von ihr träumte.
Der Riese sah den Schneider verächtlich an und sprach: “Du Lump! du miserabler Kerl!” “Das wäre!” antwortete das Schneiderlein, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel, “da kannst du lesen, was ich für ein Mann bin.” Der Riese las: “Siebene auf einen Streich” meinte, das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte, und kriegte ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl. Doch wollte er ihn erst prüfen, nahm einen Stein in die Hand, und drückte ihn zusammen, dass das Wasser heraustropfte. “Das mach mir nach,” sprach der Riese, “wenn du Stärke hast.” (4)
Mit aller Entschlossenheit trat er an den Türsteher heran und sagte:
„Lass’ mich rein Kumpel, ich will ja keinen Ärger, aber ich muss dir sagen, dass ich den schwarzen Gürtel in Karate trage, du verstehst mich sicher, hier schau mal“ sprach er ihn an, öffnete seine Jacke und zeigte dem Mann das Shirt mit den sieben niedergeschlagenen Gegnern.
Der andere sah ihn spöttisch an, schob den Ärmel seines Hemdes hoch und ballte die Faust, so dass sein mächtiger Bizeps sichtbar wurde (der Mann war diszipliniert und trainierte dreimal die Woche im Fitnessstudio).
„Schieb’ ab, du halbe Portion“ sagte er lässig „versuch’ doch mich umzuhauen, das schaffst du nie. Pass’ mal auf“ fuhr er fort und riss einen dicken Zweig von einem nahe stehenden Baum ab „was jetzt passiert.“
Er drückte den Zweig mit einer Hand zusammen, der Baum Saft tropfte daraus hervor und der Mann schaute Richard grinsend an. Dieser tat so, als würde er einen Stein vom Boden aufheben (denn in diesem Moment fühlte er den Käse in seiner Jackentasche), platzierte sich vor dem Türsteher, sah ihm in die Augen und presste den Käse zusammen, den er genau vor das Gesicht des anderen hielt. Wie um eine gewaltige Kraftanstrengung zu simulieren verzog er das Gesicht zu einer Grimasse und auch aus seiner Hand tropfte es (allerdings nur der sich verflüssigende Käse), dem anderen fielen fast die Augen aus dem Kopf aber er gab noch nicht auf.
Der Riese wusste nicht, was er sagen sollte, und konnte es von dem Männlein nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, dass man ihn mit Augen kaum noch sehen konnte: “Nun, du Erpelmännchen, das tu mir nach.” (5)
Auch er ging in die Knie und nahm einen Stein, dann sagte er:
„Siehst du den Kirchturm dort gleich gegenüber? Wenn du es schaffst einen Stein bis auf das Dach zu werfen, kannst du vielleicht rein, ich fange an.“
„Nichts leichter als das“ antworte Richard cool, denn er spürte, wie sich der kleine Vogel in seiner Jackentasche bewegte.
Der Türsteher holte weit aus, der Stein schlug auf dem Dach auf, verharrte einen Moment dort und rutschte wieder nach unten, dann prallte er polternd auf dem Pflaster auf. Es war dunkler geworden und Richard ging zu dem Stein, bückte sich (und kickte ihn unauffällig weg), dann nahm er den Vogel in die Hand und lief zurück zum Türsteher. Er tat so, als ob er Anlauf nehmen würde, entfernte sich damit von den anderen und öffnete seine Hand. Der kleine schwarze Vogel schoss befreit empor, überflog das Kirchdach und stieg so weit in den Himmel auf, so dass er bald nicht mehr zu sehen war.
Dem Türsteher stand der Mund offen, vielleicht hatte er die halbe Portion doch unterschätzt.
Eine Frau will erobert werden
Intellektuell leicht minderbemittelter aber entwicklungsfähiger junger Mann ist hilfsbereit und findet ein glänzendes (und offensichtlich wertvolles) Federvieh
Federvieh hat die Eigenschaft, sehr anziehend zu wirken
Tochter eines Beamten hat das Lachen verlernt
Wer sie wieder dazu bringt darf sie heiraten, muss aber noch ein paar Aufgaben erfüllen
Eine große Menge Alkohol trinken
Mächtig viel Nahrung verdrücken
Ein Schiff organisieren, das zu Wasser und zu Lande fährt
Holzschlagen mit Überraschungen
Blödmann, Volltrottel und Idiot waren die Begriffe, mit denen der Vater und seine beiden Brüder ihn titulierten, dabei war Peter Henschel zwar keine Geistesleuchte, aber auch nicht als beschränkt zu bezeichnen. Da seine Familie allerdings zum Sozialadel gezählt werden konnte (alle, außer ihm, er arbeitete auf dem Bau, gingen keiner regelmäßigen Arbeit nach) blieben sie etwas hinter dem allgemeinen Bildungsniveau zurück und die Umgangsformen waren eher rau, so dass die Beschimpfungen an Peter meist abprallten und ihn nur wenig verunsicherten, weil er es halt nicht anders kannte. Dennoch ärgerte es ihn schon, wenn die anderen ihn als Streber bezeichneten, denn er las viel, besuchte die Volkshochschule und hatte sich in den Kopf gesetzt, irgendwann das Abitur nachzuholen, um nicht wie seine Brüder von der Stütze leben zu müssen. Obwohl sie sich in dieser Hinsicht deutlich unterschieden sahen sich die Brüder aber wie ein Ei dem anderen gleich: sie waren Drillinge und andere Leute hatten große Mühe, sie auseinander zu halten. Um Geld zu sparen gingen die Brüder ab und zu in den Wald Holz schlagen, denn sie beheizten ihre Wohnung mit diesem Material. Dass sie dies illegal taten verstand sich von selbst und sie gaben Obacht, nicht vom Förster oder anderen Leuten dabei entdeckt zu werden. Da sie aber vieles aus dem Bauch heraus und ohne große Überlegung taten hatten sie sich einen Ort nahe des Altersheimes ausgewählt, weil der Transport der geschlagenen Bäume über die dorthin führende Straße zu ihrer Wohnung nicht so mühevoll war, wie der durch den Wald.
Frank Henschel, der Vater, schickte seinen ältesten Sohn Dieter (der damals 20 Minuten vor den beiden anderen Jungen geboren worden war) wieder zu dieser Arbeit in den Wald und packte ihm Brötchen und Knacker sowie zwei Flaschen Bier in den Rucksack. Als der junge Mann kurz vor dem Heim in den Wald abbiegen wollte begegnete ihm ein alter verschrumpelter Mann mit einer dicken Hornbrille auf der Nase und einem Knotenstock in der Hand (dessen Griff dem einer Gans nachempfunden war), der ihn um etwas Nahrung bat.
Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes, graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach: „Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken! Ich bin so hungrig und durstig.“ Der kluge Sohn aber antwortete: „Geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege!“ ließ das Männlein stehen und ging fort. Als er nun anfing, einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er mußte heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen. (6)
„Das Essen im Heim ist ja nicht schlecht, aber die Portionen sind schon etwas schmal, kannst du mir etwas von deiner Wegzehrung abgeben, junger Mann“ fragte der Alte hoffnungsvoll.
„Sag’ mal, hast du sie nicht mehr alle Opa“ erwiderte Dieter mürrisch „du kannst doch hier nicht um Essen betteln, so ein Platz im Heim kostet doch sicher ne Menge Kohle und da muss es ja eigentlich möglich sein alle satt zu bekommen, das kann doch nicht wahr sein.“
„Hast du eine Ahnung“ sagte das Männchen „die sparen an allen Ecken und Enden. Ich hab mal gelauscht, da hat der Küchenchef gebrüllt, dass er mit nicht einmal vier Euro Lebensmitteleinsatz nicht hexen kann.“
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