»Oh nein! «, stöhnte ich. Ein Unwetter hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Schon zuckten die ersten Blitze über meinem Kopf hinweg. Zwar dauerte es noch etwas, bis ein grollender Donner dem hellen Zucken folgte, doch würde es nicht lange dauern, bis ich mich sicherlich im tosenden Zentrum des Sturmes befinden würde. Also sollte ich mich doch lieber beeilen und diesen schmalen Grat verlassen. Ich setzte meinen Körper wieder in Bewegung. Immer schneller wurden meine unsicheren Schritte. Meine Beine zitterten und immer wieder glitt mein Fuß von dem rutschigen Gestein ab. Mein hastiges Atmen hatte sich in ein panisches Stöhnen verwandelt. Blitz und Donner konnten mir nichts anhaben, doch die reißenden Sturmböen, die sich immer wieder in meinen Kleidern und dem Rucksack verfingen, drohten mich von dem Berg zu zerren. Und gerade als ich dachte, schlimmer könnte es nicht werden, wurde es schlimmer. Viel schlimmer! Mit einer weiteren Windböe setzte plötzlich ein heftiger Regenguss ein. Sofort wurden die herausragenden Gesteinsbrocken glitschig und schmierig, so dass es mir unmöglich war, mich noch auf dem Felsen zu halten. Staub und Regen verbanden sich zu einer rutschigen Substanz. Doch ich ging weiter - Schritt um Schritt. Immer wieder rutschte ich von dem glitschigen Gestein ab, doch konnte ich mich im letzten Augenblick wieder hinaufziehen. Plötzlich zuckte ein Blitz auf und der gleichzeitig erschallende Donner ließ den Berg erzittern. Ich erschrak über die unvorhergesehene Stärke des Unwetters und verlor das Gleichgewicht. Ich wollte mich noch an dem Brocken vor mir festhalten, doch er war einfach zu glitschig. Schon rutschte ich von der knappen Kante ab. Instinktiv griff ich nach der Kante, auf der ich gerade noch gestanden hatte und die jetzt an meinem Blickfeld vorbeirauschte. Schon umgriffen meine Hände die vorbeisausende Kante und mein Bauch und meine Brust stießen mit voller Wucht gegen das harte Berggestein. Ich versuchte mich wieder auf die schmale Steinkante hinaufzuziehen, doch ich schaffte es nicht. Ich war einfach zu schwach. Meine Arme zitterten von der dauerhaften Anstrengung und verloren innerhalb kürzester Zeit ihre letzten Kräfte. Aber aufgeben konnte ich nicht, denn Aufgeben würde meinen sicheren Tod bedeuten. Noch einmal versuchte ich mich aus eigener Kraft hinaufzuziehen, doch auf der Hälfte der Strecke versagten mir die müden Muskeln den Dienst und ich plumpste wieder zurück in die hängende, wehrlose Position. Und schon wusste ich, dass dies mein Ende sein würde. Meine Kraft reichte nicht mehr aus, um mich ohne fremde Hilfe hinaufzuziehen. Ich würde solange hier hängen bleiben, bis auch die letzten Kraftreserven aufgezehrt waren. Plötzlich blendete ein heller Blitz meine Augen und schlug genau in den Punkt ein, an dem ich vor kurzem noch gestanden hatte. Rohes Gestein zersplitterte durch die Wucht des heftigen Aufschlages und auch die schmale Steinkante, an die ich mich in Todesangst klammerte, explodierte. Ich stieß einen gellenden Schrei aus, während ich in die finsteren Tiefen stürzte. Um mich herum befand sich ein dicker Schutzwall aus Gesteinsbrocken, der es für einen fliegenden Helden unmöglich machen würde, mir das Leben zu retten. Mein Herz schien vor Angst zu zerspringen und meine Stimmbänder zu zerreißen durch den schrillen und sicherlich letzten Hilferuf. Ich fiel und fiel, in dem Wissen, dass ich irgendwann auf den unnachgiebigen Grund des Tales treffen würde.Aber dann urplötzlich durchfuhr ein heftiger Ruck meinen Körper und etwas schlang sich fest um meinen Rumpf. Benommen durch den heftigen Stoß, sah ich, wie sich der Steinregen um mich teilte und ich nicht mehr nach unten fiel, sondern zur Seite flog. Verwirrt von dieser seltsamen und so unverhofften Kraft schaute ich an mir herunter. Mein Herz machte einen müden, aber dennoch erfreuten Hüpfer. Eine große, orangefarbige Kralle hielt meinen Körper sicher im Griff. Mein Blick folgte dem kräftigen Vorderbein und erblickte schließlich den Leib eines mittelgroßen Drachen. Das prächtige Wesen schlug mit seinen starken Schwingen unermüdlich auf und ab. An seinem rechten Flügelgelenk konnte ich mit schwachem Blick etwas Rotes, Glitzerndes erkennen. Eine Wunde? Während er flügelschlagend an Höhe gewann, schaute er kurz auf mich herab. In seinen großen feuerroten Augen konnte ich eine sorgenvolle Frage erkennen.
»Du.«, stöhnte ich mit einem leisen Lächeln. Ich konnte ihn schnaufen hören, als wenn er wieder etwas zu mir sagen wollte. Doch ich verstand seine Sprache nicht. Ich schaute ihn einfach nur an, froh, meinen Drachen wohlauf wieder zu sehen. Aber dann schwand meine letzte Kraft und ich flog in eine unbekannte Schwärze, die all meine Empfindungen betäubte.
Drachenberge - Kampf um den Drachenhort
Noch einmal schaute ich hinab zu der schlaffen Gestalt, die ich in meiner fürsorglichen Kralle hielt.
»Nicht sterben, Kleines!«, schnaufte ich. »Halte ja durch!« Ich flog mit einiger Mühe auf eine kleine Erhebung, auf der ich eindeutig die frische Spur von Menschen wittern konnte. Ganz vorsichtig landete ich auf dem regennassen Gestein und legte das reglose Mädchen auf dem Boden ab. Dabei spürte ich einige Schrammen auf meinem Rücken, die durch den Steinschlag entstanden waren, als ich Vila aus dem freien Fall zwischen den Brocken herausgefischt hatte. Ich wandte meinen Kopf rasch nach links und rechts. Der ekelige Gestank nach Schweiß der Soldaten war so stark, dass mich das unangenehme Gefühl beschlich, sie würden ganz nahe auf mich lauern und uns beobachten. Doch der erste Eindruck erwies sich als falsch, denn ich konnte nur das Klopfen zweier Herzen wahrnehmen. Einmal ein langsames tiefes Schlagen, welches zu mir gehörte und ein etwas schnelleres Klopfen von der hübschen Gestalt zwischen meinen Vorderbeinen. Sicherlich waren diese Drachentöter vor kurzem hier entlang gekommen, und wenn sie erschöpft von der Schlacht wieder zurückkehrten, dann würden sie Vila sicherlich entdecken und ihr helfen. Wenn nicht, würde ich wieder zurückkommen. Jetzt jedenfalls hatte ich keine Zeit, mich um die Kleine zu kümmern, schließlich musste ich eine Schlacht gewinnen, an der ich ja im Grunde genommen Schuld war. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich meinen Blick nicht von dem schönen Mädchen lassen, wie sie da auf dem kalten Gestein lag, die Kleidung und die wunderbar goldenen Haare völlig durchnässt vom Regen. Wieso verfügte dieses niedliche Ding da unter mir über diese verfluchte Macht, mich so zu bannen, obwohl sie gar nicht bei Bewusstsein war? Was benutzte sie nur für einen komischen Zauber? Oder hatte sie mich schon mit der bloßen Berührung damals an der Todesschlucht verflucht? Doch plötzlich ruckte mein Kopf nach oben, denn ich hörte auf dem Rücken des heulenden Windes eindeutig die lauten Rufe der kämpfenden Drachen und der Magier. Ich musste los! Mein Freund war sicherlich schon bei der Schlacht angekommen. Noch einmal schaute ich hinab auf das zarte Gesicht, dann breitete ich widerwillig die langen Flügel aus und hob ab. Nach nur wenigen Flügelschlägen hatte ich bereits das Kampffeld erreicht. Um mir aber erst einmal eine genauere Übersicht über die Schlacht zu machen, flog ich auf einen hohen Felsvorsprung, der die meisten anderen Erhöhungen überragte. Dann blickte ich hinunter. Der Schreck durchfuhr siedend heiß meinen ganzen Körper. Über zwanzig dieser Zweibeiner hatten unseren Hort angegriffen, von denen mindestens zwei davon magische Kräfte besaßen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, dem kleinen Mädchen zu erlauben, dass sie mich streichelte? Warum hatte ich sie überhaupt am Leben gelassen und nicht, wie die Natur es verlangte, einfach als zusätzlichen Frühstückshappen zu mir genommen? Aber würde ich sie auch jetzt im Nachhinein töten? … Ach, verflogen noch mal, ich… ich hätte gar nicht diese Schlucht aufsuchen sollen! Plötzlich ließ ein wohl bekanntes Fauchen meine wilden Gedanken verstummen. Ich wandte geschwind meinen Kopf und erkannte auf einer nahegelegen Bergkuppe den moosgrünen Drachen, wie er mit einem dieser Drachentöter kämpfte.
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