»Zwei Sonnenaufgänge? «, wiederholte ich schnaufend und kopfschüttelnd. Deshalb also war mein Maul so ausgetrocknet wie die Steppe im Tal. Ich rappelte mich auf. Dabei spürte ich ein leichtes Ziehen in meinem Brustkorb. Also war meine Rippe noch nicht ganz geheilt. Naja, was soll´s.
»Was gibt´s zum Frühstück? «, fragte ich mit einem hungrigen Blick.
»Bergziege! Dort hinten habe ich eben welche springen gesehen.
Musst sie dir aber erst noch fangen. «, war die Antwort.
»Tolle Gastfreundschaft!«, schnaufte ich ironisch mit einem Augenverdrehen.
»Tja, wer zuerst kommt, beißt zuerst! «, sagte Freund noch, bevor er sich in die Lüfte erhob. Zuerst zögerte ich einen winzigen Augenblick - begutachtete mit raschem Blick meine orangenen Schwingen, die ich soeben ausbreitete. Dann folgte ich ihm rasch, indem ich mich kraftvoll vom Boden abstieß. Da ich noch nicht wusste, inwiefern meine Heilung fortgeschritten war, flog ich erst einmal vorsichtig. Ich vermied Loopings, Saltos oder Überschläge, neigte mich nur leicht in die Kurven und versuchte möglichst mit keinem Felsen zusammenzustoßen. Mit einem Felsen stieß ich nie zusammen, schließlich war ich nicht blind! Doch Freund schien den Dreh mit dem Fliegen noch nicht so richtig heraus zu haben. Wenn die Spitze eines Berges weit vor ihm auftauchte, geriet er so in Panik, dass er seinen Schwanz - also sein Ruder - vollkommen falsch einsetzte. Genauso wie auch heute. Ich musste mich gar nicht anstrengen, um ihn zu überholen. Denn kaum dass ich in der Luft war, klebte er bereits an einer Steilwand, die die Frechheit besessen hatte dort mitten in seiner Flugbahn zu stehen.
»Alles klar?«, rief ich aus der Luft, während ich meine Kreise zog. Von unten drang nur wütendes Kauderwelsch herauf, unterdrückte Flüche, die sich ineinander verhedderten. Klar ging es ihm gut. Seitdem Freund fliegen konnte, hatte er unzählige, teilweise lebensbedrohliche Flugunfälle. Dazu gehörte auch ein unkontrollierter Absturz aus gut fünfzig Fuß Höhe. Gegen eine Wand fliegen galt daneben als kleineres Übel, welches nur einzelne Schrammen zur Folge hatte. Nichts Bedrohliches für einen zähen Drachen wie er es war. Um nicht vom Berg abzurutschen, krallte er sich an den vorstehenden Felsbrocken fest und löste seinen Körper vom Fels, als würde er aufstehen. Während er ängstlich dreinblickte, rief ich ihm zu, was er tun musste. Dann stieß er sich vom Berg ab, breitete die Flügel aus und sauste im nächsten Augenblick dicht an der Unglücksstelle vorbei. Das war noch einmal gut gegangen. Sobald sich Freund wieder in der Luft befand, verschwanden sein Zorn und seine Angst und er verhielt sich wieder ganz normal. Während wir ruhig nebeneinander flogen, gab ich ihm noch einige Tipps, wie er seinen Schweif richtig einsetzen sollte, damit solche Unfälle in Zukunft vermieden werden. Ich wusste, dass er sich meine Hilfestellungen zu Herzen nahm und sie auch befolgte. Ich bewunderte schon früher seinen Ehrgeiz. Egal wie tief er auch stürzte, egal was er auch wieder vermasselte, er stand immer wieder auf und arbeitete weiter an sich. Als wir um eine weitere Bergkuppe flogen, sahen wir sie. In schwarz-weißer Wolle verpackt und mit krummen Hörnern versehen. Unser Frühstück befand sich auf einer sehr großflächigen Ebene, welche aus Inseln von getrocknetem Gras und glatten Steinseen bestand. Die Ziegen blickten auf, als sie das zischende Geräusch unserer Schwingen hörten. Dann rannten sie los und verstreuten sich. Doch wo wollten sie hin? Weit und breit gab es keine Höhle, keinen Spalt, wo sie sich verstecken konnten. Sicher, alle würden wir nicht fangen. Die Herde würde reichen, um den ganzen Drachenhort satt zu bekommen. Wir suchten uns jeder ein Tier aus, dann gingen wir über in einen Sturzflug und griffen mit sicherer Kralle unsere Beute. Egal wie unausgereift Freunds Flugstil sein mochte, jagen konnte er am besten. Wenige Momente und zwei Bergziegen weniger saßen wir halbwegs satt auf einer der vielen Hochebenen. Mit einer Kralle stocherte ich zwischen meinen Zähnen herum, um ein nervtötendes Stück Wolle aus den Zahnzwischenräumen zu entfernen. Die Wolken waren während unserer Jagd näher zusammen gerückt und hatten sich verdunkelt. Sicherlich würde es nicht mehr lange dauern und ein Gewitter würde über uns hereinbrechen. Doch Gewitter kümmerten mich ebenso wenig wie Babybergziegen. Solange ich nicht übermäßig hochflog, würden mich die gefährlichen Blitze auch nicht aufsuchen. Gerade schleckte ich mir mit der Zunge über das lange Maul, als ich es weit entfernt hörte. Das unerkenntliche Jagdhorn eines Drachentöters schallte durch die vielen Schluchten hindurch zu unserem Aufenthaltsort. Und es kam ganz eindeutig von der Nähe unseres Hortes! Freund sprang sofort auf.
»Du bleibst hier!«, fauchte er. Ich ignorierte ihn und erhob mich ebenfalls. Dabei entfuhr mir ein leiser Aufschrei, da wieder meine Rippe zwickte.
»Du bist noch nicht wieder vollkommen gesund, um gegen einen
Magier antreten zu können!«, brüllte er nun noch lauter. Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern spannte meine Flügel, bereit abzuheben.
»Ich werde nicht zulassen, wie du sinnlos dein Leben aufs Spiel setzt!«, donnerte Freund und schnappte zu. Schon spürte ich, wie er mein linkes Flügelgelenk erwischte. Ich schrie auf vor Schmerz und wollte zurück beißen, doch er wich mir leichtfüßig aus, wandte sich um und erhob sich dann wie ein Pfeil in die Lüfte. Ich brüllte ihm zornig hinterher, während ich den aufwallenden Schmerz in meinem Flügel spürte. Rotes Blut sickerte aus den tiefen Bissstellen und tropfte auf das kühle Berggestein. Ich verharrte kurz in der Ebene. Durch den pochenden Schmerz wurde das Fliegen riskant, da ich nicht mehr genau die Luftströme spüren konnte, die sich in den Flügeln fingen. Somit konnte ich Windböen falsch einschätzen, was den Absturz und somit auch meistens den Tod bedeuten konnte. Aber ich war kein Waschlappen-Drache sondern ein Drache, der für seine Fehler geradestand. Schließlich war es meine Schuld, dass unser Schlafplatz angegriffen wurde. Also nahm ich jedes Risiko in Kauf, spannte die Flügel und sprang mit all meiner Kraft in den immer dunkler werdenden Himmel.
Drachenberge - Gefährliche Tiefen
Meine Hände rutschten immer wieder am glitschigen Berggestein ab, während ich versuchte mich an dem steilen Abhang zu halten. Mit jedem Seitwärtsschritt ging mein Atem schneller und mein Herz raste vor Angst. Nur ein Schritt nach hinten würde genügen, und ich würde den dunklen Todesschlund der Drachenberge hinunter stürzen. Nur der kleine Felsvorsprung, auf dem ich stand, bewahrte mich vor diesem tragischen Unglück. Und mein andauernder Hunger und der Schlafmangel machten es mir nicht gerade einfacher, mich an die steilen, feuchten Steinwände zu krallen. Zudem wusste ich nicht, wann ich das nächste Mal auf eine etwas größere Fläche treffen würde, auf der ich mich ausruhen konnte. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Warum war ich Dumme nicht einfach zu Hause in meinem warmen Bett geblieben und hatte dem Schicksal seinen Lauf gelassen? Die Soldaten, die ich anfangs verfolgen wollte, hatten sicherlich schon den Kampf gegen die Drachen begonnen. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während ich mit meinen vorsichtigen Seitwärtsbewegungen innehielt und mich nur mit tränenden Augen an die Wand vor mir drückte. Ich konnte einfach nicht weitergehen. Die Sorge um den hübschen, orangefarbenen Drachen war viel zu groß. Warum sehnte ich törichtes Mädchen mich eigentlich so sehr nach dieser großen Echse? Plötzlich erfasste mich eine heftige Windböe und versuchte mich von dem Felsen zu reißen. Ich krallte mich mit meinen letzten Kraftreserven an dem kalten Gestein fest. Zum Glück ließ der Windzug nach nur kurzer Zeit nach, sonst wäre ich sicherlich abgestürzt. Ich schaute hinauf in den Himmel – seit langer Zeit, wie mir nun bewusst wurde. Denn das ursprünglich unschuldige Blau hatte sich in ein verschlungenes Schwarz verwandelt.
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