»Vorsicht Kleine! Sonst beiß ich dich! «, meinte ich scherzhaft, was für sie jedoch nur ein leises Knurren und ein kurzes Wedeln meines langen Schweifes bedeutete. Verunsichert hielt sie kurz inne, fasste dann aber doch Mut und berührte meine lange Schnauze. Ich spürte seine warme Hand auf meiner dicken Haut, die langsam hin und her strich und ich sah, wie sich ein bezauberndes Lächeln auf seinem Mund ausbreitete. Ich schloss erneut die Augen und genoss die kaum spürbare Berührung seiner Hand, sog seinen Duft in mich ein und hörte das wilde Klopfen seines vor Aufregung rasenden Herzens. Sicher war sie aufgeregt! Schließlich läuft man ja nicht alle Tage einem zahmen Drachen über den Weg, den man wie einen Hund einfach so streicheln konnte ohne Gefahr, als Frühstück zu enden.
»Mein Name ist Vila . «, hörte ich es leise zu mir sagen. Vila… Ein schöner Name. Ich machte einen leisen Schnaufer zum Zeichen, dass ich den Namen für gut betrachtete. Unter seiner sachten Berührung begann es in meiner Kehle leicht zu grummeln. Ein leises, wohlwollendes Raunen, welches nur meine innerste Zufriedenheit kundtat. Wäre ich eine Katze gewesen, dann läge ich jetzt auf dem Rücken und würde laut schnurren. Doch dann würde die Stille um uns herum unterbrochen. In meinen lauschenden Ohren ertönte plötzlich das laute dröhnende Geräusch einer Glocke, die wild geläutet wurde. Und dieses Geräusch hallte eindeutig von der kleinen Siedlung her. Ich erschrak und hob mit einem aufgeregten Fauchen meinen Kopf. Mein schneller Blick fegte über die Ebene und fand schließlich den entfernten, kleinen Wachturm. Ein kleiner Mann läutete gerade wie wild die Glocke und schrie so etwas wie »Drachen!«. Auch das Mädchen hatte sich erschrocken seiner Heimat zugewandt.
»Nein!«, hörte ich es flüstern, während ihm Tränen über die Wangen liefen. Dann wandte es sich wieder mir zu.
»Ich habe nicht gewollt, dass sie dich entdecken! «, sagte es zu mir, scheinbar in dem festen Glauben, ich könnte ihre Sprache verstehen. Natürlich verstand ich! Des Öfteren hatte ich dem Müller beim
Streit mit seiner Frau zugehört und musste hin und wieder einen lauten Brüller unterdrücken, da sie sich immer wegen der kleinsten Kleinigkeiten in die Haare kriegten. Aber dies war jetzt unwichtig.
»Lauf schnell nach Hause, Mädchen!«, fauchte ich. Im Unterschied zu mir verstand es meine Sprache und Gestik nicht - hatte keine Ahnung was ich ihm sagte. Ich sah es ängstlich zurückweichen, während mein Schwanz ungeduldig durch die Luft peitschte und ich meine Schwingen ausbreitete. Dann sah ich ihm noch einmal direkt in die Augen in der Hoffnung, es würde in meine Seele blicken und meine Worte verstehen. Und dann gab es diesen kurzen Moment, in dem alles um uns herum bedeutungslos war, sogar die Geräusche der wild geschlagenen Glocke, und wir uns ohne Worte verstanden. Es begriff, dass ich niemals vorhatte, es anzugreifen und ich es auch niemals tun würde. Dann breitete ich meine Schwingen vollends aus und flog mit einigen mächtigen Schlägen davon in den Himmel, während ich seinen faszinierenden Blick auf mir spürte. Ich flog und flog, so schnell mich meine Schwingen tragen konnten, denn ich wusste, dass ich in Schwierigkeiten steckte. In gewaltigen Schwierigkeiten! Denn die Drachen im Drachenhort hatten sicherlich die Glocke gehört. Und wenn jetzt rauskäme, dass ich für den Tumult verantwortlich war, dann würde mich der Älteste wahrscheinlich umbringen. Zudem trug ich einen bestimmten Geruch mit mir, der mir ebenfalls gefährlich werden konnte: Der eigentümliche Geruch des Mädchens. Den Geruch, den ich so liebte. Ich musste ihn loswerden und das rasch! Aber wie? In wilder Panik blickte ich umher, versuchte irgendetwas zu erkennen, was die Gerüche von meinen Schuppen abtragen oder zumindest überdecken könnten. Ein Schlammloch oder wenigstens ein gewaltiger Dunghaufen sollten den Geruch anständig überdecken können, auch wenn man mich dann für verrückt erklären würde. Doch ich konnte nichts anderes unter mir erkennen als öde Steinlandschaft. Und Stein würde nicht helfen, den verräterischen Duft los zu werden. Doch dann erblickte ich den See einige Schwingen entfernt und weit unter mir . Zwar war ich nicht darauf erpicht , schon am frühen Morgen ein kaltes Bad zu nehmen, aber was hatte ich für eine Wahl? Also tauchte ich drei Atemzüge später hinab, indem ich die Flügel einzog, in die eisigen Fluten. Jede meiner Zellen zog sich schmerzhaft zusammen und es fühlte sich so an, als würden mir alle Schuppen gleichzeitig herausgezogen. Doch mein Wille war stärker als das eiskalte Wasser und die Schmerzen. Und so tauchte ich mehrere Male auf und wieder ab. Zum Schluss ließ ich mich tiefer in die Dunkelheit sinken, nahm dann Anlauf und durchstieß die Wasseroberfläche wie ein Speer. Im richtigen Moment entfaltete ich meine Flügel, in denen sich einen Herzschlag später die Luft fing und nach einigen mühseligen Schlägen hatte ich meine sichere Flughöhe erreicht. Dieses Kunststück, das ich gerade vollführt hatte, konnte nicht jeder! Nur eine Neugiernase, wie ich es war, versuchte neue Flugmanöver, die sich später immer wieder als äußerst praktisch erwiesen. Genau wie dieses Manöver auch. An meiner rechten Klaue zuckte etwas. Ich blickte hinab und erkannte einen dicken Karpfen, den ich scheinbar aus Instinkt und Gewohnheit gefangen hatte. Doch da mir die Todesstrafe drohte, war mir aller Appetit auf Fisch vergangen. Also ließ ich ihn wieder zurück in seine ekelhaft kalte und nasse Welt fallen. Dann setzte ich meinen Flug fort mit der Hoffnung, dass der Älteste am heutigen Tage milde gestimmt war..
Im nächsten Augenblick lag ich stark blutend und keuchend am Boden. Meine Flügel hingen schlaff herunter und durch die rechte Flügelmembran zog sich ein langer Schnitt. Aber nicht nur mein Flügel war verwundet. Über meinen ganzen geschuppten Körper zogen sich lange Kratzer und jedes Mal, wenn ich ein und ausatmete, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Brustkorb. Sicherlich war die eine oder andere Rippen angebrochen. Ich konnte das nicht genau sagen, da ich ja keiner von diesen Menschenheilern war. Leider! Und zum Glück, denn Drachenblut hat wie das von Magiern besondere Fähigkeiten. So heilen unsere Wunden schneller als bei Menschen. Klar, ich war nicht gerade leicht verletzt, aber dennoch sollte ich in zwei bis drei Tagen wieder fit sein, wenn ich den heutigen Tag überlebte. Ich schaute laut schnaufend und mit einiger Mühe auf und erblickte vor mir den Drachenältesten . Er hatte mich gerade zurechtgewiesen. Nur leider nicht mit Worten sondern mit Krallen und Zähnen. Eine Bestrafung, die jedem ungehörigen Drachen Vernunft beibringen sollte.
»Weigerst du dich noch immer zuzugeben, dass du einem von diesen stinkenden Menschen begegnet bist?« fauchte er. Ich öffnete mein rechtes Auge und schaute zu ihm auf. Das linke ließ ich lieber zu, da sich eine klaffende Wunde über der Augenbraue befand. Der Drachenälteste ragte weit über mich hinweg. Schließlich war er einer der ältesten und größten Drachen. Was sage ich da? Er ist einer der ältesten und größten Drachen. Er war beinah dreimal so groß wie ich. Seine panzerdicken Schuppen schillerten im Licht der Sonne blutrot. Und seine gefährlichste Waffe befand sich an seiner Schwanzspitze. Zwei Reihen mit je drei langen, spitzen Stacheln ragten dort empor. Ein mächtiger Schlag mit seinem Schwanz und ich wäre Hackfleisch. Und bei einem höheren Vergehen, wie einen Menschen zu besuchen, gab es keine Gnade, egal ob Jungdrache oder nicht. Zudem hatte mich der Drachenälteste etwas gefragt, worauf ich antworten musste. Die Wahrheit zu sagen wäre reiner Selbstmord, genauso wie lügen. Denn wir Drachen kommunizierten über spezielle Laute, Körpersprache und verschiedene Düfte, die unsere Drüsen ausschieden. Und so würden eine zögerliche Antwort, ein wenig erhöhter Herzschlag und geweitete Augen schnell eine Lüge entlarven. Also musste ich die Lüge mit einer Halbwahrheit umgehen.
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