Dark dachte, die Spinne hätte Krötz ordentlich zugesetzt.
»Ist das Ihre?«, fragte der Hausmeister und wies auf eine Tüte, die neben der Aufzugstür stand. Mit der anderen Hand raufte er seine Haare.
Dark schüttelte den Kopf. »Ich war nicht einkaufen. Wahrscheinlich ist der Aufzug defekt und jemand hat die Tüte abgestellt.«
»Ich dulde keine Gegenstände im Treppenhaus«, sagte Krötz missmutig, schnappte sich die Tüte und ging die Treppen hinunter.
Mit Ekel sah Dark Haare des Hausmeisters auf seinem Fußabstreifer liegen. Er holte Kehrschaufel und Besen, um die Hinterlassenschaft wegzuräumen, dann verstaute er die Plastikspinne zurück in den Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er den Rollladen herabließ. Ohne Probleme.
Samstag
Dark pfiff fröhlich vor sich hin, obwohl er unter der Last, die er trug, mächtig ins Schwitzen geraten war. Mit beiden Händen hielt er seine neueste Trommel, in der linken zwei Klöppel. Die Trommel war so groß, dass er die Stufen vor sich nicht sah. Er kannte sich ja aus. Neben der Wohnungstür stellte er das teure Stück vorsichtig auf den Boden, kramte nach seinem Schlüssel und schloss die Tür auf. Im gleichen Augenblick läutete das Telefon und Dark hastete ins Wohnzimmer. Die Wohnungstür schnappte zu.
Der Anrufer hatte sich verwählt. Die Klöppel in der Hand öffnete er die Tür und trat in das Treppenhaus. Er erschrak, die Trommel war weg!
»Aber … aber …«, stotterte er. Einen Moment blieb er unschlüssig stehen, dann kam ihm ein Gedanke.
Krötz!
Dieser musste die Trommel mitgenommen haben. »Ich dulde keine Gegenstände im Treppenhaus«, hatte der gestern erst gesagt?
Dark Resonanz schwollen die Adern an. Nicht mit mir! , dachte er.
Das ging zu weit!
Er würde dem Hausmeister ein für alle Mal Bescheid geben. Zuvor wollte er essen. Seine Wahl fiel auf Maultaschen. Die waren schnell zubereitet und leicht verträglich. Es reichte, dass Kröll ihm auf den Magen schlug.
Dark betrachtete das letzte Stück der Maultaschen. Es lag da, fett und mit nach oben gewölbtem Körper. Wie der Bauch des verrückten Krötz , dachte Dark.
Wie war das gleich mit den Voodoo-Puppen, mit dem Voodoo-Zauber? Fertigte man da nicht eine Puppe eines Menschen an, dem man übel mitspielen wollte? Er hatte derlei in James Bond-Filmen gesehen. Da hatten bemalte Wilde Strohpuppen mit Nadeln traktiert, um der Person, die die Puppe darstellen sollte, Schmerzen zuzufügen.
Dark lächelte. Ein Versuch war es allemal wert. Und warum nicht eine Puppe aus einer Maultasche basteln, wo sie dem Hausmeisterbauch so ähnelte? Mit ein paar Handgriffen legte er weitere Zutaten heraus. Eine Cherry Tomate gab den Kopf ab. Sorgfältig drapierte er hie und da. Er drückte Pfefferkörner, die die scharfen Augen des Hausmeisters bilden sollten, fest in die Tomate hinein. Ein kleines Maultaschenstückchen gab die Nase. Spiralnudeln bildeten die Arme und Füße. Aus einem Fetzen Salatblatt wurde die Perücke und unter die Nase träufelte er Kaffeepulver. Dark fielen die Haare ein, die er gestern zusammengefegt hatte und fand eines in der Mülltonne. Das gab der Krötz-Maultaschenpuppe den letzten Schliff. Versonnen betrachtete Dark sein Werk. Beinahe schien es ihm, als hörte er die Puppe sprechen, schnarrend und nervtötend, wie sein Vorbild aus Fleisch und Blut.
Er nahm einen Zahnstocher, wiegte ihn einen Moment in der Hand, stach zu und stellte sich vor, wie der Hausmeister zusammenzuckte. Ein weiterer Zahnstocher landete in der Puppe.
Auch ohne die Voodoo-Maultasche reichte ihm die Portion aus. Er saß auf seinem Sofa und brütete nach, was er gegen den Hausmeister unternehmen konnte.
»Rrrurgs-rings. Rrrurgs-rings. Krgs krgs.«
»Ja, ja, ich komme.« Der Musiker fluchte.
Krötz stand vor der Tür und hielt sich mit einer Hand am Rahmen fest, die andere presste er gegen seinen Bauch.
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Dark und versuchte, ehrlich besorgt zu klingen.
Dem Hausmeister standen Schweißperlen auf der Stirn.
»Jeder hat sich an die Hausordnung zu halten«, krächzte er. »Ist das Ihre?«
Im Treppenhaus lehnte die Trommel an der Wand, exakt da, wo er sie hingelegt hatte.
»Ja, sie war verschwunden.«
»Ich habe …« Der Hausmeister stockte. »Ich habe …«
»Sie haben was? Ihnen geht es doch nicht gut.« Die Vodoo-Maultasche, dachte Dark triumphierend.
Krötz nahm die Hand vom Bauch. »Mir geht es prima!«
Er machte kehrt und ging schwankend die Treppen hinunter, eine Hand vor den Mund haltend.
»Gute Besserung«, rief Dark ihm nach.
In der Küche betrachtete er versonnen seine Voodoo-Puppe. Sollte er einen weiteren Zahnstocher hineinstoßen? Oder sie mit Öl übergießen? Am Ende wurde ihm das unheimlich. Was, wenn der Zauber wirklich funktionierte? Er nahm den Teller und warf die Maultasche mit den Zahnstochern in den Müll.
Ein markerschütternder Schrei im Treppenhaus lenkte ihn ab. Er öffnete die Wohnungstür. Ihm schien, als ob weiter unten jemand vor sich hin wimmerte. Bevor er selbst die Bescherung sah, kam ein Nachbar entgegen.
»Den Kröll hat es im Treppenhaus hingehauen«, berichtete er. »Er lebt noch. Hat nur ein Bein gebrochen. Der Rettungsdienst ist informiert.«
Dark Resonanz kehrte in seine Wohnung zurück, lehnte sich an die Tür und atmete tief durch. Fürs Erste war er den Hausmeister los. Und wenn er wiederkam, so war er nicht mehr hilflos. Er wollte gleich einmal Maultaschen auf den Einkaufszettel schreiben. Und Zahnstocher. Und das eine Haar des Hausmeisters, das wollte er wiederfinden.
Die wahre Geschichte des armen Poeten
Carl Spitzweg saß auf einem Schemel dem Schulmeister Jakob gegenüber.
»Wohl an, werter Herr Lehrer, da habt Ihr Euch, wie mir scheint, eine harte Arbeit aufgetragen. Ihr seufzt unablässig.«
»Ja, ja! Es ist doch zu schrecklich, was den Schülern zu Napoleon einfällt.« Der Schulmeister richtete sich im Bett auf. »Stellt Euch vor, einer behauptet hier doch geradeheraus, Napoleon wäre mit Kleopatra verheiratet gewesen. Ein anderer armer Tropf schreibt, er sei Engländer gewesen. Sie hören einfach nicht zu und träumen vor sich hin. Manche schlafen gar ein! Aber sagt, Herr Spitzweg, habt Ihr denn schon einen Titel für das Bild?«
Der Maler tauchte gerade den Pinsel in die braune Farbe. »Nun, ich will es Der Schulmeister nennen.«
»Papperlapapp, Spitzweg! Das auf keinen Fall! Es ist hier oben nicht die richtige Umgebung, die eines Schulmeisters würdig ist. Ihr dürft mein Gesicht gerne auf Papier bannen, aber Ihr könnt, nein Ihr dürft nicht meine Zunft beschmutzen. Wo kämen wir hin, wenn dergestalt Schulmeister portraitiert würden? Nein, nein, Ihr müsst Euch einen anderen Titel einfallen lassen! Bedenkt, ich liege nur hier, weil es Euer ausdrücklicher Wunsch war. Der Lichteinfall sei so gut. Ja, und ich weiß, dass ich nicht zum stundenlangen Stillsitzen tauge. Ich half Euch beim Freiräumen dieses Ungetüms von Ofen, von dessen Existenz ich
gar nichts wusste. Und auch der Regenschirm, über meinem Haupte schwebend, wie eine schwarze Wolke, war Euer Einfall.«
»Ja, es ist fürwahr eine ärmliche Szenerie. So wie Ihr da in Decken gehüllt seid, könnte man meinen, es würde Euch erbärmlich frieren. Zumal ich, in künstlerischer Freiheit, die Dächer des Hauses gegenüber mit Schnee bedacht habe. Jetzt im Frühjahr!«
»Dann nennt Euer Werk doch: Der arme Poet,« schlug Jakob vor. »Ich kenne eine Reihe von Dichtern, denen würde diese muffige Kammer wie das reinste Paradies vorkommen.«
»Eine vortreffliche Idee«, bedankte sich Spitzweg und kratzte sein Kinn. »Fürwahr, eine gute Idee.« Mit neuem Eifer ging er wieder ans Werk.
Eine Weile schwiegen beide und gingen still ihrer jeweiligen Arbeit nach.
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