Stefan Kuntze
Martha vor dem Spiegel
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Inhaltsverzeichnis
Titel Stefan Kuntze Martha vor dem Spiegel Dieses ebook wurde erstellt bei
Martha vor dem Spiegel Martha vor dem Spiegel Roman von Stefan Kuntze Handelnde Personen I. Vorgeschichte 1927 bis 1984 Otto Dix, malender Grenzgänger, Hemmenhofen und Dresden Martha Dix, häufig porträtierte Ehefrau von Otto Dix, Hemmenhofen Käthe König, lange Zeit unbekannte, nie porträtierte Gefährtin von Otto Dix, Dresden Katharina König, Tochter von Otto Dix, Dresden II. Hauptteil 1989 bis 1990 Abiturienten des Jahrgangs 1960 in Stuttgart: Jochen Klinger, Dix-Liebhaber und Verwaltungsrichter Bernd Köhnle, Dix-Liebhaber und Bauunternehmer Lorenz Jakobi, Dix-Kenner und Galerist Arnd Abelein, Merian-Kenner und Kunsthändler Armin von Au, Dix-Hasser und Leiter des Sozialamts Weitere Personen: Rudi Werner, Journalist in Stuttgart Clemens Gruber, Kollege und Freund von Jochen Klinger in Stuttgart Ulf Röcker, Obdachloser, Mittel zum Zweck in Stuttgart Katharina König, Tochter von Otto Dix in Dresden Falk Heinrichs, Drucker bei der Dix-Druckerei Ehrhardt in Dresden
1) Ein Ausstellungsprojekt
2) Klinger verliebt sich
3) Mord in der Wellingstraße
4) Klinger findet einen Toten
5) Richterbesuch in Dresden
6) Fund in der Galerie
7) Die Druckerei Ehrhardt
8) Jakobis Rettungsversuch
9) Letzte Hoffnung
10) Von Au hat einen Plan
11) Abeleins Geschäfte
12) Eine Versteigerung
13) Abelein stellt einen Sozialhilfeantrag
14) Klinger ermittelt
15) Verhandlung am Verwaltungsgericht
16) Ein Ausverkauf
17) Ein Gerichtsbeschluss
18) Die Rückkehr
19) Dix lernt eine Frau kennen
20) Der Stammtisch
21) Röcker lädt ein
22) Mayers verlassen die Weimarstraße
23) Röcker erfährt etwas
24) Klinger geht fremd
25) Ein Transportproblem
26) Fund unter der Brücke
27) Nelly geht zum Zirkus
28) Otto Dix malt ein Bild
29) Dix muss gehen
30) Schwangerschaft in Dresden
31) Die zweite Tochter
32) Klinger will etwas wissen
33) Armin von Au greift zu
34) Klassentreffen
35) Eine Fotografie
36) Ein hoher Preis
37) Klinger besucht die Kunsthalle
38) Abelein schließt einen Vertrag
39) Klinger fährt Fahrrad
40) Tod am Bodensee
41) Käthe König erbt etwas
42) Katharina König findet etwas
43) Martha vor dem Spiegel
44) Heinrichs goes West
45) Ein Anruf
46) Treffen am Feuersee
47) Hotel Weimar
48) Von Au geht in den Ruhestand
Nachbemerkung
Impressum neobooks
Roman von Stefan Kuntze
Handelnde Personen
I. Vorgeschichte 1927 bis 1984
Otto Dix, malender Grenzgänger, Hemmenhofen und Dresden
Martha Dix, häufig porträtierte Ehefrau von Otto Dix, Hemmenhofen
Käthe König, lange Zeit unbekannte, nie porträtierte Gefährtin von Otto Dix, Dresden
Katharina König, Tochter von Otto Dix, Dresden
II. Hauptteil 1989 bis 1990
Abiturienten des Jahrgangs 1960 in Stuttgart:
Jochen Klinger, Dix-Liebhaber und Verwaltungsrichter
Bernd Köhnle, Dix-Liebhaber und Bauunternehmer
Lorenz Jakobi, Dix-Kenner und Galerist
Arnd Abelein, Merian-Kenner und Kunsthändler
Armin von Au, Dix-Hasser und Leiter des Sozialamts
Weitere Personen:
Rudi Werner, Journalist in Stuttgart
Clemens Gruber, Kollege und Freund von Jochen Klinger in Stuttgart
Ulf Röcker, Obdachloser, Mittel zum Zweck in Stuttgart
Katharina König, Tochter von Otto Dix in Dresden
Falk Heinrichs, Drucker bei der Dix-Druckerei Ehrhardt in Dresden
1) Ein Ausstellungsprojekt
Stuttgart, Mai 1990
Der goldene Hirsch auf der Kuppel des Kunstgebäudes störte Bernd Köhnle nicht. Was für eine ironische Anspielung auf das röhrende Tier, das viele Wohnzimmerwände der Fünfzigerjahre geziert hatte! Dieser Teil des Kunstgebäudes hatte die Bombennächte des Jahres 1944 überlebt, ein kleines Wunder. Es schien fast, als hätten die alliierten Bomberpiloten vor Kulturgütern mehr Respekt zeigen wollen als vor Wohnungen und Betriebsstätten.
Der Bauunternehmer Köhnle trug heute eines seiner dezenteren Jacketts mit hellgrauem Karomuster. Es konnte seinen imposanten Bauch nicht verdecken. Die Abendsonne brachte die Stirnglatze unter den schütteren, ehemals blonden Haaren zum Glänzen. Er stand vor dem Galerieeingang und rauchte schon die vierte Zigarette. Vielleicht sollte er versuchen, den Nikotinkonsum etwas zu reduzieren. Er blickte über den Schlossplatz in Richtung Königsbau, in dem Lorenz Jakobi seine Galerie betrieb. Er fühlte sich weit entfernt von dem Dunst aus Sauerkraut und Staub, der ihm als Erinnerung an seine Kindheit geblieben war. Während des Ingenieurstudiums hatte er sich in einer der christlichen Partei nahestehenden Studentenverbindung hervorgetan. Die Wahl zum Vorsitzenden des Beirats der Galerie der Stadt Stuttgart war die Krönung seiner steilen Karriere. Die Landeshauptstadt wollte und konnte an dem geschäftlich erfolgreichen und kunstsinnigen Bauunternehmer nicht vorbei gehen. Er hatte mit seinen Spenden die Anschaffung einiger Werke von Otto Dix ermöglicht, unter anderem das Bild der Familie des Rechtsanwaltes Dr. Glaser, eine Ikone der Kunstrichtung der Neuen Sachlichkeit.
Das Dillmann-Gymnasium war 1960, dem Jahr von Köhnles Abitur, noch eine reine Knabenschule gewesen. Er und seine Klassenkameraden Lorenz Jakobi und Jochen Klinger hatten mit heißen Köpfen die Bildbände verschlungen, die der Kunstlehrer in einem Nebenraum aufbewahrte. Der exzentrische Blubach gehörte zum Freundeskreis des Galeriedirektors, der unmittelbar nach Kriegsende mit dem Aufbau der inzwischen einmaligen Stuttgarter Otto-Dix-Sammlung begonnen hatte. Als ihm bei der Behandlung der klassischen Moderne die Begeisterung der Siebzehnjährigen aufgefallen war, durften sie manchmal an den freien Nachmittagen in den Zeichensaal kommen.
„Als Dirnenmaler ist er beschimpft worden, der Dix, dabei hat er nur gezeigt, was ist, wenn auch ziemlich drastisch.“ Das konnte man sagen! Die Aquarelle von Vergewaltigung und Lustmord hatten sie erregt, die Lithografien mit Bordellszenen ihnen ganz schön eingeheizt. Das war etwas anderes als die fade kirchliche Aufklärungsbroschüre, die sie von ihren Eltern bekommen hatten. Auch in den Gemälden, die in feinster Lasurmalerei ausgeführt waren, konnte man ungeniert weibliche Geschlechtsteile betrachten und die Hände beneiden, die Brüste drücken und füllige Pobacken quetschen.
Lorenz Jakobi war es als einzigem gelungen, aus der gemeinsamen Kunstbegeisterung seinen Beruf zu machen. Nach dem Kunststudium an der Akademie hatte er 1970 eine Galerie eröffnet, die seit fünf Jahren im Königsbau residierte. Die Geschäfte mussten wohl gut gehen. Jakobi passierte gerade den kleinen Pavillon an der Nordseite des Schlossplatzes und strebte in Richtung Kunstgebäude. Sogar auf die Entfernung erkannte Köhnle das Seidentuch, das er lässig um den Hals trug. Heute hatte es einen leichten Aubergineton. So ein Dandy! Er konnte sich nicht erinnern, Jakobi je ohne Tuch gesehen zu haben.
Köhnle dachte wieder an Otto Dix und die Ausstellung. Die Leidenschaft für diesen Maler mit dem extremen Blick war nach dem Abitur nicht erkaltet, was ihn mit Klinger und Jakobi immer noch verband. Schon beim gemeinsamen Besuch der wiederaufgebauten Galerie am Schlossplatz im Sommer 1961 hatten sie mit großen Augen vor dem Rot der Anita Berber und dem Schmelz von Martha Dix verharrt. Vom Großstadt-Triptychon trennten sie sich erst nach Ewigkeiten. Sex und Elend, Glanz und Schmutz, Eros und Tod: Die Zwanzigjährigen waren davon überzeugt, den Maler verstanden zu haben.
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