Stefan Kuntze - Martha vor dem Spiegel

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Der Maler Otto Dix, war gnadenloser Beobachter der Gesellschaft und begnadeter Porträtist. Aufmerksamkeit erregten sozialkritische Darstellungen und Bilder aus der Bordellszene, die ihm den Vorwurf einbrachten, er produziere Pornografie. Im Nationalsozialismus wurden zahlreiche Werke zerstört oder beschlagnahmt. Einige tauchten im Oktober 2013 im Schwabinger Kunstfund auf.
Otto Dix hat ein Doppelleben geführt. Von 1923 bis zu seinem Tod 1969 war er mit Martha verheiratet. Ab 1927 war er Professor in Dresden und mit Käthe König liiert, die 1939 die gemeinsame Tochter Katharina zur Welt brachte. Von Martha existieren Porträts, von Käthe ist keines bekannt. Eine Lithografie von 1966 zeigt Katharina als Halbakt. Otto Dix lebte in der DDR und in der BRD.
Fünf Schüler des Abiturjahrgangs 1960 leben 1990 noch in Stuttgart. Bernd Köhnle ist Bauunternehmer und Vorsitzender des Beirats der Galerie der Stadt, welche die weltweit größte Dix-Sammlung besitzt. Lorenz Jakobi betreibt eine Galerie und vertreibt Dix-Lithografien. Jochen Klinger ist Verwaltungsrichter. Arnd Abelein hat nach gescheitertem Jurastudium mit Stichen gehandelt. Er will eine nach der Wende sich bietende Chance nutzen, um sich zu sanieren. Armin von Au ist Leiter des städtischen Sozialamtes. Er missbraucht dienstliches Wissen für private Bereicherung.
Als Käthe 1984 stirbt, findet Katharina Briefe ihres Vaters, die pornografische Zeichnungen enthalten. Ihr Schulkamerad Falk Heinrichs verkauft einige über Abelein nach Westdeutschland. Im Frühjahr 1990 findet sie das Gemälde 'Martha vor dem Spiegel', welches dem verschollenen 'Mädchen vor dem Spiegel' ähnelt, das Dix 1923 eine Anklage wegen Verletzung der Sittlichkeit eingebracht hatte und als «entartete Kunst» vernichtet worden ist. Sie will es loswerden.
Die Öffnung der Grenzen 1989 führte dazu, dass es mehrere Interessenten gibt. Heinrichs verhandelt mit Abelein, der das Bild im April 1990 nach Stuttgart holt.

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Stefan Kuntze

Martha vor dem Spiegel

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Inhaltsverzeichnis Titel Stefan Kuntze Martha vor dem Spiegel Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Stefan Kuntze Martha vor dem Spiegel Dieses ebook wurde erstellt bei

Martha vor dem Spiegel Martha vor dem Spiegel Roman von Stefan Kuntze Handelnde Personen I. Vorgeschichte 1927 bis 1984 Otto Dix, malender Grenzgänger, Hemmenhofen und Dresden Martha Dix, häufig porträtierte Ehefrau von Otto Dix, Hemmenhofen Käthe König, lange Zeit unbekannte, nie porträtierte Gefährtin von Otto Dix, Dresden Katharina König, Tochter von Otto Dix, Dresden II. Hauptteil 1989 bis 1990 Abiturienten des Jahrgangs 1960 in Stuttgart: Jochen Klinger, Dix-Liebhaber und Verwaltungsrichter Bernd Köhnle, Dix-Liebhaber und Bauunternehmer Lorenz Jakobi, Dix-Kenner und Galerist Arnd Abelein, Merian-Kenner und Kunsthändler Armin von Au, Dix-Hasser und Leiter des Sozialamts Weitere Personen: Rudi Werner, Journalist in Stuttgart Clemens Gruber, Kollege und Freund von Jochen Klinger in Stuttgart Ulf Röcker, Obdachloser, Mittel zum Zweck in Stuttgart Katharina König, Tochter von Otto Dix in Dresden Falk Heinrichs, Drucker bei der Dix-Druckerei Ehrhardt in Dresden

1) Ein Ausstellungsprojekt

2) Klinger verliebt sich

3) Mord in der Wellingstraße

4) Klinger findet einen Toten

5) Richterbesuch in Dresden

6) Fund in der Galerie

7) Die Druckerei Ehrhardt

8) Jakobis Rettungsversuch

9) Letzte Hoffnung

10) Von Au hat einen Plan

11) Abeleins Geschäfte

12) Eine Versteigerung

13) Abelein stellt einen Sozialhilfeantrag

14) Klinger ermittelt

15) Verhandlung am Verwaltungsgericht

16) Ein Ausverkauf

17) Ein Gerichtsbeschluss

18) Die Rückkehr

19) Dix lernt eine Frau kennen

20) Der Stammtisch

21) Röcker lädt ein

22) Mayers verlassen die Weimarstraße

23) Röcker erfährt etwas

24) Klinger geht fremd

25) Ein Transportproblem

26) Fund unter der Brücke

27) Nelly geht zum Zirkus

28) Otto Dix malt ein Bild

29) Dix muss gehen

30) Schwangerschaft in Dresden

31) Die zweite Tochter

32) Klinger will etwas wissen

33) Armin von Au greift zu

34) Klassentreffen

35) Eine Fotografie

36) Ein hoher Preis

37) Klinger besucht die Kunsthalle

38) Abelein schließt einen Vertrag

39) Klinger fährt Fahrrad

40) Tod am Bodensee

41) Käthe König erbt etwas

42) Katharina König findet etwas

43) Martha vor dem Spiegel

44) Heinrichs goes West

45) Ein Anruf

46) Treffen am Feuersee

47) Hotel Weimar

48) Von Au geht in den Ruhestand

Nachbemerkung

Impressum neobooks

Martha vor dem Spiegel

Roman von Stefan Kuntze

Handelnde Personen

I. Vorgeschichte 1927 bis 1984

Otto Dix, malender Grenzgänger, Hemmenhofen und Dresden

Martha Dix, häufig porträtierte Ehefrau von Otto Dix, Hemmenhofen

Käthe König, lange Zeit unbekannte, nie porträtierte Gefährtin von Otto Dix, Dresden

Katharina König, Tochter von Otto Dix, Dresden

II. Hauptteil 1989 bis 1990

Abiturienten des Jahrgangs 1960 in Stuttgart:

Jochen Klinger, Dix-Liebhaber und Verwaltungsrichter

Bernd Köhnle, Dix-Liebhaber und Bauunternehmer

Lorenz Jakobi, Dix-Kenner und Galerist

Arnd Abelein, Merian-Kenner und Kunsthändler

Armin von Au, Dix-Hasser und Leiter des Sozialamts

Weitere Personen:

Rudi Werner, Journalist in Stuttgart

Clemens Gruber, Kollege und Freund von Jochen Klinger in Stuttgart

Ulf Röcker, Obdachloser, Mittel zum Zweck in Stuttgart

Katharina König, Tochter von Otto Dix in Dresden

Falk Heinrichs, Drucker bei der Dix-Druckerei Ehrhardt in Dresden

1) Ein Ausstellungsprojekt

Stuttgart, Mai 1990

Der goldene Hirsch auf der Kuppel des Kunstgebäudes störte Bernd Köhnle nicht. Was für eine ironische Anspielung auf das röhrende Tier, das viele Wohnzimmerwände der Fünfzigerjahre geziert hatte! Dieser Teil des Kunstgebäudes hatte die Bombennächte des Jahres 1944 überlebt, ein kleines Wunder. Es schien fast, als hätten die alliierten Bomberpiloten vor Kulturgütern mehr Respekt zeigen wollen als vor Wohnungen und Betriebsstätten.

Der Bauunternehmer Köhnle trug heute eines seiner dezenteren Jacketts mit hellgrauem Karomuster. Es konnte seinen imposanten Bauch nicht verdecken. Die Abendsonne brachte die Stirnglatze unter den schütteren, ehemals blonden Haaren zum Glänzen. Er stand vor dem Galerieeingang und rauchte schon die vierte Zigarette. Vielleicht sollte er versuchen, den Nikotinkonsum etwas zu reduzieren. Er blickte über den Schlossplatz in Richtung Königsbau, in dem Lorenz Jakobi seine Galerie betrieb. Er fühlte sich weit entfernt von dem Dunst aus Sauerkraut und Staub, der ihm als Erinnerung an seine Kindheit geblieben war. Während des Ingenieurstudiums hatte er sich in einer der christlichen Partei nahestehenden Studentenverbindung hervorgetan. Die Wahl zum Vorsitzenden des Beirats der Galerie der Stadt Stuttgart war die Krönung seiner steilen Karriere. Die Landeshauptstadt wollte und konnte an dem geschäftlich erfolgreichen und kunstsinnigen Bauunternehmer nicht vorbei gehen. Er hatte mit seinen Spenden die Anschaffung einiger Werke von Otto Dix ermöglicht, unter anderem das Bild der Familie des Rechtsanwaltes Dr. Glaser, eine Ikone der Kunstrichtung der Neuen Sachlichkeit.

Das Dillmann-Gymnasium war 1960, dem Jahr von Köhnles Abitur, noch eine reine Knabenschule gewesen. Er und seine Klassenkameraden Lorenz Jakobi und Jochen Klinger hatten mit heißen Köpfen die Bildbände verschlungen, die der Kunstlehrer in einem Nebenraum aufbewahrte. Der exzentrische Blubach gehörte zum Freundeskreis des Galeriedirektors, der unmittelbar nach Kriegsende mit dem Aufbau der inzwischen einmaligen Stuttgarter Otto-Dix-Sammlung begonnen hatte. Als ihm bei der Behandlung der klassischen Moderne die Begeisterung der Siebzehnjährigen aufgefallen war, durften sie manchmal an den freien Nachmittagen in den Zeichensaal kommen.

„Als Dirnenmaler ist er beschimpft worden, der Dix, dabei hat er nur gezeigt, was ist, wenn auch ziemlich drastisch.“ Das konnte man sagen! Die Aquarelle von Vergewaltigung und Lustmord hatten sie erregt, die Lithografien mit Bordellszenen ihnen ganz schön eingeheizt. Das war etwas anderes als die fade kirchliche Aufklärungsbroschüre, die sie von ihren Eltern bekommen hatten. Auch in den Gemälden, die in feinster Lasurmalerei ausgeführt waren, konnte man ungeniert weibliche Geschlechtsteile betrachten und die Hände beneiden, die Brüste drücken und füllige Pobacken quetschen.

Lorenz Jakobi war es als einzigem gelungen, aus der gemeinsamen Kunstbegeisterung seinen Beruf zu machen. Nach dem Kunststudium an der Akademie hatte er 1970 eine Galerie eröffnet, die seit fünf Jahren im Königsbau residierte. Die Geschäfte mussten wohl gut gehen. Jakobi passierte gerade den kleinen Pavillon an der Nordseite des Schlossplatzes und strebte in Richtung Kunstgebäude. Sogar auf die Entfernung erkannte Köhnle das Seidentuch, das er lässig um den Hals trug. Heute hatte es einen leichten Aubergineton. So ein Dandy! Er konnte sich nicht erinnern, Jakobi je ohne Tuch gesehen zu haben.

Köhnle dachte wieder an Otto Dix und die Ausstellung. Die Leidenschaft für diesen Maler mit dem extremen Blick war nach dem Abitur nicht erkaltet, was ihn mit Klinger und Jakobi immer noch verband. Schon beim gemeinsamen Besuch der wiederaufgebauten Galerie am Schlossplatz im Sommer 1961 hatten sie mit großen Augen vor dem Rot der Anita Berber und dem Schmelz von Martha Dix verharrt. Vom Großstadt-Triptychon trennten sie sich erst nach Ewigkeiten. Sex und Elend, Glanz und Schmutz, Eros und Tod: Die Zwanzigjährigen waren davon überzeugt, den Maler verstanden zu haben.

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