„Hallo, Bernd, Jochen hier, wie geht’s denn so? Was machen die Vorbereitungen für die Ausstellung?“
„Jochen, schön, dass du anrufst. Wegen der Dix-Ausstellung habe ich nämlich diese Woche an dich gedacht.“
„Nicht wegen des Klassentreffens?“
„Nein, wir haben über die Vorbereitungen im Beirat der Galerie diskutiert und da habe ich etwas gehört, das ich dir erzählen möchte.“
„Da bin ich gespannt.“
„Stell dir vor, der Lorenz war in Dresden …“
„Da war ich letztes Jahr auch. Das ist heute keine Kunst.“
„Ha, ha, du bleibst ein Witzbold. Nein, was ich dir berichten wollte: Er hat Katharina König besucht.“
„Oho, das klingt schon interessanter … und was weiter?“
„Er meinte, dass es bei ihr oder dem Drucker, dem Ehrhardt, noch einige Sachen zu holen gibt.“
„Da hast du deine Greiftrupps sicher schon losgeschickt.“
„Ich sagte ja, Witzbold! Aber jetzt mal im Ernst, vielleicht gelingt es wirklich, im nächsten Jahr in Stuttgart eine Sensation zu präsentieren.“
„Na, da wünsche ich euch viel Erfolg.“ Jochen Klinger ärgerte sich über den angeberischen Ton. Er beendete das Gespräch. Der Wald war immer noch grün. Er fragte sich, ob in Dresden außer ein paar Lithografien oder Zeichnungen noch etwas Unbekanntes vorhanden sein würde. Was nicht in den Museen hing, war von den Nazibarbaren oder durch den von ihnen angezettelten Krieg zerstört worden oder die von dem Unrechtsregime beauftragten Aufkäufer hatten es ins Ausland verhökert. Das galt auch für die beschlagnahmten Sachen. Die Gerüchte von gebunkerten Kunstschätzen, die Jakobi gerne verbreitete, nahm Klinger nicht ernst. Er beschloss, an einem der nächsten Tage mit Sonja Buri in die städtische Galerie zu gehen.
3) Mord in der Wellingstraße
Stuttgart, 20. Juni 1990 nachmittags
Bürgerlicher Friede lag über der Wellingstraße. Die frühsommerliche Wärme trieb die Rosenblüte auf einen ersten Höhepunkt. Im nahe gelegenen Bädle, dem kleinsten Stuttgarter Freibad, tummelten sich Mütter mit Kleinkindern. Dieser Bereich des Stadtteils Sillenbuch mit seinen üppig bewachsenen Grundstücken war vom Durchgangsverkehr auf der Kirchheimer Straße durch zwei Straßenzeilen getrennt. Man fühlte sich in eine vermeintlich ruhigere Zeit versetzt, in der die meisten Häuser in diesem Stadtteil errichtet worden waren. Mit der Eingemeindung nach Stuttgart im Jahr 1937 war es allerdings mit der Gemütlichkeit erst einmal vorbei.
Zwischen den behäbigen Dreißigerjahrebauten stach der Flachdachbungalow ins Auge. Arnd Abelein war als Jugendlicher von der Modernität seines Elternhauses begeistert gewesen, jetzt machte er sich Sorgen wegen des undichten Daches und des Efeus, der die Seitenwand aufzufressen drohte. Abelein war nach dem vergeblichen Versuch, einen juristischen Abschluss zu erreichen, früh zum Erben seiner Eltern geworden und stieg anschließend mit dem Verkauf der ansehnlichen Sammlung der Familie in den Kunsthandel ein, wo er leidlich erfolgreich agierte. Seine Spezialität waren Stiche und Lithografien und sonstige grafische Werke. Wegen seiner Spielsucht hatte die Ehefrau ihn vor drei Jahren verlassen und seither wirkte seine äußere Erscheinung etwas ungepflegt.
Zwar trug er nach wie vor am liebsten schwarze Rollkragenpullover, wie er es in den Jahren vor dem Abitur begonnen hatte. Köhnle, Klinger und viele andere in der Klasse hatten ihn deswegen oft gehänselt, aber er war dabei geblieben. Im Oberstufenunterricht war auch Sartre und sein Werk Thema gewesen. Ihr Klassenlehrer, der alte Stegmann, hatte zwar keine Ahnung vom Existenzialismus, aber Abelein war von dem Thema fasziniert. Er las sogar einige einschlägige Literatur. Endlich konnte er sich von den ganzen Überfliegern absetzen und da keiner seine Leidenschaft teilte, bestand auch nicht die Gefahr, dass er sich in einer Diskussion blamierte. Das galt vor allem für diesen eingebildeten Lorenz Jakobi.
Heute steckte Abelein in einer unpassenden, hellen Cordhose. Die schwarze war in der Reinigung. Er war leicht irritiert. Auf den überraschend angekündigten Besuch konnte er sich keinen Reim machen. Es lief doch bestens. Heute Vormittag war es ihm endlich gelungen, das Geschäft seines Lebens abzuschließen. Was sollte es noch zu besprechen geben?
Abelein goss die Grünpflanzen auf dem Fenstersims. Er war nicht richtig bei der Sache und musste anschließend die nass gewordene kleine Bronze-Eva abwischen, die dort wie eine Amazone im Urwald versteckt war. Aus dem halb zugewachsenen Fenster konnte er nur einen Teil des Nachbargartens bis zu seinem Hauseingang sehen. Der Mann stand vor der Tür und suchte nach dem vom Efeu überwucherten Klingelknopf. Abelein hatte kein Motorengeräusch gehört. Er öffnete die Hautür.
„Hallo, schon da? Komm rein!“
„Danke! Schönes Haus hast du und so modern.“
„Das war es vielleicht einmal.“
Sie nahmen am Esstisch Platz mit Blick auf den ungepflegten Garten.
„Darf ich dir etwas anbieten: Whisky, Cognac, Wasser?“
„Gerne ein Glas Wasser.“ Abelein brachte das Gewünschte für seinen Gast und einen doppelten Whisky für sich selber. Den hatte er sich verdient.
„Du bist sicher nicht hier aufgetaucht, um über Architektur zu sprechen. Was willst du von mir?“
„Siehst du, es ist so, naja, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll…“ Der Gast betrachtete die unregelmäßig geformte Statuette der nackten Frau, die auf dem Sims vor dem kleinen Fenster stand. Abelein hatte die Bronze von dem Bildhauer Nuss aus dem Remstal erstanden. Sie war auf einem Marmorsockel befestigt.
Der Besucher setzte erneut an und was der Hausherr in den nächsten zehn Minuten zu hören bekam, konnte ihm nicht gefallen.
„Das geht nicht. Wo denkst du hin?“ Eine rot getigerte Katze saß auf Abeleins Schoß. Sie war während des Gesprächs laut maunzend auf ihn gesprungen.
„Du hast mich wohl nicht richtig verstanden. Ich bestehe auf…“
Das Telefon gab Laut. Die Katze verschwand beleidigt in der Küche und Abelein war froh über die Unterbrechung.
„Abelein, …. Ach, Jochen, du bist es. Was gibt’s?“ Er sah aus den Augenwinkeln, dass auch sein Besucher aufgestanden war und sich vor das kleine Fenster stellte.
„Jaja, das Klassentreffen war wirklich nett. Dass du die Vorbereitung auf dich genommen hast, ist aller Ehren wert. … Doch, wirklich ... Was willst du denn wissen? … Hör mal, dass du am Verwaltungsgericht Dinge machen musst, die dir nicht passen, ist doch kein Grund …“ Der Besucher wandte den Kopf. Er sah nachdenklich aus. „Ich bin gleich fertig … Entschuldige, Jochen, meinetwegen können wir ja einmal darüber reden. ... Nein, dem Röcker hab ich geholfen. Die Wohnung … also wirklich. Jochen, ich hab jetzt noch zu tun. …. Einverstanden. Bis dann!“
„Entschuldige die Unterbrechung. Das war mein Klassenkamerad Jochen Klinger. Also, es tut mir wirklich leid, aber ich kann deinem Wunsch nicht nachkommen. Da du schon einmal hier bist, hätte ich dir ein paar andere interessante Sachen anzubieten, echte Merian-Stiche zum Beispiel.“
Der Besucher schien interessiert. „Gut, gehen wir in dein Magazin.“
„So dick habe ich es nicht. Meine Sachen sind hier im Haus.“
Abelein öffnete die Tür zum Nebenzimmer, das wohl beim Bau als Schlafzimmer geplant worden war. Ein paar Regale und Ständer waren zu sehen. Er streifte sich ein Paar weiße Handschuhe über, wie sie Restauratoren und Galeristen benützen. Ein zweites reichte er seinem Gast. Er wandte sich wieder dem kleinen Nebenraum zu. Der Besucher trat hinter ihn und betrachtete den über eine Mappe gebeugten Kopf Abeleins. Die Haare waren so kurz geschnitten, dass man in der Bürstenfrisur die grauen Strähnen nicht erkennen konnte.
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