Veronika Wetzig - Verdächtige Stille

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Nur für einen Augenblick verlässt Ben das gemütliche Wohnzimmer. Doch dieser Moment genügt, um sein Leben für immer zu verändern. Seine Frau Marie verschwindet spurlos und für Ben beginnt eine rastlose Suche. Dabei scheint jeder seiner Schritte genauestens verfolgt zu werden. Und so kommt zu der Angst um seine Frau eine weitere hinzu: Ist auch Annely, seine kleine Tochter in Gefahr?

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Verdächtige Stille

Ariane Werbel

&

Veronika Wetzig

Verdächtigte Stille

Ariane Werbel, Veronika Wetzig

Copyright: © 2013 Ariane Werbel, Veronika Wetzig

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-4918-7

Prolog

Das kleine Haus, nah am Rand einer Klippe scheint dem nahenden Unwetter trotzig entgegen zu blicken. Dunkle Wolken bauschen sich am Horizont und es ist, als würde die Welt den Atem anhalten. Kein Vogel singt, kein Blatt bewegt sich, nur das dumpfe Rauschen der Brandung ist zu hören.

Eine starke Windböe beendet die bedrückende Stille. Als wäre mit dieser der Bann endlich gebrochen, nimmt das Unwetter jetzt rasch zu und schon peitscht der Regen über die nahen Klippen und Wälder.

Jaulend fegt der Wind um die Ecken des kleinen Hauses und fängt sich in den Bettlaken, die noch am Nachmittag sorgfältig zum Trocknen aufgehängt wurden. Durch den Regen sind sie wieder nass und schwer, trotzdem drohen sie, durch den Sturm von der Leine gerissen zu werden. Wie Gespenster tanzen sie in der Nacht.

Das kleine Haus knarzt und quietscht in seinen Grundfesten. Nur zwei der kleinen Fenster sind schwach erleuchtet und blicken wie zwei müde Augen in das Dunkel. Hin und wieder huscht ein Schatten vorüber, doch noch ahnt keiner der Bewohner, was im Dunkel des anliegenden Waldes auf sie lauert.

Wieder prallt ein Windstoß gegen die Front des Hauses und zerzaust die üppigen Kletterpflanzen, die sich in den letzten Jahren ihren Weg bis zum Dachfirst gesucht haben. Wild peitschen die langen Ranken durch die Luft, während ihre toten Blätter durch den verwilderten Vorgarten wirbeln. Kniehoch wächst das Gras und wilde Brombeersträucher haben das Refugium übernommen. Begierig schlängeln sie ihre Arme bereits in Richtung des angrenzenden Waldes. Der kleine Garten gleicht einem Urwald und so ist es fast unmöglich, das schmale Augenpaar auszumachen, das sich im Unterholz des Waldes versteckt und das heimische Treiben im Haus beobachtet.

Im Schutz der Dunkelheit und des wütenden Sturmes, wagt es sich langsam aus seinem Versteck. Vorsichtig und sehr langsam durchbricht eine gebückte Gestalt das Dickicht. Das Ende des Waldes ist schnell erreicht. Jetzt können nur noch karge Sträucher Deckung bieten. Das hohe Gras raschelt bedrohlich, doch das Prasseln des Regens und das Wüten des Sturmes übertönen die sich nähernden Schritte.

Fast ist es geschafft, die kleine Gartenpforte ist zum Greifen nahe. Da plötzlich öffnet sich die Tür des kleinen Hauses und ein schmaler Lichtstreifen fällt auf den Weg.

1. Kapitel

Samstag, 29. Oktober, 19:00 Uhr

Entspannt tritt Ben vor die Haustür. Endlich mal ein Abend ohne endlose Diskussionen mit seiner fünfjährigen Tochter. Nur er und Marie. „Herrlich“, denkt er und streckt die Schultern nach hinten.

Hinter sich hört er das Klappern von Geschirr und als er die Tür bis auf einen schmalen Spalt zuzieht und durch eines der kleinen Fenster ins Haus hinein späht, sieht er, wie seine Frau Marie die Reste des Abendessens zusammenräumt.

Ben genießt diesen kurzen Augenblick als stiller Beobachter. Es kam nicht allzu oft vor, dass sie einen Abend ohne ihre Tochter Annely verbringen konnten und so hatten sie sich für heute Abend etwas ganz Besonderes vorgenommen. Sie hatten zusammen gekocht, das heißt eigentlich hat Marie ihn zum Zwiebelschneiden verdonnert und anschließend Anweisungen für die Zubereitung der Lasagne erteilt, während sie selbst in Kochschürze und mit erhobenem Kochlöffel jeden seiner Handgriffe mit Argusaugen verfolgte. Weil er sich aber immer wieder von ihren unter der Kochschürze verborgenen Rundungen hatte ablenken lassen, erbarmte sie sich schließlich, zumindest die Soße und noch einen kleinen Salat zuzubereiten.

Das Essen war köstlich und bei Kerzenschein und gutem Wein saßen sie eine gute Stunde zusammen und genossen das mehr oder weniger gemeinsam zubereitete Festmahl. Zugegeben: eigentlich waren es nur vierzig Minuten. Ben schmunzelt bei dem Gedanken daran, wie sie zwischen dem Salat und der Lasagne spontan übereinander hergefallen sind. Marie kicherte ausgelassen, da er mindestens drei Minuten allein damit beschäftigt war, sie aus ihrer unbequemen Kochschürze zu befreien.

Die Lasagne war währenddessen zwar erkaltet, doch das anhaltende wohlige Gefühl sorgte dafür, dass er sie trotzdem mit einem breiten Dauergrinsen im Gesicht bis auf den letzten Bissen verschlang.

Nun steht Ben unter dem schmalen Vordach der kleinen Hütte und lässt sich von dem aufsteigenden Sturm einlullen. Nach wenigen Augenblicken muss er jedoch überrascht feststellen, dass seine innere Wärme dennoch nicht ausreicht, um es länger hier draußen auszuhalten und so beschließt er, noch einmal zurückzugehen und sich eine Jacke überzuziehen, um in Ruhe seine letzte Zigarette genießen zu können.

Seit der Geburt von Annely rauchte er nur noch sporadisch, meistens nur um einfach mal eine kurze Zeit für sich zu sein. Am letzten Sonntag jedoch, als sie im Kreise der Familie Annelys fünften Geburtstage feierten, durfte er sich einen nicht enden wollenden Vortrag seiner Tochter anhören, in dem sie ihn ausführlich über das bestehende Gesundheitsrisiko beim Rauchen aufklärte, wobei sie ihn mit Wörtern wie Thrombose und Lungenkrebs bombardierte. Als seine hilfesuchenden Blicke auch Marie nicht erweichen ließen ihn zu verteidigen, gab er sich schließlich geschlagen und versprach hoch und heilig, sein Laster zukünftig aufzugeben.

Den Ausblick über die Klippen genießend, zündet Ben sich seine letzte Zigarette an und entspannt sich angesichts der einsamen Weite. Seine Gedanken kreisen wieder um ihren kürzlich vollendeten Liebesakt und noch immer spürt er Maries warme Hände, die gierig nach seinem Körper greifen, als ein starker Windstoß ihn erfasst und taumeln lässt. Erschrocken sieht er sich um. Täuschte er sich oder war dort gerade eine Gestalt zu sehen? Unwillig wirft er die Zigarette ins Gras und geht vorsichtig Richtung Schuppen.

Da, wieder huscht ein Schatten über die Schuppenwand. Ben sprintet zum Schuppen und schiebt sich langsam um die Ecke, als etwas seinen Arm streift. Erschrocken springt er zurück, doch dann lacht er befreit auf. Die nassen Laken hatten ihm doch tatsächlich einen Streich gespielt. Er dreht sich um und geht zurück zum Haus. Er würde gleich seine Frau bitten, die nassen Dinger herein zu holen.

Ben ist noch nicht bei der Haustür angekommen, als ein lauter, nicht enden wollender Schrei die Stille durchbricht. So hell und furchteinflößend, dass ihm unweigerlich ein Schauer über den Rücken läuft und sich seine Nackenhaare aufstellen. Starr vor Schreck bleibt er beim Schuppen stehen, unfähig zu begreifen, dass der Schrei aus dem Haus ertönt und die Stimme seiner Frau gehört. Abrupt endet der Schrei und die plötzliche Stille reißt Ben aus seiner Starre. Eilig rennt er durch den Regen Richtung Haustür. Doch als er sie aufstoßen will, ist sie verschlossen. Er rüttelt und zerrt, doch sie gibt nicht nach. Drinnen ist alles ruhig und das schwache Licht, das noch immer so gemütlich durch die kleinen Fenster nach draußen dringt, scheint Ben verhöhnen zu wollen. Panisch sieht er sich um. Irgendwie muss er ins Haus kommen.

Er hastet zur Rückseite, doch auch hier sind wegen des Unwetters alle Fenster fest verschlossen. Fluchend schlägt Ben gegen eines der Fensterkreuze. Es muss doch irgendwie möglich sein, ins Haus zu kommen! Der Schuppen! Eilig wendet er sich ab und rennt zurück. Regen rinnt ihm von seinen wirr in die Stirn hängenden Haare in die Augen. Der Weg erscheint ihm endlos. Immer wieder schlingen sich Gras und wilde Brombeerranken um seine Füße als wollten sie ihn daran hindern, an sein Ziel zu gelangen. Endlich erreicht er die verwitterte Schuppentür. Er reißt sie auf und tastet hastig nach dem Lichtschalter neben der Tür. Als er ihn schließlich findet und den Kippschalter betätigt passiert jedoch nichts. Fieberhaft schaltet er ihn mehrmals ein und aus, doch das Ergebnis bleibt das gleiche: nur schwarze Finsternis liegt vor ihm. Kurz überkommt ihn Panik. Entschlossen ringt er sie jedoch nieder und versucht, einen klaren Kopf zu behalten. Er brauchte geeignetes Werkzeug, um ins Haus zu gelangen. Seine Axt! Ben rennt blind in den Schuppen hinein und stößt mit dem Knie an eine harte Kante. Er flucht, ignoriert jedoch den Schmerz. Seine Gedanken drehen sich nur noch um die Axt. Letztens hatte er sie doch noch in der Hand. Während Ben wild um sich greift, fällt es ihm wieder ein, er hatte sie seinem Bruder Felix geliehen, der damit das neue Gartenspielhaus für seine beiden Töchter zimmern wollte. Dann musste eben etwas anderes herhalten.

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