„Sehr weise. Ich komme leider kaum dazu, mal private Reisen zu unternehmen.“ Er klang nicht so, als ob er das wirklich bedauerte. „Aber wenn es soweit ist, werde ich Sie um Rat fragen …“
„Paris.“ Charlotte lächelte zuckersüß. „Im Zweifelsfalle empfehle ich immer Paris. Oder, wenn Sie es etwas turbulenter mögen: Barcelona.“
Der Barkeeper servierte die Getränke.
„Mein Leben ist turbulent genug“, versicherte der Fremde. „Gestern Oslo, heute Berlin, morgen Mailand. Sie wissen schon …“
Charlotte glaubte ihm kein Wort und die Unterhaltung begann, ihr Vergnügen zu bereiten. „Darf ich fragen, welche Geschäfte Sie betreiben? Das hört sich sehr aufregend an!“
„Auktionen.“ Er hob sein Glas. „Zum Wohl, schöne Reiseexpertin!“
„Sie sind Auktionator?“ Sie nippte an ihrem ‚Red Stiletto’. Das Getränk war widerlich süß.
„Nein.“ Der Fremde lachte. „Ich besuche alle wichtigen Auktionen und ersteigere Exponate für meine Auftraggeber. Ich bin Kunstagent.“
„Ach?“ Charlotte klimperte mit den Wimpern. „Was es alles gibt.“
Er schmunzelte. „Schmeckt Ihnen der Cocktail?“
„Ganz hervorragend. Danke für den Tipp.“ Sie leckte sich über die Lippen.
„Sehr schön.“ Er zwinkerte ihr zu. „Wissen Sie, in meinem Beruf erlangt man über die Jahre Menschenkenntnis. Ich dachte mir sofort, dass Sie es süß mögen.“
„Und unsere Hauptstadt ist also immer einer Auktionsreise wert?“, bohrte Charlotte weiter. Sie wollte endlich wissen, was der Kerl hier tatsächlich trieb.
Er leerte sein Glas. „Nehmen Sie auch noch einen?“
„Gern.“ Charlotte hatte Mühe, das Gesicht nicht zu verziehen.
„Nochmal die gleiche Runde“, verlangte er und wandte sich wieder Charlotte zu. „Nun ja, man findet hier schon interessante Objekte. Allerdings mehr im kleineren Stil. Bei Gelegenheit erwerbe ich auch etwas, das ich erst später weiterverkaufe.“
Charlotte strahlte ihn an. „Sie sind ein richtiger Kenner, wow!“
Er lächelte sichtlich geschmeichelt. „Diese Branche ist ein Haifischbecken.“
Charlotte riss die Augen weit auf. „Oje. Wirklich? Ich dachte immer, Kunst und Kultiviertheit gehörten zusammen.“
„Wie überall auf der Welt, geht es auch in der Kunstbranche in erster Linie ums Geld“, dozierte er. „Um viel Geld. Ums große Geld. Und nicht alle Kunstsammler sind an Kultur interessiert oder gar kultiviert. Sie wissen schon, Niveau und Geist gibt es für kein Geld der Welt zu kaufen.“
Charlotte lachte. „Da sagen Sie etwas. Darf ich Sie zitieren?“
„Aber sicher.“ Er lachte. „Ich bitte darum.“
„Verraten Sie mir dann, wen ich als Urheber dieser Erkenntnis nennen darf?“ Sie beobachtete den Barkeeper beim Mixen ihres zweiten ‚Red Stiletto’.
„Oh, Verzeihung.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Johannes Bernburg. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
Charlotte überlegte blitzschnell. Wenn er einer von Kogelmanns speziellen Mandanten war, würde ihr Name unter Umständen unter irgendwelchen Schriftstücken auftauchen. Sie musste vorsichtig sein. „Lehmann. Charlotte Lehmann.“
„Freut mich sehr, liebe Charlotte Lehmann.“ Er nahm dem Barkeeper das Cocktailglas ab und reichte es ihr. Dann schnappte er sich seinen eigenen Drink. „Nennen Sie mich doch bitte Johannes.“
„Gern. Charlotte.“ Sie prostete ihm zu, nippte am Glas und räusperte sich. „Und Sie sind nur wegen einer Auktion in Berlin?“
Er runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“
„Nun ja …“ Charlotte warf ihm einen langen Blick zu. „Sie kennen doch sicherlich überall auf der Welt viele Leute, nicht wahr?“
„Ach so.“ Er lachte. „Ja, natürlich. Alte Freunde berate ich gern, wenn sie Hilfe brauchen. In allen Lebenslagen, versteht sich.“
Charlotte beobachtete, wie er das zweite Glas in einem Zug leerte. Der Typ war Alkohol gewohnt und würde sich vermutlich nicht zu unkontrollierten Plaudereien hinreißen lassen.
„Nehmen Sie noch einen?“ Er zeigte auf ihr kaum berührtes Cocktailglas.
„Nein danke.“ Charlotte kramte ihr Smartphone aus der Tasche. „Entschuldigung.“ Sie wischte auf dem Display herum. „Oh, das ist wichtig. Einen Moment bitte!“ Sie zog sich, das Telefon am Ohr, in eine Ecke der Bar zurück und tat so, als würde sie telefonieren. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, dass der Typ noch einen weiteren Drink orderte.
Als Charlotte an ihren Platz an der Bar zurückkehrte, hatte Johannes Bernburg auch dieses Glas fast geleert. Sie seufzte. „Es tut mir leid. Ich muss gehen. Ein Notfall.“
Er sah sie an. „Wie schade …“
Charlotte zückte ihr Portemonnaie. „In der Tat. Vielleicht setzen wir unser nettes Gespräch ein andermal fort.“ Sie reichte dem Barkeeper einen Schein. „Stimmt so.“
Vor dem Hotel warteten mehrere Taxis. Charlotte warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast Mitternacht. Sie konnte also wieder über ihr Loft verfügen.
Am Morgen nahm Marius Vermeer nur einen Espresso im Stehen zu sich. Er hatte sich in der Nacht lange im Bett herumgewälzt und war erst gegen vier Uhr eingeschlafen. Er hatte beinahe den Wecker überhört und fühlte sich matt. Immer noch schwirrte ihm dieser seltsame Montano mit seinem noch seltsameren Auftrag im Kopf herum. Meinte dieser Typ wirklich, ihn mit hunderttausend Euro und einem Foto zu einem Mord zu bringen? Was für ein Idiot! Und diese Telefonnummer. Er würde doch niemals irgendeine Nummer anrufen, um solch delikate Angelegenheiten zu verhandeln. Auf so eine dämliche Idee kamen nicht einmal Undercover-Ermittler.
Marius verschloss sorgfältig die Haustür hinter sich und lief hinüber zur Garage. Mit der Fernbedienung am Schlüsselbund öffnete er das Tor und klemmte sich hinter das Steuer seines Sportwagens.
Als er den Wagen anließ, schloss sich das Tor wieder. Nanu, war er auf den Knopf der Fernbedienung gekommen? Er drückte erneut, das Tor fuhr ein Stück hoch und gleich wieder herunter. Marius fluchte „Scheißtechnik!“ und ließ den Motor aufheulen. Das Spiel wiederholte sich erneut. Dann schloss sich das Tor und blieb unten, sosehr er auch auf den Knopf der Fernbedienung einhämmerte.
„Ich würde den Motor lieber ausschalten, sonst ersticken wir hier noch.“ Eine Männerstimme war dicht an Marius´ Ohr. Sogleich spürte er einen metallischen Gegenstand im Nacken.
Er schaltete den Motor aus und nahm langsam die Hände nach oben.
„Siehst du, so kann man sich auch viel besser unterhalten“, höhnte die Stimme hinter ihm.
Marius atmete tief durch und beschloss zu schweigen. Er hatte keinen Zweifel, dass das Metall in seinem Nacken die Mündung einer Waffe war.
„Du hast einen Fehler gemacht, Vermeer. Das mag ich nicht.“ Marius wartete ab. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.
„Du hast meine Ware in die falschen Hände gegeben. Das lasse ich mir nicht gefallen.“
Marius dachte nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, wovon dieser Mensch sprach.
„Du weißt genau, was ich meine!“ Der Druck im Nacken verstärkte sich. „Du hast meine albernen Heiligen einfach der Konkurrenz überlassen.“
Daher wehte also der Wind. Er meinte die Skulpturen aus Südamerika. Marius hatte sich schon gedacht, dass mit denen etwas faul war. Fünzigtausend Euro für den Schund.
„Gibst sie einfach irgendeinem daher gelaufenen Kurier. Vermeer, du wirst alt und unvorsichtig.“
Marius spürte seine Arme schwer werden. Er hatte nicht aufgepasst, das stimmte. Erst dieser Südländer, der ihn abgelenkt hatte, dann war er nur froh gewesen, die Skulpturen loszuwerden. Dabei hätte er hellhörig werden müssen, als gleich zwei Kuriere aufgetaucht waren. In solchen Fällen involvierte man schließlich möglichst wenige Personen, und diese fünf Heiligen wären leicht von einem Einzelnen zu transportieren gewesen. Stattdessen waren zwei erschienen. Wahrscheinlich, weil sie mit Widerstand gerechnet hatten und ihn im Zweifelsfalle so leicht hätten überwältigen können.
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