Von oben her fehlte es auch nicht an bösen Beispielen. Kaum verkündete Pan Skoraszewski das Herannahen des schwedischen Heeres, als der Kriegsrat dem Pan Siegmund Grudzinski, für den sich sein Onkel, der Kaliszer Wojewod, verwendet hatte, die Erlaubnis gab, nach Hause zurückzukehren.
»Wenn ich schon hier mein Leben lassen muß,« so begründete der Wojewod sein Gesuch, »so soll mich wenigstens mein Neffe überleben, damit meine Verdienste und mein Ruhm sich auf ihn vererben.«
Und dann führte er die Jugend und Unschuld des Neffen und seine eigene Freigebigkeit, mit der er der Republik hundert ausgezeichnete Infanteristen zur Verfügung stellte, ins Feld, und der Kriegsrat gab den Bitten des Onkels nach.
An demselben Tage fanden sich mehrere hundert Edelleute, die dem Pan Grudzinski in nichts nachstehen wollten. Viele fragten erst gar nicht um Erlaubnis, sondern verließen einfach das Lager. – Man rief den Kriegsrat wieder ein, aber die ganze Schlachta wollte an ihm teilnehmen. Als die Nacht hereinbrach, herrschte wüster Lärm und große Unruhe. Einer hatte den anderen in Verdacht, daß er fliehen wolle. Und überall ertönten die Rufe: »Entweder alle, oder niemand!«
Es entstanden Gerüchte, daß die Führer das Heer verlassen wollten, und die Wojewoden mußten sich mehrmals der aufgeregten Menge zeigen. Mehrere tausend Mann saßen bis zum Tagesanbruch zu Pferde, und der Posener Wojewod ritt mit entblößtem Kopfe ihre Reihen entlang und wiederholte jede Minute die großen Worte:
»Panowie! Mit euch leben und sterben!«
An manchen Stellen empfing man ihn mit Vivat-Rufen, an anderen aber spottete man über ihn. Er aber, nachdem er die Menge besänftigt hatte, kehrte heiser, ermüdet, berauscht von der Majestät seiner eigenen Worte, in den Rat zurück. Er glaubte fest, daß er sich in dieser Nacht große Verdienste um das Vaterland erworben hatte.
Aber im Rat sprach er nicht mehr so beredt und überzeugend, er wiederholte ganz verzweifelt:
»Findet Mittel, wenn ihr könnt! Ich wasche meine Hände in Unschuld. Mit solchen Soldaten kann man keinen Verteidigungskampf führen. – Und dann, wir haben ja keine Geschütze. Unsere Mörser sind gerade gut genug, um Böllerschüsse abzugeben.«
»Bei Zbaraz hatte Chmielnicki 70 Geschütze, Fürst Jeremias aber hatte nur mehrere Haubitzen,« warf Pan Skrzetuski ein.
»Fürst Jeremias aber verfügte über ein gutgeschultes Heer, dessen Ruhm in der ganzen Welt verbreitet war, er hatte keine solchen Herren Schafzüchter wie wir hier.«
»Das beste ist, man schickt nach Pan Skoraszewski,« empfahl Pan Czarnkowski, der Posener Kastellan. – »Er ist allgemein beliebt und wird es verstehen, die Schlachta in Zucht zu halten.«
»Nach Skoraszewski schicken!« stimmte auch Pan Grudzinski bei.
»Ja, ja, das ist ein ausgezeichneter Rat!« ertönten mehrere Stimmen.
Man sandte einen Boten nach Skoraszewski. Andere weitere Beschlüsse faßte der Rat nicht; aber von allen Seiten wurden viele Klagen über den König, die Königin und den Mangel an Truppen laut.
Auch der folgende Morgen brachte keinen Trost, keine Beruhigung. Im Gegenteil, der Wirrwarr vergrößerte sich noch. Das Gerücht lief umher, daß die Calvinisten bereit seien, bei der ersten Gelegenheit zum Feind überzulaufen.
»Zeigt uns die Verräter!« schrie die erregte Schlachta. »Man muß das Unkraut ausjäten, sonst sind wir alle verloren!«
Wieder mußten die Wojewoden und Rittmeister alle beruhigen, und um die erregten Gemüter zu besänftigen, verwies man einen der vermeintlichen Verräter aus dem Lager.
Eine eigentümliche Stimmung herrschte im Lager. Manche hatten den Mut ganz verloren und gingen niedergeschlagen umher; andere liefen schweigend, ziellos, längs der Wälle entlang und sahen unruhig auf die Ebene, von woher der Feind kommen mußte. Wieder anderer hatte sich eine sinnlose, verzweifelte Fröhlichkeit bemächtigt und eine übergroße Bereitwilligkeit, in den Tod zu gehen. Deshalb veranstalteten sie Gastmähler und Trinkgelage, um den Becher der Lebensfreude vor ihrem Tode bis auf den Grund zu leeren. Niemand im Lager dachte an einen Sieg, obwohl der Feind keine numerische Überlegenheit besaß; er hatte nur mehr Geschütze und einen Führer, der sich auf die Kriegskunst verstand.
Und während das polnische Heer siedete, brodelte und schäumte wie ein Meer, das von Winden bewegt wird, kamen ruhig auf den breiten, grünen Wiesen, die die Oder umsäumen, die schwedischen Truppen daher. – Zweiundsiebzig Kanonen hinterließen in dem saftigen Grün ihre tiefen Furchen. Es waren im ganzen 17000 Mann, die plündernd fast ganz Deutschland durchzogen, und die so diszipliniert waren, daß sie sich gut mit der königlichen französischen Garde messen konnten. Hinter den Regimentern bewegten sich in ganzen Zügen Fuhren mit Gepäck und Zelten. Die Truppen marschierten in tadelloser Ordnung, jede Minute kampfbereit.
Endlich, es war am 27. Juli, erblickten die schwedischen Soldaten im Walde bei dem Flecken Heinrichsdorf den ersten polnischen Grenzpfahl. Ein Jubelruf erschallte im ganzen Heer, die Trompeten bliesen, und die blauen Fahnen mit den weißen Kreuzen in der Mitte flatterten hoch im Winde. – Wittemberg, der mit einer glänzenden Suite vorausritt, hielt an und ließ alle Soldaten vorbeidefilieren: die Kavallerie mit gezogenen Degen, die Kanonen mit brennenden Lunten. Es war zur Mittagszeit eines strahlenden Sonnentages, Harzgeruch erfüllte die ganze kräftige Waldluft.
Die graue, von der Sonne überflutete Straße, auf der die schwedischen Truppen daherzogen, verlor sich in weiter Ferne. Als die Regimenter aus dem Walde heraustraten, lag vor ihren Augen ein fröhliches, lächelndes Land. Glänzende, goldene Felder wechselten mit grünen Wiesen und dunklen Eichenwäldern ab. Auf den Weideplätzen grasten die Herden, und da, wo die Wiesen noch sumpfig waren, spazierten gravitätisch und ungestört Störche umher.
Welch ein heiliger Friede, welch eine Stille lag über diesem von Milch und Honig triefenden Stückchen Erde! Es schien, als ob sie den Truppen ihre Arme entgegenstrecke, nicht um einen Feind abzuwehren, sondern um einen von Gott gesandten Gast zu empfangen.
Ein Schrei des Entzückens entrang sich den Kehlen der Soldaten, die an die arme und wilde Natur ihrer Heimat gewöhnt waren. Die Herzen des armen, räuberischen Volkes entbrannten in dem Wunsch, sich dieser Schätze, die vor ihren Augen zerstreut lagen, zu bemächtigen. Eine Art Fieber ergriff alle Soldaten.
Aber sie, die das Feuer des Dreißigjährigen Krieges gestählt hatte, begriffen sehr wohl, daß ihnen all diese Reichtümer nicht ohne Kampf zufallen würden; sie wußten, daß dieses Land ein zahlreiches, kriegerisches Volk bewohnte, das sich gut zu verteidigen verstand. In die Herzen der Schweden zogen zugleich mit der Freude ernste Bedenken ein, von denen selbst ihr Führer, Wittemberg, nicht frei war.
Er wandte sich schließlich an einen dicken Mann mit heller Perücke, deren Locken auf die Schultern herabfielen:
»Sie versichern also,« sagte er, »daß es mit meinen Truppen möglich sein wird, die feindlichen Kräfte, die sich in Ujscie gesammelt haben, zu schlagen?«
Der Mann mit der hellen Perücke lächelte.
»Sie können sich vollständig auf meine Worte verlassen. Wenn bei Ujscie reguläre Truppen ständen und einer der Hetmans, so würde ich der erste sein, der Ihnen riete, nicht so zu eilen, sondern die Ankunft Seiner Majestät des Königs und seines Heeres abzuwarten. Aber gegen die Landwehr und die Pans sind unsere Truppen mehr als genug. Und Verstärkungen können der Landwehr nicht geschickt werden. Auch glauben Jan-Kasimir, der Kanzler und der Senat noch immer nicht, daß Seine Majestät Karl-Gustav entgegen dem Friedensvertrag und ungeachtet der letzten Gesandtschaft den Krieg anfangen würde. – Cha-cha-cha!«
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