Suzan befürwortete die Versetzung. Als sie unterschrieb, krampfte sich ihr Herz zusammen. Was würde wohl aus ihr selbst werden?
Sie hatte inzwischen die Bankenkrise aus den Schlagzeilen verdrängt. Die Zukunft der Währung war scheinbar nicht so wichtig wie der Kreditkartenmissbrauch einer Ministerin. Alle verlangten, sie solle endlich reinen Tisch machen, die Öffentlichkeit aufklären. Doch da gab es nichts aufzuklären. Was sollte sie noch zu dem banalen Vorfall sagen? Ihr Bedauern hatte sie doch schon mehrfach bekundet. Dennoch ging die Hetzjagd der Medien weiter. Inzwischen machte die Bild-Zeitung Andeutungen, sie habe neue Flecken auf der gar nicht so reinen Weste der Ministerin entdeckt und wolle sie in den nächsten Tagen veröffentlichen. Suzan konnte sich zwar nicht vorstellen, worauf die Zeitung anspielte, aber allein bei dem Gedanken an die bevorstehende Veröffentlichung brach ihr der kalte Schweiß aus.
Am späten Nachmittag schließlich ließ sich ihr Mann Simon anmelden. Erstaunt über den Besuch bat sie ihn herein.
Sie hatte in all dem Trubel der letzten Tage wenig an ihn gedacht. Wenn sie nach Hause gekommen war, lag er schon im Bett und schlief. Und sie hatte andere Dinge im Kopf, als sich um diesen Mann zu kümmern. Schon allein der Gedanke an Sex mit ihm war ihr unangenehm. Sie konnte ihn im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr riechen.
Und nun tauchte er plötzlich hier im Büro auf. Er wusste doch, dass sie derartige Besuche nicht mochte. Dienstliches und Privates sollten nicht vermischt werden. Außerdem hatte sie jetzt weder Zeit noch Muse für private Dinge. Das Private musste in so einer Situation einfach zurückstehen.
Ärgerlich bat sie Simon, Platz zu nehmen und beauftragte die Sekretärin, sie bei den eingeplanten und wartenden Besuchern zu entschuldigen und um Verständnis zu bitten. Es würde nicht lange dauern.
Barsch fragte sie ihren Mann: „Was willst du?“
Der hatte die Anweisungen an die Sekretärin gehört und fragte höhnisch zurück: „So, es wird nicht lange dauern? Woher willst du das wissen?“
„Weil ich noch immer meine Zeit selbst einteile, und es nicht dir überlasse!“
„Siehst du“, sagte er, „und da liegt unser Problem.“
„Bist du etwa gekommen, um eine Debatte über unsere Ehe zu führen? Gibt es dafür keinen besseren Zeitpunkt?“
„Ich will keine Debatte führen. Ich will dir nur mitteilen, dass ich mich heute bei drei Partneragenturen angemeldet habe.“
„Du hast was?“ Suzan glaubte, nicht recht zu hören.
„Ich habe mich offiziell bei Partnervermittlungen eingeschrieben. Ich suche eine Frau.“ Die Stimme war triumphierend.
„Bist du verrückt? Der Mann der Umweltministerin der Bundesrepublik Deutschland sucht über irgendwelche Agenturen ein Betthäschen? Willst du die Auflagen der Boulevardpresse und der diversen Klatschblätter steigern? Wenn das herauskommt, gibt es einen unendlichen Skandal, und ich bin erledigt.“
Er schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben, denn nun kam es wie aus der Pistole geschossen: „Erledigt bist du doch so und so. Aber gut, dann lassen wir uns scheiden. Billig wird es für dich nicht, das sage ich dir.“
Suzan versuchte, sich zu beruhigen. Damit hatte sie nicht gerechnet.
„Und warum das Ganze?“
„Ich habe es satt, das Leben eines Singles zu führen. Ich sehe dich kaum noch. Hin und wieder gehen wir zusammen zu offiziellen Einladungen. Das ist ätzend und kein Vergnügen. Sex findet nicht mehr statt. Und wer weiß, mit wem du zusammen bist, wenn du angeblich von Termin zu Termin eilst.“
„Sei doch vernünftig. Du hast deinen Beruf und ich den meinen. Bisher ging es doch ganz gut. Ich werde versuchen, ein wenig kürzer zu treten. Vielleicht sollten wir einen Kurzurlaub einschieben? Die Insel Föhr hat dir doch immer gut gefallen. Wir werden am Strand spazieren gehen und Wattwanderungen machen.“
„Das hätte dir früher einfallen müssen“, war die barsche Antwort. „Jetzt will ich nicht mehr. Ich habe auch meinen Stolz. Im Übrigen habe ich morgen Abend bereits mein erstes Date. Ich glaube, ich bin sehr fair, dass ich dich rechtzeitig unterrichte, damit du dich darauf einstellen kannst.“
Wie um seine Worte zu unterstreichen schob sich in diesem Moment eine Wolke vor die Sonne, und es wurde düster im Zimmer.
„Du willst also tatsächlich einen Skandal“, sagte sie mit unterdrückter Wut. „Und du glaubst, du kommst dabei ungeschoren davon, und es trifft nur mich? Mein Lieber, da irrst du. Du bist dabei, ein Erdbeben auszulösen, das uns beide vernichten wird.“
„Um dich zu vernichten, fehlt nicht mehr viel!“ Seine Stimme war höhnisch. „Für deine Vernichtung sorgst du schon selbst. Kaum im Amt und schon häufen sich die Skandale. Ich hätte dich für klüger gehalten. Ich weiß auch nicht, wie du aus diesen Affären wieder herauskommen willst.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Das ist auch ein Grund, warum ich mich jetzt absetze. Ich will nicht mit dir untergehen.“
‚Untergehen, Absetzen!‘
Die Ministerin musste an ihre beiden Referenten denken. Inzwischen hatte sie neun weitere Versetzungsgesuche auf dem Tisch gehabt und auch unterschrieben. Auch ihr Büroleiter war zu ihr auf Distanz gegangen. Und die Staatssekretäre hatte sie auch schon seit ein paar Tagen nicht gesehen.
‚Man hat mich isoliert‘, wurde ihr klar. ‚Man behandelt mich wie eine Aussätzige, an der man sich nicht anstecken will. ‘
Ihr eigener Mann ergriff schließlich auch gerade auf drastische Weise die Flucht.
Obgleich die Opposition einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert hatte, schwieg die Kanzlerin bisher zu allen Vorwürfen. Sie hatte der Presse lediglich gesagt: „Ich habe bisher keinen Grund meiner Ministerin mein Vertrauen zu entziehen.“
Das war ja wohl die dürftigste Solidaritätserklärung, die man sich denken konnte. War Suzan denn bisher blind gewesen? Wo war ihr politischer Instinkt geblieben, auf den sie sich bisher stets verlassen konnte? Sie musste etwas unternehmen! Aber was?
Zuerst musste sie Simon loswerden.
„Ich muss jetzt weitermachen. Ich komme heute Abend früher nach Hause, dann reden wir noch einmal über alles!“
„Da gibt es nicht mehr viel zu reden“, maulte er und zog ab.
10
Mit zitternden Fingern goss sich Suzan Bergstoh aus der Thermoskanne auf ihrem Schreibtisch eine Tasse Kaffee ein. Damit ging sie ans Fenster und sah gedankenverloren hinaus, während sie das heiße Getränk schlürfte.
Wer stand noch auf ihrer Seite? Auf wen konnte sie noch zählen?
Der Graf fiel ihr ein. Er hatte sie gewarnt. Ob sie ihn anrufen sollte? Zwar wollte sie mit diesem Mann nichts mehr zu tun haben, aber hatte sie jetzt noch eine Wahl?
Sie ließ sich von der Sekretärin verbinden und so, als habe er auf ihren Anruf gewartet, hatte sie Sekunden später Graf Manderscheidt am Apparat. Er war überhaupt nicht erstaunt, dass die Ministerin ihn sprechen wollte.
Bevor sie etwas sagen konnte, fragte er: „Soll ich es in Ordnung bringen?“
Suzan zitterte so stark, dass sie den Hörer mit beiden Händen halten musste.
Endlich fragte sie stockend: „Können Sie denn helfen?“
„Ich glaube schon. Aber ich brauche natürlich deine Kooperation.“
Suzan schwieg und überlegte, was er damit meinte.
Schließlich stammelte sie: „Ja!“
„Dann hole ich dich um neun Uhr ab, und wir gehen essen.“
Als er aufgelegt hatte, fiel ihr ein, dass sie doch ihrem Mann den Abend versprochen hatte. Wie sollte sie ihm klarmachen, dass er schon wieder zurückstehen musste? In der Verfassung, in der er war, konnte er durchdrehen. Er war jetzt zu allem fähig. Aber einen weiteren Skandal konnte sie in der derzeitigen Situation nun gar nicht gebrauchen.
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