1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 „Ich zahle natürlich auch den gesamten gestrigen Abend. Das ist doch selbstverständlich. Ich hatte nur meine Kreditkarte vergessen, deshalb musste vorübergehend dienstlich abgerechnet werden. Doch im Lauf des Vormittags ist alles an die Regierungskasse zurückgezahlt worden. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.“
„Nun, Sie haben es halt nur versucht, auf Kosten des Steuerzahlers zu feiern. Ob sie wenigstens jetzt, nachdem wir den Fall aufgegriffen haben, so anständig sind und alles zurückerstatten, wird sich überprüfen lassen“, sagte der Mann, „wir bleiben dran, darauf können Sie sich verlassen.“
War dies nun eine Drohung oder ein Versprechen an die Zuschauer?
Als der Fernsehapparat wieder abgeschaltet war, herrschte Totenstille im Amtszimmer.
„Frau Minister“, sagte endlich der Leiter der Öffentlichkeitsabteilung, „Sie haben ein Problem!“
9
Die nächsten Tage waren hektisch, und Suzan hätte sie später gern aus ihrem Leben gestrichen. Obgleich sie die Zeche umgehend zurückgezahlt hatte, wurde sie von den Medien als Diebin oder etwas noch Schlimmeres behandelt. Wie die Geier stürzten sich alle auf sie. Sie wurde mit bekannten und berüchtigten Betrügern, vor allem mit einem ehemaligen Bundespräsidenten, den man auch auf diese Weise abgeschossen hatte, in einen Topf geworfen und an ihr die sinkende Moral in der Politik und das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der Politiker dingfest gemacht.
Das Kesseltreiben und die Hetzjagd der Medien waren sogar noch zu ertragen. Am Schlimmsten war für Suzan aber die Einsamkeit. Plötzlich schien sie niemand mehr zu kennen. Man ging ihr aus dem Weg, so als habe sie die Krätze und man wolle sich nicht anstecken. Auch die Kanzlerin schwieg, sowohl in der Öffentlichkeit als auch intern. Als Bergstoh einen Termin bei ihrer Chefin wollte, wurde sie abgewimmelt. Leider sei die Bundeskanzlerin unter ungeheurem Zeitdruck. Sobald sich aber eine Möglichkeit böte, werde man auf die Frau Minister sogleich zukommen.
Berlin ist eine Schlangengrube, das wusste Suzan schon lange. Doch nun erfuhr sie es am eigenen Leib. Mit dem Chef des Bundespresseamtes hatte sie mehrere Termine. Schließlich musste der auf der Bundespressekonferenz zu dem Vorfall Stellung nehmen. Er war höflich, aber Suzan war sich im Klaren, dass sie in ihm keine Unterstützung hatte.
So, wie es aussah, war ihre Karriere am Ende, und dies wegen eines derart banalen Vorfalls. Sie hätte sich vor Wut selbst ohrfeigen mögen.
Ein paar Tage später, ihre Affäre beruhigte sich nicht, sondern kochte höher und höher, meldete die Sekretärin, Graf Manderscheidt sei am Telefon und wolle die Ministerin sprechen.
Unwillige befahl sie: „Stellen Sie durch.“
Bevor der Anrufer ein Wort sagen konnte, fauchte sie schon: „Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe. Habe ich mich bei meinem Besuch neulich nicht deutlich genug ausgedrückt?“
„Suzan, ich rufe an, weil du Hilfe brauchst.“ Es war diese tiefe, ruhige, angenehme Stimme.
„Ich brauche keine Hilfe.“
„Doch du steckst in Schwierigkeiten. Man muss nur die Nachrichten hören und lesen.“
„Sie meinen diese Bewirtungs-Affäre? Das ist eine Lappalie. Bald wird niemand mehr darüber reden. Ich bin mir auch keiner Schuld bewusst.“
„Ob du dir etwas bewusst bist oder nicht, darauf kommt es nicht an. Eine Petitesse ist es sicherlich. Aber dennoch brauchst du meine Hilfe. Du hast eine Menge wichtiger Leute gegen dich aufgebracht.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Glauben Sie etwa, Sie bekommen mich wieder zu Ihren Perversitäten herum, wenn Sie in Panik machen? Nein, ich habe keine Angst. Und nun lassen Sie mich bitte zufrieden. Ich habe zu tun!“
„Suzan, du weißt doch gar nicht, in welchen Schwierigkeiten du tatsächlich steckst. Diese Bewirtungskiste ist doch nur der Anfang. Die wollen dich fertigmachen. Die wollen, dass du zurücktrittst. Ist dir das noch immer nicht klar?“
„Und warum, bitteschön, sollten die Leute das wollen? Und wer, bitteschön, sollen diese Leute sein? Und was, bitteschön, haben Sie damit zu tun.“
„Oh, das sind eine Menge Fragen. Die möchte ich nicht am Telefon beantworten. Wenn du willst, können wir uns treffen. Rufe mich an. Ich habe meine Telefonnummer deiner Sekretärin gegeben. Jetzt nur so viel, du hast auf einer Veranstaltung gesprochen, auf der du nicht hättest auftauchen sollen. Es war ein Symposium, und es war töricht von dir.“
Ohne ein weiteres Wort legte der Graf auf, und Suzan starrte auf den toten Telefonhörer.
Sie begann, nachzudenken. Was hatte er gemeint? Auf welches Symposium hatte er angespielt? Und plötzlich erinnerte sie sich. Es war vor vier Wochen gewesen.
Ihr Referent, Doktor Lohwitz, war in ihr Zimmer gestürzt. Er war sehr aufgeregt gewesen.
„Frau Minister“, hatte er schon in der Tür gerufen, „ich habe eben erfahren, dass Sie auf dem Symposium ‚Wege zu einer lebensfreundlichen Welt‘ die Eröffnungsrede halten wollen.“
Sie hatte ihn verwundert angesehen, wie er sich erschöpft auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch hatte fallen lassen.
„Na und? Wo ist das Problem?“
„Sie müssen unbedingt absagen.“
„Und warum?“
„Dort tritt ein CO 2-Leugner auf.“
Er spuckte dieses Wort mit der gleichen Verachtung aus, wie er wohl Kinderschänder, Massenmörder oder Brandstifter sagen würde.
„Was meinen Sie damit?“
„Die Veranstalter lassen auch den Schmidt eine Rede halten. Man hat Ihnen zwar schon sämtliche Zuschüsse gestrichen, aber sie wollen diesen Schmidt dennoch nicht ausladen.“
Bergstoh verstand noch immer nicht: „Wer ist dieser Schmidt?“
Man sah dem Mann an, was er von der Ignoranz seiner Chefin hielt: ‚Und so jemand ist Umweltministerin!‘
Doch dann bequemte er sich zu einer Erklärung: „Professor Josef Schmidt ist Physiker, hat sich aber inzwischen auf Klimaforschung spezialisiert. Eine Zeit lang war er recht angesehen und wurde schon in jungen Jahren zum Außerordentlichen Professor ernannt. Doch dann begann er durchzudrehen. Er wollte einen Artikel in ‚Nature‘ veröffentlichen, in dem er bezweifelte, dass die Klimaerwärmung allein auf das von Menschen produzierte CO 2zurückzuführen sei. ‚Nature‘ hat den Beitrag natürlich abgelehnt, aber es hat sich herumgesprochen, dass Schmidt ins Lager der CO 2-Leugner gewechselt ist. Man hat ihm daraufhin den Geldhahn zugedreht und seine Fördergelder gestrichen. Doch glauben Sie, der Mann ist zur Vernunft gekommen? Nein. Er hat den Aufsatz doch noch in irgendeiner obskuren Zeitschrift publiziert.“
„Und was ist dran an seinen Argumenten?“ Die Ministerin verstand die Aufregung noch immer nicht.
Ihr Referent sah sie an, als habe sie den Verstand verloren: „Das weiß ich nicht. So einen Unsinn lese ich nicht.“
„Ich soll zwar nur die Eröffnungsrede halten, also mehr ein Grußwort, aber mich würden die Argumente dieses Professor Schmidt schon interessieren. Man muss schließlich wissen, welche Thesen in der Welt sind, schon um sich gegen sie wappnen zu können. Es handelt sich doch um ein Symposium und keine Festveranstaltung. Auf Symposien sollen doch konträre Meinungen ausgetauscht werden.“
Suzan sah dem Mann an, dass es ihm schwerfiel, einen respektvollen Ton gegenüber seiner Chefin beizubehalten.
„Würden Sie auch eine Veranstaltung eröffnen, zu der man einen Holocaustleugner eingeladen hat?“
„Natürlich nicht, das ist doch nicht zu vergleichen. Sie sollten darüber keine Witze machen.“
Der Mann war so erregt, dass er, ohne um Erlaubnis zu fragen, nach der Sprudelflasche für Besucher griff und sich einschenkte. Gierig trank er ein Glas leer, bevor er antwortete: „Aber ich mache keine Witze. Sie können nun mal kein Symposium durch Ihre Anwesenheit adeln, auf dem ein CO 2-Leugner zu Wort kommt. Schließlich sind Sie die Ministerin für Umweltschutz in diesem Land.“
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