1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Das Wichtigste aber ist die regelmäßige Präsenz im Wahlkreis, sowie die Betreuung von Delegationen, wenn die schon mal den Weg nach Berlin finden. Die Volksvertreter sind für vier Jahre gewählt und wollen doch sicher noch einmal für vier Jahre gewählt werden. Es ist eine Symbiose. Die Abgeordneten brauchen den Wahlkreis, und der brauchte sie. Das war das Kleingedruckte in dem ungeschriebenen Vertrag der Parteimitglieder untereinander.
Morgen würde die Gruppe durch das Ministerium und anschließend durch das Bundeskanzleramt geführt werden. Auch eine Stadtführung war geplant und die Besichtigung des Bundestages. Dies alles und ganz besonders die Bewirtung des heutigen Abends musste natürlich bezahlt werden. Die Parteifreunde erwarteten, dass man sie freihielt. Aber dafür gab es ja einen Bewirtungs-Fond, über den jeder Minister verfügen konnte. Er war zwar nicht für die Wahlkreispflege gedacht, denn die gehörte nicht zu den offiziellen Aufgaben eines Ministers. Streng genommen war der Einsatz dieser Mittel für Besuche von Parteifreunden illegal. Aber alle setzten den Fond dafür ein, und deshalb tat die Ministerin das Gleiche und dachte nicht weiter darüber nach.
Zwei ihrer Referenten hatten sie begleitet, und einer hatte auch die Rechnung mit der offiziellen Kreditkarte bezahlt.
Am nächsten Morgen wartete ein Team von „RTL Explosiv“ vor ihrem Ministerium auf sie. Als sie aus dem Wagen stieg, wurde sie sogleich umringt. Eine Reporterin hielt ihr ein Mikrofon unter die Nase und fragte unschuldig: „Frau Minister, ich hoffe, Sie haben gestern einen schönen Abend verbracht?“
Suzan Bergstoh lachte und antwortete: „Aber gewiss! Es ist immer schön, einen Abend mit Freunden zu verbringen“
Und dann kam die Bombe: „Frau Minister, lassen Sie sich Ihre Abende mit Freunden immer vom deutschen Steuerzahler bezahlen?“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen?“
Die Stimme der Journalistin wurde schärfer. Man hörte ihr die Empörung an: „Wer hat denn die Rechnung gestern Abend bezahlt? War das nicht Ihr Referent?“
Mit einem Schlag wurde es der Ministerin heiß und kalt. Sie sah die Falle, in die sie gelockt werden sollte.
„Natürlich hat er dies in meinem Auftrag und mit meinem Geld gemacht.“
„Mit Ihrem Geld? Wurde nicht vielmehr eine dienstliche Kreditkarte eingesetzt?“
„Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich gehe davon aus, dass alles seine Richtigkeit hat. Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Auf mich wartet viel Arbeit.“
Die Journalistin mit ihrem Mikrofon und der Kameramann rannten noch bis zur Eingangstür neben ihr her, aber sie ließ sich zu keinem weiteren Statement verführen. Noch im Fahrstuhl zücke sie ihr Blackberry und bestellte beide Referenten zu sich ins Büro.
Vor ihren Diensträumen wartete bereits ihr Büroleiter auf sie. Er hieß Doktor Friedrich Brauer und war so etwas wie das Herz des Ministeriums. Während die Ministerin hauptsächlich repräsentierte und die Arbeit ihrer Behörde nach außen vertrat, bereitete er die Entscheidungen vor und setzte sie auch durch. Er war verantwortlich für das Personal und die ordnungsgemäßen Abläufe im Ministerium.
‚Was würde ich nur ohne Doktor Brauer anfangen‘, fragte sich die Ministerin täglich, seit sie das Amt übernommen hatte.
Suzan Bergstoh war fest entschlossen, die Ausgaben des gestrigen Abends sofort an die Regierungskasse zu überweisen, um jeglichen Angriffen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch dies erwies sich als nicht so einfach.
Ihr Büroleiter erklärte ihr, dass dazu bürokratischer Aufwand erforderlich wäre. Es bedürfe nämlich einer Sollstellung, einer Rechnung und eines Kassenzeichens. Würde sie einfach das Geld überweisen, so könnte es in der Kasse nicht zugeordnet werden. Eine Rücküberweisung wäre unvermeidlich. Aber er wolle sich darum kümmern, dass der verwaltungstechnische Aufwand so rasch wie möglich über die Bühne ginge.
Inzwischen waren auch die beiden Referenten erschienen, und zu viert erörterten sie nun lang und breit die Fragen: Wer hat geplaudert? Wer hat den Zahlvorgang gesehen? Was war da eigentlich los?
Sie waren noch intensiv in der Diskussion, als ein Anruf von RTL kam mit dem Hinweis auf die folgende Nachrichtensendung und der Bitte um ein anschließendes telefonisches Statement. Mit ungutem Gefühl sagte die Ministerin zu.
‚Es handelt sich um eine Lappalie‘, versuchte sie sich zu beruhigen. ‚Ich habe nichts Unübliches gemacht. Aus so einer Kleinigkeit kann man mir keinen Strick drehen. In zwei Tagen redet kein Mensch mehr darüber. Die Journalisten müssen ganz einfach wieder einmal demonstrieren, dass sie investigativ arbeiten und die alten Prinzipien der Branche noch hochhalten. ‘
Eine versehentlich mit einer falschen Kreditkarte bezahlte Rechnung war doch keine gute Story. Bergstoh war sich da ganz sicher. Dann kamen die RTL-Nachrichten. Inzwischen waren der Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und ihr Pressereferent zu der kleinen Gruppe gestoßen. Man saß im Ministerzimmer im Kreis um den großen Flachbildschirm.
„Ein krasser Fall von Betrug am Steuerzahler“, sagte der Anchorman bei seiner Anmoderation. Bergstohs Abendessen war der Hauptaufmacher der Sendung.
Der Beitrag begann mit der Außenansicht des leeren Lokals, in dem gestern Abend das Zusammensein stattgefunden hatte.
„Hier“, so kam der Ton aus dem Off, „fand gestern Nacht ein rauschendes Fest statt. Ministerin Bergstoh gab eine Party für die Leute, denen sie ihr Amt zu verdanken hat und auf deren Unterstützung sie auch weiterhin hofft.“
Ein Bild von Suzan Bergstoh wurde groß eingeblendet.
„Und diese Unterstützung wird die umstrittene Ministerin auch nötig haben. Kleine Geschenke schaffen Freunde, heißt es, und nach diesem Grundsatz hat Suzan Bergstoh bei ihren Parteifreunden auch gehandelt. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn für diese Geschenke nicht der deutsche Steuerzahler zur Kasse gebeten worden wäre.“
Nun klingelte das Telefon. Die zuständige Redakteurin war in der Leitung und teilte mit, dass man die Ministerin gleich live zuschalten werde.
„Bezahlt hat nämlich ein Mitarbeiter dieser spendablen Ministerin und zwar mit der offiziellen Kreditkarte des Ministeriums.“
In Großaufnahme erschien der Buchungsbeleg auf dem Bildschirm. Dann kam ein Interview mit dem zuständigen Kellner, der erklärte, an diesem Abend sei das Beste gerade gut genug gewesen. Den Höhepunkt des Berichts aber bildeten Interviews mit zwei bewirteten Gästen aus dem Wahlkreis, die treuherzig in die Kamera sagten: „Also, ich bin davon ausgegangen, dass uns die Suzan persönlich eingeladen und auch alles selbst bezahlt hat. Wenn ich gewusst hätte, dass alles auf Staatskosten geht, hätte ich diese Einladung niemals angenommen.“
Suzan Bergstoh war es im Verlauf der Sendung immer heißer geworden. Aber als sie ihre Parteifreunde hörte, packte sie die kalte Wut.
‚Diese Heuchler! ‘ dachte sie.
Doch sie konnte nicht länger über diese Infamie nachdenken, denn nun sagte der Anchorman: „Wir wollten die Frau Minister natürlich zu dem Vorfall befragen. Aber sie zog es vor, vor uns davonzulaufen. War es etwa das schlechte Gewissen, dass Suzan Bergstoh getrieben hat?“
Nun kamen die Filmaufnahmen vom Morgen.
„Doch inzwischen hat sich die Ministerin eines Besseren besonnen und will uns Rede und Antwort stehen. Wir haben sie jetzt am Telefon. Frau Minister, ich hoffe Sie hatten gestern einen vergnüglichen Abend und heute keinen schweren Kopf?“
Suzan versuchte so ruhig und gelassen, wie möglich zu antworten.
„Danke der Nachfrage, es geht mir ausgezeichnet.“
„Es freut uns, dies zu hören.“ Die Stimme des Moderators triefte vor Ironie. „Dann können Sie uns ja im Vollbesitz Ihrer Sinne in aller Ruhe erklären, ob Sie für Ihre Gäste immer den Steuerzahler aufkommen lassen?“
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